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Blumenaus 20er-Journal

Zurück aus Europa in die Nation, das Bundesland, die Region, die Stadt und die Sozialpartnerschaft.

Neben den fröhliche Urständ’ feiernden die Schengen-Grenzen schließenden Nationalstaaten gibt es noch andere, unbemerktere Gewinner der europäischen Corona-Politik: Der Föderalismus zeigt seine Macht.

Von Martin Blumenau

Man ist sich einig: Die EU ist/war eine schöne Idee, aber wenn the going gets tough, dann gehen die toughen voran, und das sind eben die Nationalstaaten. Nicht nur die Nationalisten aus Ungarn oder Polen, das sind nicht nur die dominanten Großmächte wie Frankreich und Deutschland, es sind alle. So schnell keinen Auftrag und kein Selbstbewusstsein mehr wie in der Corona-Krise hatte die EU seit ihrer Gründung wohl nicht mehr.

Wahr das. Ich möchte trotzdem einwenden, dass das a) in der politischen Entscheidungs-Struktur der EU schlicht und ergreifend so angelegt ist das sie keine Befugnisse hat und dass es b) viel mehr darum gehen wird, dass sich die Union nach der Krise an der Wiedererrichtung von kaputtgegangenen Struktur schon noch fest abarbeiten wird. Ob und wie sich das Zusammenwirken der Nationen nach eindeutigen Verletzungen der Beistandspflicht (wie es einige der Visegrad-Staaten zB. gegenüber Italien an den Tag gelegt haben) oder nach dem Versuch Orbans das Parlament auszuschalten und der zweite Lukashenko Europa zu werden überhaupt wieder zusammenraufen/setzen wird können ohne in bestimmter Hinsicht zumindest eine*n parva mensa rasa zu machen.

Die Nationalstaaten jedenfalls haben mit all ihren Muskeln gezuckt und jenseits jeder Schwarmintelligenz agiert. Wenn man sich später einmal, aus der historischen Distanz, ganz analytisch die Verhaltensmuster, Reaktionszeiten, Maßnahmen-Pakete, Beratungssicherheit, das Flipflopping der einzelnen Regierungen ansehen wird, dann wird vor allem eine Frage übrigbleiben: warum hat man vereinzelt agiert anstatt sich wenigstens mit Vertrauten oder Nachbarn abzusprechen? Warum haben diejenigen, deren Ansteckungs-Kurve einige Wochen hinter denen anderer betroffener Länder waren, nichts/zu wenig daraus gelernt und/oder übernommen? Sicher, es galt auf einzelne Spezifika Rücksicht zu nehmen, demografisch, geografisch etc. Die meisten Entscheidungen fielen aber entlang der Bruchstelle medizinische Versorgungskapazitäten/wirtschaftlicher Schaden und waren wohl vergleichbarer.

In dieser nationalstaatlichen Unsicherheit zeigte sich dann auch, wer die tatsächlichen, wer die schnellen Entscheider der Krise waren/sind: die Bundesländer. Musterbeispiel Deutschland: Dort haben die Länder entschieden, was zu tun ist, ehe sie dann gnädig den Vereinheitlichungen der Zentralregierung in Berlin zugestimmt haben. Als ob die die machtlose EU wäre.

Beispiel Italien: Womöglich war uns die Lombardei schon vorher ein Begriff, oder Friaul Julisch Venetien - jetzt kennen wir sie alle, die italienischen Regionen, der autarke Handlungsmacht jener von Südtirol (von der wissen wir, an die glauben wir zumindest fest) kaum nachsteht. Ähnlich verhält es sich in Spanien, wo neben der Uneinigkeit des Parlaments auch noch die regionalen Konflikte nicht beiseite geschoben wurden, sondern die Lage verschlimmerten.

Und auch in Österreich war das (verspätete) Vorpreschen von Tirol in einer Deutlichkeit, die die Bundesregierung dann zum Nachziehen veranlasste. Die Treiber der Ereignisse waren überall die Länder. Ob zum Besseren oder zum Schlechteren - sie halten die Handlungsmacht in Händen. Und das ist angesichts von jahrzehntelangen Debatten (wie die des Nationalkonvents), die die Zurückdrängung oder gar Auflösung der föderalen Strukturen zum Ziel haben, doch zumindest bemerkenswert. Im Kleinen ist das das Äquivalent zur Dauer-Einspar-Diskussion um die ORF-Landesstudios, die sich angesichts der aktuellen Krise auch in einem anderen Licht zeigt.

Ich finde diesen realpolitischen Reality Check auch deshalb so interessant, weil in den diversen Prognosen der Zukunftsforschung immer von einer anderen Entität die Rede war, die hinkünftig die wesentlichen Vorreiter-Entscheidungen treffen würde: der Großstadt. Vielleicht stimmt das eh und kommt auch noch. Im Vorreiter-Land USA ist es auch so, dass die großen Kommunen (New York, Chicago, Los Angeles, San Francisco) für sich selber entscheiden, recht unabhängig von ihren Bundesstaaten, wiewohl die (Stichwort California) auch tougher reagiert haben als die zögerliche Trump-Administration in Washington.

Trotzdem: das Modell der autarken Stadt oder der erweiterten Metropol-Region als einzig relevantes Zukunfts-Szenario hat sich gerade durch die aktuelle Krise als nicht 100 Prozent schlüssig erwiesen. Das über die Speckgürtel hinausreichende Umland, das sonst gerne als wenig schmeichelhaft als Hinterland bezeichnete Gebiet dient zunehmend als Rückzugs-Bereich, im Fall der Lombardei sind die Interdependenzen zwischen City und ländlichem Bereich innerhalb einer ein/zwei-Stunden-Fahrzone besonders augenfällig. Für Wien oder Berlin umgelegt ist es wohl nicht anders. Dass sich in den aktuell zentralen Gesundheits-Fragen auch Bezirke, die als Verwaltungsebene auch schon weggespart werden sollten, kompetenzmäßig in den Vordergrund spielen, ist wohl auch kein Zufall.

Apropos Wien: Die Gemeindeverwaltung hält sich in Sachen eigener Interpretation der Maßnahmen vergleichsweise zur sonstigen Bockigkeit gegenüber der türkisen Gegnerschaft erstaunlich zurück, obwohl die Abstimmung mit dem Bund nicht optimal zu laufen scheint. Das hat aber wohl eher mit den nahenden Wahlen zu tun und der Tatsache, dass man da keinen Fehler machen will. Und natürlich mit einem weiteren Comeback: dem der Sozialpartnerschaft. Zwar obliegt es in erstaunlichem Ausmaß der Wirtschaftskammer staatliche Leistungen auszuführen und umzusetzen, ansonsten ist aber das alte, die zweite Republik seit ihrer Gründung tragende Modell der bedingungslosen Kooperation zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerschaft wieder in full effect. Und das nachdem es von der letzten Regierung (und man kann da gar nicht genau sagen, wer mehr getrieben hat: die FPÖ, für die diese Machtzirkel pfründemäßig immer schon der Hauptgegner waren, oder die türkise ÖVP, die das Primat der Top-Beziehungen zu den Wirtschaftsbossen über alles andere stellt) fast schon kaputtgeschlagen wurde.

Alle Strukturen, die schon als Auslaufmodelle angezählt waren, brummen also mehr oder weniger erfolgreich vor sich hin. Europa, das kommt erst dann wieder ins Spiel, wenn es ans große Zusammenräumen nach dem Ende des Shutdowns und dem Ende der Grenzschließungen weitergeht. Wenn auch mit einem anderen Bewusstsein, einem anderen, hoffentlich klarer definierten Ansatz, der dann auch für die Einzelnen nachvollziehbarer wird. Aber das trifft ohnehin auf fast alles zu.

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