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Liv Strömquist

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„Ich fühl’s nicht“ - wo bleibt das extreme Verlieben?

„Man macht lieber ein sexy Selfie als ein sexy Bild von jemand anderem.“ Die schwedische Zeichnerin Liv Strömquist widmet sich in ihrem neuen Buch „Ich fühl’s nicht“ Beziehungen im Spätkapitalismus, zeigt auf, dass Liebe und Leistung nicht zusammengehen und findet vermehrt emotional distanzierte Männer, die meinen: „Ich fühl’s nicht“.

Von Zita Bereuter

Es ist ein außergewöhnliches Skype-Interview. Liv Strömquist sitzt mit gelbem Wollpulli vor einer Tapete mit gezeichneten grünen Bäumen. Sie ist daheim in Schweden - im Bett. Manchmal ist die Bettwäsche zu sehen - ebenfalls mit grafischen Mustern - dann ist ihr Kopf abgeschnitten. So wie diese Situation ist ihre Arbeit: direkt, privat, unkompliziert und immer wieder witzig.

Liv Strömquist

Radio FM4 / Zita Bereuter

* Liv Stömquist schreibt in diesem Buch über heterogene Beziehungen. Sie entschuldigt sich für grobe Verallgemeinerungen und weist darauf hin, dass es natürlich auch Ausnahmen gibt.

Wir unterhalten uns über ihr neues Buch „Ich fühl’s nicht“. Es handelt von einem Problem, das aus Liv Stömquists Sicht gegenwärtig viele Männer haben.* Denn das Werben von Männern um Frauen hat sich im Spätkapitalismus stark verändert, zeigt die studierte Politikwissenschafterin: Vor 150 Jahren hätten Männer Frauen etwa noch Anträge gemacht und es galt als sehr männlich, starke Gefühle zu zeigen. Jetzt habe es eine kulturelle Veränderung gegeben, wie sich männliche Vorherrschaft zeige. Ein Teil dieser Vorherrschaft sei emotionale Distanz Frauen gegenüber.

Liv Stromquist Ich fühls nocht

Avant Verlag

Cover "Ich fühl's nicht"

Avant Verlag

„Ich fühl’s nicht“ von Liv Strömquist ist im Avant Verlag erschienen und wurde von Katharina Erben übersetzt.

Die Jacke wurde eigens für die deutsche Ausgabe von einer schwedischen Textilkünstlerin von Hand genäht und zeigt die erste Seite des Comics.

Männer hätten sich also emotional distanziert und würden häufig nicht zu viel Nähe und bitte auch nichts Verbindliches wollen. Hinzu komme, dass unsere Gesellschaft immer narzisstischer und selbstverliebter geworden sei und man "lieber ein sexy Selfie als ein sexy Bild von jemand anderem“ mache.

Das habe dazu geführt, dass sich Leute nicht mehr richtig verlieben wollen. Von wegen „To fall in Love“ – stattdessen soll alles genau geplant und berechnet sein. Und jede und jeder soll bitte auch genau gleichviel investieren. Liebe wird nach dem Leistungsprinzip gemessen. Aber das geht nicht, meint Liv Strömquist. Uns sei immer beigebracht worden, dass wir alle Freiheiten hätten und unsere eigenen Leben gestalten sollen. Aber wenn es um Liebe geht, könne man gar nichts entscheiden, lacht sie. „You can be in love with someone who is absolutely not in love with you.“ Jemand kann jederzeit verlassen oder ignoriert werden. Dieses Spannungsfeld, diese Veränderungen wollte sie in „Ich fühl’s nicht“ aufzeigen.

Wie schon in ihren vorherigen Büchern mixt Liv Strömquist wild zwischen Wissenschaft und Popkultur. Vorwiegend sind es diesmal Zitate und Theorien der Soziologin Eva Illouz. Daneben etwa die Philosophen Byung-Chul Han, Platon oder Žižek, die fast vergessene Autorin Hilda Doolittle, aber auch Leonardo di Caprio oder Beyoncé werden herangezogen. Das Ganze im Stil eines Fanzines – schwarz-weiß - manchmal in der Schriftgröße eines Beipackzettels, manchmal schreiend groß, aber immer mit viel Humor. Liv Strömquist eben.

In ihren Überlegungen geht sie von Frauen aus, die Mitte bis Ende 30 sind, einen Kinderwunsch haben und nur wenige potenzielle Väter finden, weil diese, vereinfacht gesagt, lieber hier und dort On-off-Beziehungen führen und sich für jüngere Frauen interessieren – allen voran etwa eben Leonardo die Caprio.

Liv Stromquist

Maja Flink

Liv Strömquist ist eine schwedische Comiczeichnerin, Feministin und Radiomacherin. In „Der Ursprung der Welt“ widmet sie sich der Kulturgeschichte der Vulva, in „Der Ursprung der Liebe“ den Beziehungsmustern im Wandel der Zeit. In „I’m every woman“ erklärt sie den Mythos vom männlichen Genie aus weiblicher Sicht.

Sie sieht das auch politisch. Vielleicht müsse die Politik jungen Frauen bessere Angebote machen – bessere Kinderbetreuung, bessere Bezahlung als Berufseinsteigerinnen. Denn viele Frauen machen erst eine Ausbildung, studieren, arbeiten - wenn sie erfolgreich sein wollen, noch länger und härter - und wenn sie dann Kinder bekommen wollen, haben sie dafür nur mehr zwei bis drei Jahre. Frauen zwischen 30 und 38 mit Kinderwunsch würden auf eine bestimmte Art von Männern unterdrückt, denn diese Frauen sind in zeitlicher Bedrängnis, während Männer erstmal ein bisschen schauen können und die Kinderfrage dann immer noch in fünf Jahren angehen können - mit einer anderen.

Es fehle in diesem Zusammenhang ein Rolemodel, eine popkulturelle Figur. „Die beinharte, supercoole Computerhackerin/ Mordkommissarin mit Kinderwunsch!“, heißt es im Comic. Dass sie selbst für viele Frauen ein Rolemodel ist, kann Liv Strömquist sich vorstellen. Allerdings habe sie das nie werden wollen. Als Rolemodel sei man in einer Position, in der man nichts Falsches machen sollte und sich nicht zu sehr verändern. Als Künstlerin sei es aber am Wichtigsten, dass sie sich ständig verändere, entwickle und versuche, Dinge anders zu sehen. Es sei nicht gut, wenn man sich plötzlich nach den Erwartungen anderer richte. Sie blende die Möglickeit, ein Rolemodel zu sein, deswegen ganz aus. „If I would think about that too much, I would feel really restrained.“ Sie will nur darüber nachdenken, was sie als Künstlerin macht.

Natürlich gibt es auch Frauen ohne Kinderwunsch und auch Frauen, die keine fixen Beziehungen wollen. Und auch das romantische Bild, dass Frauen sich in Beziehungen aufgeben, scheint wie ein Rückschritt im Feminismus. Liv Strömquist ist sich dessen bewusst. Sie habe so viele feministische Bücher gemacht, „people already know these things“. Deswegen will sie in diesem Buch Dinge aufzeigen, die für ihren Geschmack noch zu wenig untersucht wurden.

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