FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Straße mit Sonnenuntergang

CC0

Leif Randt: Allegro Pastell

Spannendes Generationenbuch oder doch Fadesse Royal? Ein Roman über die Gegenwart.

Von Martin Pieper

Kaum ein Roman dieser Saison wird von der deutschen Literaturkritik so hingebungsvoll abgefeiert wie das vierte Buch des Autors Leif Randt. „Allegro Pastell“ soll der letztgültige Text über die Befindlichkeit der ungefähr Dreißigjährigen sein. Man könnte vielleicht Millennials zu ihnen sagen, und damit nicht nur eine bestimmte Altersgruppe meinen, sondern vor allem ein Milieu. Allegro Pastell handelt, wie immer bei Leif Randt, von einigermaßen wohlhabenden, gutausgebildeten, interessanten Menschen, deren Probleme selten existenziell werden. Sie verstehen sich mit ihren Eltern, reisen viel, nützen das zeitgenössische Kultur- und Konsumangebot, sind aktive Großstädter mit spannendem Nachtleben, maßvollem Drogenkonsum und sportlich genussvollem Sexleben.

Buchcover "Allegro Pastell"

KiWi Verlag

„Allegro Pastell“ ist im KiWi-Verlag erschienen.

„Allegro Pastell“ ist die Liebesgeschichte von Tanja und Jerome. Sie lebt in Berlin und ist erfolgreiche „Jungautorin“. Mit ihrem ersten Buch „PanoptikumNeu“, das von einer „sinnstiftenden VR-Erfahrung“ handelt hat sie es zu Talkshowauftritten und einer dezenten Sorte Berühmtheit gebracht. Jerome lebt in der Nähe von Frankfurt, in dem Einfamilienhaus, das er früher mit seinen Eltern bewohnt hat und designt Webseiten für Kunst- und Kulturinstitutionen. Die beiden haben eine Fernbeziehung, nützen die deutsche Bahn und die modernen Kommunikationskanäle, um sich nahe zu sein. Das restliche Personal des Romans heißt unter anderem Janis, Marlene oder Julian.

Panorama an Alltäglichkeiten

Aus jeweils abwechselnder Perspektive wird aus dieser Liebegeschichte ein Panorama an Alltäglichkeiten ausgebreitet, das die Leser*in je nach eigener Position als „ja, genau so ist es!“, empfindet oder als als nervige Nabelschau einer hyper-privilegierten deutschen Mittelschicht liest. Das Reflexionsniveau der handelnden Figuren des Romans ist jedenfalls hoch und so kann die Frage nach der Auswahl des richtigen Messenger-Dienstes für die Übertragung der eigenen Befindlichkeit schon zu einer halben Seite Text gerinnen.

Allegro Pastell liest sich über weite Strecken wie ein blasser Wiedergänger der 90er Jahre Popliteratur. Insbesondere Christian Krachts zu Schullektüre gewordener Klassiker „Faserland“ schimmert an manchen Stellen durch das Buch, wie der Dunst von Coby County. Genau so, nämlich „Schimmernder Dunst über Coby County“ hieß der Durchbruchs-Text von Leif Randt (Jahrgang 1983). Ein Science Fiction Roman, der von einer keimfreien, eleganten, modernen und seltsam flachen Zukunftsvision voller pastellfarbene Polo-T-Shirt tragende Menschen in modernen Wohnungen erzählte. Statt der Zukunftsvision Coby County ist das Leif Randt Personal diesmal in einer bundesrepublikanischen Jetzt-Zeit gelandet. Und dieser Umstieg vom Fantastischen ins alltägliche Deutschland der Jahre 2018/19 hat dem Buch nicht gutgetan.

Leif Randtg, geboren 1983, ist spätestens mit seinem zweiten Roman „Schimmernder Dunst über Cobycounty“ zum Sprachrohr einer neuen Generation erklärt worden. Mit dem Nachfolger „Planet Magnon hat er endgültig ein ganzes Universum nach seiner Facon beschrieben. Allegro Pastell ist sein vierter Roman.

Einwand der Boomer

So wird mit den schon so oft durchdeklinierten real existierenden Marken (Acne), Clubadressen (Boris Johnson) und Band/DJ Namen (Yung Lean) das popkulturelle ABC der coolen Zeitgenossenschaft herbeigeschrieben. Sogar der „Wiener Radiosender FM4“ hat einen Kurzauftritt im Buch. Danke dafür! Der Distinktionsgewinn den sich die Figuren, möglicherweise auch der Autor, dadurch versprechen, ist allerdings gering. Als Leser*in hat man manchmal das Bedürfnis Tanja und Jerome in den Arm zu nehmen und zu sagen: Macht euch nicht so einen Kopf über die Frage, ob Joy Division unironisch der passende Soundtrack zu eurer freundlich körperlichen Annäherung ist. Es gibt doch wichtigeres im Leben.

Das ist natürlich der klassische Boomer Einwand gegen allzu intensive Beschäftigung mit den schillernden Oberflächen des Alltags. In Zeiten der Fridays for Future Teenager, der Politisierung durch Rechtsruck und Zukunftsangst liest sich Allegro Pastell aber auch seltsam nostalgisch. Vielleicht hat Leif Randt statt Science-Fiction diesmal einen melancholischen Abgesang auf ein verlorenes Lebensgefühl geschrieben. Wenn man in Zeiten wie diesen für so etwas noch Platz hat in der in alle Richtungen zerberstenden Birne, kann man Allegro Pastell auch gut an sich vorbeiplätschern lassen.

mehr Buch:

Aktuell: