FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Der schwierige Weg zurück

„Ich an meiner Seite“ ist der zweite Roman der Bachmannpreisträgerin Birgit Birnbacher. Darin versucht der ehemalige Häftling Arthur zurück in ein eigenständiges Leben zu finden.

Von Daniel Grabner

Im Juni letzten Jahres änderte sich für die Salzburger Autorin Brigit Birnbacher so einiges. Während sich Literaturaficionados im Garten des Landestudios Klagenfurt heiße Luft zufächelten, wurde der Autorin im klimatisierten Studio einer der renommiertesten Preise im deutschsprachigen Literaturbetrieb verliehen: der Ingeborg-Bachmann Preis. Gewonnen hat Birnbacher das Wettlesen mit einer Erzählung, die auf geschickte und subtile Weise über die Zusammenhänge von Individuum, Arbeit und Gesellschaft verhandelt.

Birnbacher, die auch Soziologin ist, hat nun ihren mit Spannung erwarteten zweiten Roman veröffentlicht. „Ich an meiner Seite“ ist die Geschichte des 22jährigen Arthur Galleij, der nach einer zweijährigen Haftstrafe versucht, wieder auf die Beine zu kommen. Für die Figur Arthur hat sich Brigit Birnbacher an einem realen Vorbild orientiert.

Ich an meiner Seite

Zsolnay Verlag

„Ich an meiner Seite“ von Birgit Birnbacher ist im Zsolnay Verlag erschienen.

Bewährungshilfe und „Schwarzsprechen“

Birnbachers Protagonist ist ein intelligenter, smarter und introvertierter Mensch, nicht unbedingt der Typ, von dem man erwartet, straffällig zu werden. Es ist dann doch passiert, 26 Monate muss Arthur wegen Internetbetrugs absitzen. Mittels Pishing hat er etwas zu erfolgreich mehrere Tausend Euro erbeutet.

Als Arthur dann im Sommer 2010 entlassen wird, weiß er noch nicht, wie man ein Smartphone benutzt und er weiß auch nicht, was für ein harter Weg zurück in ein eigenständiges Leben vor ihm liegt. Als Leser begleitet man Arthur auf diesem Weg, der ihn in eine Wohngemeinschaft der Bewährungshilfe und zu unorthodoxen Therapiesitzungen mit dem abgehalfterten aber sympathischen Soziologen „Börd“ führt.

Eine seiner Methoden ist das „Schwarzsprechen“: Wenn Arthur alleine ist, muss er seine Gedanken zu Börds Fragen auf ein Tonbandgerät sprechen. Außerdem soll Arthur sich die beste Version seiner selbst vorstellen und diese dann wie ein Schauspieler spielen.

Der schwierige Weg zurück

„Ich an meiner Seite“ schildert Arthurs Struggle wieder auf die Beine zu kommen. In der Wohngemeinschaft der Bewährungshilfe kann er nur einen begrenzten Zeitraum bleiben, danach ist er auf sich alleine gestellt. Die Zeit läuft, Arthur muss zuerst Arbeit und dann eine Wohnung finden. Doch selbst mit Hilfe seines Bewährungshelfers ist das nicht so einfach.

Alles was Arthur braucht um beispielsweise einen Job zu bekommen, ist ein kohärenter, systemkonformer Lebenslauf. Eine plausible Erzählung. Er aber hat diese Leerstelle, den Gefängnisaufenthalt, die fehlende Berufserfahrung, die Frage, wo er denn in den zwei Jahren gewesen ist. Es sind Hürden, die unüberwindbar scheinen, und Arthur gerät mehrmals in die Versuchung, wieder gegen die Regeln zu spielen.

Es ist eine der Stärken von Birnbachers Roman, dass man das zu verstehen beginnt und nachvollziehen kann, dass, wenn jemand einmal außerhalb der Gesellschaft steht, nur noch sehr schwer wieder zurückehren kann. Das gesellschaftliche Korsett ist eng, wer nicht seinen ausgetretenen Pfaden folgt, wer keinen plausiblen Lebenslauf vorlegen kann, hat kaum eine Chance.

Was führt zum Verbrechen?

Die Kehrseite der Erzählung widmet sich der Vergangenheit von Arthur. Der Roman selbst erzählt seinen Lebenslauf, von seiner Geburt an, über seine Kindheit in der Salzburger Provinz, bis ins junge Erwachsenenalter. Als Jugendlicher wandert Arthur mit seiner Familie nach Spanien aus, wo seine Eltern ein luxuriöses Palliativpflegeheim betreiben.

Mit 18 Jahren muss er mit ansehen, wie seine Freundin Milla ertrinkt. Er gibt sich die Schuld für ihren Tod und beschließt auf eigene Faust zurück nach Österreich zu gehen. Dort angekommen wird er nicht nur mit bürokratischen Hürden konfrontiert. Er wird selbst Opfer eines Diebstahls. Eine Gemengelage, die sich dem psychisch angeschlagenen Arthur als ausweglose Situation präsentiert und letztendlich dazu führt, straffällig zu werden.

„Ich an meiner Seite“ veranschaulicht, wie komplex ein Menschenleben ist, wie vielen Einflüssen es unterworfen ist und wie vielgliedrig die Ereignisketten sind, die zu Entscheidungen und diese dann zu Folgeentscheidungen führen. Ganz am Ende steht bei Arthur eine Handlung, die der Staat und die Gesellschaft unter dem Begriff „Betrug“ fassen. Birnbacher löst diesen Knoten, Faden für Faden.

Ich an meiner Seite“ verhandelt die Beziehung zwischen Gesellschaft und Individuum, zwischen plausiblen individuellen Entscheidungen und dem, wie diese nicht in ein starres, empathieloses System passen, über dessen Lücken, und was passiert, wenn man in diese Lücken hineingerät. Und es ist eine Geschichte darüber, wie es jemand aus eigener Kraft schafft, sich zurückzukämpfen.

Subtile Gesellschaftskritik trifft hier auf eine einfühlsame Lebensgeschichte - große Empfehlung für Brigit Birnbachers „Ich an meiner Seite“.

mehr Buch:

Aktuell: