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Jehnny Beth

Jehnny Beth

Pop und Virus

Konzertabsagen, Krankheitsfälle und andere Katastrophen. Wie sich die Coronakrise auf das Leben und Schaffen einer Popmusikerin auswirkt am Beispiel von Jehnny Beth.

Von Christian Lehner

Jehnny Beth war meine erste Interview-Absage. Die Sängerin der britischen Post-Punk-Band Savages, die im Mai ihr erstes Soloalbum veröffentlichen wird, würde nicht auf den gebuchten Promo-Termin nach Berlin kommen, so ihre Plattenfirma in einer Email. Der Grund: das Coronavirus.

Das ist jetzt knapp drei Wochen her. Gemessen an der rasanten Verbreitung des Virus erscheint es wie eine kleine Ewigkeit. Mittlerweile sind alle sogenannten „Face to Face“-Interviews gestrichen.

Vor drei Wochen war das Problembewusstsein der Pop-Branche in Bezug auf eine sich anbahnende Pandemie noch gleich Null. Die Tour-Pläne der meisten Künstler*innen waren intakt. Die großen Festivals standen fett unterstrichen im Terminkalender. Eine starke Veröffentlichungssaison stand unmittelbar bevor. Der Tonträgerfrühling bereitet traditionell den Live-Sommer vor.

Und nun? Abgesagte Konzerte, verschobene Releases, drohende Pleiten und eine sehr unsichere Zukunft. Und es wäre nicht die Pop-Branche, wenn sich aus der Krise nicht auch neue Trends schälen würden. Streaming-Konzerte vor leeren Rängen sind jetzt ein Ding. Das geänderte Motto diese Senders hier, kommt dabei auch immer mehr Sänger*innen über die Lippen: Stay At Home, Baby!

Jehnny Beth Album Cover "To Love Is To Live"

Caroline

Die Musikerin, Autorin und Schaupielerin Jehnny Beth ist von der Krise gleich mehrfach betroffen. Am 8. Mai soll ihr erstes Soloalbum erscheinen, im Juni ihre erste Geschichtensammlung. Die Frontfrau der Post-Punk-Band Savages hatte eine Tour für Mai gebucht und sollte einen Slot am prestigeträchtigen Glastonbury Festival bespielen.

Noch steht der Release-Termin des Albums mit dem Titel „To Love Is To Live“. Der Name wird jetzt zur Durchhalteparole. Jehnny Beth war nicht nur meine erste Interviewabsage wegen Corona, Jehnny Beth war auch meine erste Zusage für ein Telefoninterview. Darin erfuhr ich vor zwei Tagen, dass Jehnny persönlich Bekanntschaft mit dem Virus gemacht hatte. Oder auch nicht.

Christian Lehner: Du hast bereits vor knapp drei Wochen die meisten deiner Promoaktivitäten gecancelt. Warum?

Jehnney Beth: Zwei Gründe: Meine Plattenfirma hat sehr früh reagiert und ihren Mitarbeiter*innen verboten, zu reisen. Am Plan standen mehrere Termine in Europa und die hätte jemand betreuen müssen. Am wichtigsten war aber der Gesundheitszustand meiner Familie. Ein Elternteil befindet sich derzeit im Krankenhaus, deshalb habe ich die Sache mit dem Virus von Anfang an sehr ernst genommen. Ich wollte einfach das Risiko minimieren und meinen Teil dazu beitragen.

Den Promo-Plan kurz vor der Albumveröffentlichung einzustampfen, war wahrscheinlich dennoch keine leichte Entscheidung. Für Independent Artists kann das schnell existenzbedrohende Ausmaße annehmen.

Genau, ich musste das Album ja selbst im Voraus bezahlen. Das ist immer ein Risiko - jetzt natürlich besonders. Ich trage dieses Risiko gemeinsam mit meinen (Produktions)Partner Johnny Hostile. Was mich ein wenig hoffnungsvoll stimmt, ist die Gewissheit, dass auch weiterhin der Bedarf nach Musik besteht. Man muss improvisieren, so wie wir beide das gerade mit diesem Telefoninterview tun. Aber es ist zweifelsohne eine sehr prekäre Situation für viele.

Ein Weg sind Streaming-Konzerte ohne Publikum. Gibt es da bei dir konkrete Pläne?

Ehrlich? Ein Gig ohne Fans ist für mich keiner, aber so genau habe ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht.

Was ist mit den Konzerten? Du hast einige Live-Termine im Frühjahr und wurdest für das diesjährige Glastonbury-Festival gebucht.

