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Genesis P-Orridge

Genesis P-Orridge

Genesis P-Orridge war ein Vorbild in souveräner Selbstermächtigung

Unsere Zivilisation häutet sich, also kann er gehen. Musiker/in und Aktionskünstler/in Genesis P-Orridge von Psychic TV und Throbbing Gristle ist siebzigjährig verstorben.

Von David Pfister

In the laughter and tears of love

Seit kurzer Zeit erfahren wir ständig die Kompromisslosigkeit, aber auch den Wert unseres Lebens. Der/die englische KünstlerIn Genesis P-Orridge hat diese Werte zeit seines/ihres Lebens auch ohne Krise gepflegt und zum Mittelpunkt seiner/ihrer Kunst gemacht. Sein/ihr Ziel war es, aus einer agnostischen Perspektive heraus sich selbst zu transzendieren: das klassische, meinst okkult geprägte Streben, sich selbst zum eigenen Gott zu verwandeln. Genesis P-Orridge hat niemals gezögert, mit den grellsten Farben zu malen. Er/sie ging den Weg der souveränen Selbstermächtigung so weit wie möglich.

Diese Einstellung gipfelte im sogenannten pandrogynen Geschlechtsidentitäten-Projekt, welches Genesis P-Orridge mit seiner Ehefrau Lady Jaye bis zu deren plötzlichen Tod 2007 pflegte. Die beiden liebten sich so bedingungslos, dass sie an einer größtmöglichen körperlichen Annäherung arbeiteten, die gleichermaßen Männlichkeit und Weiblichkeit umfassen sollte, umgesetzt durch eine Vielzahl verschiedenster physischer Eingriffe und Operationen, Angleichungen. Auch nach dem Tod von Lady Jaye arbeitete Genesis an diesem Ziel weiter. Als vor etwa drei Jahren Leukämie bei ihm/ihr diagnostiziert wurde, wurde auch dieser Umstand in das transzendente Lebensprojekt integriert. Aber Selbstermächtigung und queere Lebensperspektiven prägten die gesamte Karriere von Genesis P-Orridge.

Throbbing Gristle

Das Werk der englischen Musik-Aktionsgruppe Throbbing Gristle gilt als Urschrei der Industrial-Kultur. Der Geburtsschoß der aktionistischen Band ist eine Performancegruppe namens Coum Transmission, die mit Porno-Image und echter Gewaltdarstellung experimentiert. Die Einbeziehung von Musik ist notwendige Konsequenz. Genesis P-Orridge, Chris Carter, Cosey Fanny Tutti und Peter Christopherson arbeiten mit hässlichen Frequenzen, Noise Musik. Elektronische Kriege und extreme Geräuschcollagen, dazwischen aber immer versteckte zärtliche musikalische Momente. Ästhetisch und aktionistisch wird die Musik mit jeder Menge Gewalt- und Porno-Ikonografie eingerahmt. Auch vermeintlich nihilistische Überlegungen wie etwa von den britischen Magiern Aleister Crowley und Austin Osman Spare sind Thema. Das macht der Gruppe diebische Freude, aber primäres Ziel ist schon ein politischer und moralischer Exorzismus. Ein Anspruch, den viele spätere Industrial-Projekte behaupten, der aber tatsächlich nur bei wenigen Bands wie eben Throbbing Gristle gelten darf.

Psychic TV

1981 lösen sich Throbbing Gristle auf. Genesis P-Orridge gründet eine neue Band und auch gleich eine Religion dazu. Die neue Band Psychic TV wird vom absichtlich wie eine Sekte aufgezogenen Fanclub Thee Temple Ov Psychick Youth eingerahmt. Mit Psychic TV arbeitet Genesis P-Orridge strukturierter. Die Liebe zur Psychedelic kanalisiert er/sie primär mit Sixties Rock und Acid Rave. Genres und Ästhetiken bleiben aber austauschbare Gefäße für Genesis. Ähnlich wie Bandmitglieder. Giganten der alternativen Gegenkultur wie David Tibet, Marc Almond, Derek Jarman, Monte Cazazza bis zu den Yeah Yeah Yeahs arbeiten mit Genesis P-Orridge oder werden von ihm/ihr protegiert.

Love Is The Law

Unzählige Kunstprojekte, Bandprojekte, eine Throbbing Gristle Reunion, Skandale, Exzesse findet man im reichhaltigen Lebenslauf von Genesis P-Orridge. Was von ihm/ihr bleibt und was gerade heute auch von Trost ist, ist seine/ihre Darstellung der gestalterischen Möglichkeit des persönlichen Lebens und des Lebens unserer Lieben. Genesis P-Orridge hat auf diesem Weg auch manchmal zweifelhafte Sackgassen genommen. Aber sein Kampf für persönliche Freiheiten besonders für unterrepräsentierte gesellschaftliche Gruppen und die Hinweise auf die Kostbarkeiten des Lebens, machen ihn/sie zu einem/r Heiligen.

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