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Screenshots der Serie "The Outsider"

HBO/Sky

Die Heimkino-Tagebücher: „The Outsider“ ist die beste Gruselserie derzeit

Nach enttäuschenden Stephen-King-Verfilmungen im Kino macht HBO jetzt alles richtig: „The Outsider“ fasziniert als gruseliges Serien-Meisterwerk.

Von Christian Fuchs

Serien als Ablenkung in besonders angespannten Zeiten, das ist für mich so eine Sache. All der ganze ironisch angehauchte Hipsterkram, der bei Netflix & Co. herumschwirrt, reicht unter normalen Umständen zwar für einen eskapistischen Abend, in der derzeitigen Situation aber nicht.

Da schaffen es flapsige Genrevariationen zwischen „Sexanbahnung und Superkräftebändigung“ (ich zitiere einen Freund) nicht einmal für fünf Minuten meine Aufmerksamkeit von den Corona-Virus-News abzuziehen. Bis ich unlängst auf einen Suchtstoff aufmerksam gemacht wurde, der sich als so stark entpuppte, dass er sogar meine aufgewühlten Homeoffice-Sinne gänzlich vereinnahmt hat.

Warum ich „The Outsider“ im Vorfeld noch ignorierte, hat einen einfachen Grund. Die zehnteilige US-Serie basiert auf einem gleichnamigen Roman von Stephen King. Spätestens seit dem zweiten Teil der „It“-Saga oder „Dr. Sleep“ wirkt der Name des legendären Horrorautors in einem Vorspann für mich eher abschreckend. Bebilderten die Regisseure dieser Filme die dunklen Gedankenwelten Kings doch auf so banale und berechenbare Weise, dass es mich frustriert zurückließ. Auch von der Serie „Castle Rock“, komplett in seinem Universum angesiedelt, reichte mir die erste Staffel.

Screenshots der Serie "The Outsider"

HBO/Sky

Ein Dreamteam auf eigenen Pfaden

Der Hauptfehler vieler aktueller Stephen-King-Adaptionen ist, dass sich die Macher, aus falsch verstandenem Fantum heraus, den Vorlagen des Autors zu sehr verpflichtet fühlen. Immer da, wo der besessene Vielschreiber und Schöpfer fesselnder Geschichten ins unfreiwillig Lächerliche abdriftet, folgen sie ihm.

Die kreativen Köpfe hinter „The Outsider“ haben einen genau konträren Zugang. Sie beschreiten ganz eigene Pfade, picken sich, wie einst Stanley Kubrick bei „The Shining“, das Beste aus dem Buch heraus. Und ignorieren die potentiell kitschigen Momente. Dass der Kontrollfreak Stephen King das zugelassen hat, liegt an einem würdigen literarischen Gegenspieler. Richard Price heißt der Showrunner, der New Yorker steht seit „The Wire“ oder „The Night Of“ für extrem ambitionierte Serien, die Suspense-Thrills mit sozialen Ansprüchen verknüpfen.

Price arbeitet bei „The Outsider“ noch dazu mit einem wahren Dreamteam zusammen, zu dem unter anderem Jason „Ozark“ Bateman (als Darsteller und Regisseur zweier Folgen), Karyn Kusama („Destroyer“) oder der gefeierte Krimiautor Denis Lehane („Mystic River“) gehören. Das Ergebnis wirkt, als ob ein Stephen-King-Schmöker aus dem Bahnhofsbuchladen von David Fincher, Cary Fukanaga und Michael Haneke zugleich verfilmt worden wäre.

Screenshots der Serie "The Outsider"

HBO/Sky

Ein Mörder an zwei Orten gleichzeitig

Ja, wir haben es mit (Unterhaltungs-)KUNST in Großbuchstaben zu tun, einem weiteren Serien-Meisterwerk von HBO, dem verlässlichen Fernsehprogrammanbieter, dem wir zuletzt „Watchmen“, „Euphoria“ oder „Chernobyl“ verdankten, alles hierzulande auf Sky zu sehen.