Ich habe eben erfahren, dass Glastonbury gecancelt wurde. Man sieht das natürlich ein, aber das macht mich schon traurig. Nicht nur, weil ich dort gerne aufgetreten wäre, sondern auch, weil sich bei einer so großen Sache der restliche Tour-Plan an diesem Termin ausrichtet. Wenn so eine wichtige Show ausfällt, hat das auch eine drastische Auswirkung auf die Finanzierung der gesamten Tour. Das ist alles sehr knapp kalkuliert.

Wie verbringst du die Tage momentan?

Ich gebe sehr viele Telefoninterviews (lacht), um das Album zu promoten. Sonst mache ich das, was wohl derzeit viele machen. Ich streame Filme, lese Bücher und bin im ständigen Kontakt mit meiner Familie. Und dann war ich auch noch krank vor einigen Wochen. Ich hatte das Virus.

Ist sicher nicht angenehm, in diesen Zeiten krank zu sein und nicht zu wissen, welcher Virus es ist.

Den Symptomen nach war es tatsächlich das Coronavirus, das hat auch ein Arzt diagnostiziert. Allerdings wurde ich nicht getestet, weil es im UK kaum Tests gibt - zu der Zeit, als ich krank war, schon gar nicht, deshalb kann ich natürlich nicht bestätigen, dass es tatsächlich Covid-19 war, aber es ging mir nicht sehr gut. Ich hab mich zuhause auskuriert und jetzt bin ich wieder gesund. Da ich aber nicht hunderprozentig sicher sein kann, was ich hatte, halte ich mich bei sozialen Kontakten eher zurück.*

Fällt dir das schwer?

Nein, weil ich mich auch sonst sehr oft in die selbstgewählte Isolation begebe, um zu schreiben. So habe ich im vergangenen Jahr auch ein Buch fertiggestellt, das im Juni erscheint und den Titel „C.A.L.M.: Crimes Against Love Memories“ trägt. Als das Buch entstand, bin ich von Stadt zu Stadt gezogen, habe mit niemandem gesprochen und stundenlang geschrieben. Das ist meine Routine, das halte ich auch jetzt so. Ich trinke nicht, gehe nicht in Bars. Ich vermisse das Kino, die Theaterbesuche und vor allem mein Boxing-Gym. Ich liebe das Boxen.

Es ist die Zeit des sogenannten „Homeoffice“. Freunde von mir posten, wie sie in Sweatpants in der Wohnung herumlümmeln. Wie ist deine Adjustierung at home?

Ich trage Schwarz. Das ist meine Farbe. Aber ja doch, auch hier Jogginghose und Kaputzensweater.

Experten, die sich mit solchen Dingen beschäftigen, prognostizieren einen Babyboom wegen der vielen Zeit, die nun zuhause verbracht wird. Wird es auch viele neue Songs geben?

Da bin ich mir sogar ziemlich sicher. Sehr viele Menschen werden erst durch diese Ausnahmesituation ihr kreatives Potenzial entdecken. Es wird viel Kunst geben, viele Alben.

Hast du einen Song-Tipp für uns, um durchzuhalten?

Ich habe sehr viele Tipps, weil ich gerade an einer einschlägigen Playlist für meine Sendung auf Apple Music arbeite, Arbeitstitel „If The World Would Shut Up“. Da sind Klassiker dabei wie John Lennons „Isolation“. Ein Phänomen derzeit sind die menschenleeren Straßen. Von meinem Fenster aus blicke ich auf eine entvölkerte Stadt. Es ist wie Paris im August nur extremer. Das löst sehr viele Dinge aus in mir und diese Leere wollte ich mit der Songauswahl füllen. Da ist etwas von Dusty Springfield dabei, Nicolas Jaar, Jimmy Scott und auch Schubert.

Der Titel deines neuen Albums lautet „To Love Is To Live“. Den gibt es sicher schon eine Weile, aber er würde auch ganz gut als Sinnspruch zur Überwindung der Krise passen.

Daran versuche ich mich jeden Tag zu erinnern.

*Anmerkung. Das Interview wurde via Telefon geführt und via Handrekorder aufgezeichnet. Als ich mit Jehnny über ihre Erkrankung gesprochen hatte, war die Telefonverdindung sehr schlecht und ich dachte, sie hätte verneint, das Virus gehabt zu haben. Erst bei der Sichtung des Interviews wurde das klar und später auch via Email bestätigt. Ich hätte natürlich noch gern einige Zusatzfragen gestellt über den Verlauf und die weit verbreitete Mär, dass es nur Alte erwischt zum Beispiel. Sorry

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