Die trostlose Stimmung, die die ersten Episoden durchzieht, erinnert an einen anderen Meilenstein des Senders. Wenn die Polizei in der Kleinstadt Flint City in Georgia die verstümmelte Leiche eines elfjährigen Jungen findet, fühlt man sich direkt in die erste Staffel von „True Detective“ zurückversetzt. Statt dem dazugehörigen Cop Rust Cohle nimmt aber ein ebenso vom Leben gebeutelter Polizist namens Ralph Anderson die Ermittlungen auf. Ben Mendelsohn, einer der intensivsten Schauspieler seiner Generation, leiht ihm sein zerknirschtes Antlitz.

Schnell führen diverse Augenzeugenberichte zu einem eindeutigen Ergebnis: Der bislang unbescholtene Sportlehrer Terry Maitland (Jason Bateman) muss der Täter sein. DNA-Spuren auf dem Opfer bestätigen den Verdacht. Bis ein Überwachungsvideo auftaucht, auf dem der vermeintliche Mörder zur Tatzeit zu sehen ist. Allerdings auf einem Lehrerkongress, weit weg von Flint City. Mit diesem unerklärlichen Vorfall - und einer geheimnisvollen Gestalt in einem Hoodie, vorerst nur im Hintergrund zu erahnen, ist man dann mitten drin im gespenstischen Kosmos von Stephen King.

Screenshots der Serie "The Outsider"

HBO/Sky

Das Irrationale setzt die Vernunft unter Druck

Der geniale Ansatz von Richard Price ist aber, das Übernatürliche radikal in das Alltägliche einzubetten. „The Outsider“ ist zunächst primär eine erschütternde Milieustudie, präzise bis ins Detail, über die Tragik einer Verdächtigung. Als dann die Ermittlerin Holly Gibney hinzugezogen wird, umwerfend gespielt von Cynthia Erivo, ändert sich der Tonfall langsam. Die schrullige, aber höchst selbstbewusste Afroamerikanerin konfrontiert den aufgeklärten Kriminalbeamten Anderson mit bizarren Theorien.

Dabei schlägt sich die Serie allmählich auf die Seite des Irrationalen und setzt die Vernunftfraktion unter Druck. „Beeil dich“, sagt Holly sinngemäß dem skeptischen Ralph bei der Mörderjagd, „du musst das Metaphysische schnellstens akzeptieren und die Grenzen der Wissenschaft hinter dir lassen.“ Fast mutet so eine Botschaft in der Corona-Virus-Gegenwart verantwortungslos an. Aber keine Sorge. Mystery-Papst Stephen King greift bloß eine Genretradition auf, die seit den Tagen von Professor Frankenstein und Dr. Van Helsing existiert.

Screenshots der Serie "The Outsider"

HBO/Sky

Dass man über die monströsen Bedrohungen in „The Outsider“ überhaupt ernsthaft nachdenkt, liegt an der formalen Brillanz der Show. Sämtliche Darsteller*innen bis in die kleinsten Nebenrollen begeistern, die Dialoge sind ein Wahnsinn, der Industrial-Soundtrack beklemmt. Der (un-)heimliche Star der Serie ist jedoch die Kamera. Oft verharrt sie in einer entfernten Beobachterperspektive, rückt unscharfe Objekte in den Vordergrund, evoziert eine konstante Atmosphäre der Bedrohung. Genau, „The Outsider“ ist scary as hell, sage ich auch als abgebrühter Zuschauer.

Wenn wir den Schrecken überwinden wollen, müssen wir solidarisch zusammen halten, wird den Menschen im Mittelpunkt der Story klar. Schade, dass diese typische und schönste Botschaft von Stephen King nicht immer so überzeugend umgesetzt wurde wie jetzt in „The Outsider“.

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