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Ein Bild aus frühen «Lindenstraßen»-Tagen (Archivbild von 1986)

APA/WDR/Fotoreport

Wir warten auf die Lindenstraße…

Am kommenden Sonntag, den 29. März 2020, geht eine TV-Ära zu Ende: „Auf Wiedersehen“ heißt die allerletzte Folge der Kultserie „Lindenstraße“.

Von Constanze Griessler

Der erste Kuss unter zwei Männern, Transidentität, Bratpfannen-Morde und jeden Tag beim Frühstück (typischerweise bei der Brezel aus dem Café Beyer aus dem Öko-Brotsack) Menschen dabei zusehen, wie sie, scheinbar en passant, aktuelle Ereignisse in ihre Gespräche einweben: All das wird am kommenden Sonntag vorbei sein.

Was am 8. Dezember 1985 um 18.40 Uhr begann, wird für Lindenstraßenfans der ersten Stunde wie mich nun also tatsächlich zu Ende gehen: Nach über 34 Sende-Jahren und 1.757 Folgen. Seit knapp eineinhalb Jahren sind wir ja schon darauf vorbereitet worden, aber nun ist er da - der allerletzte Lindenstraßen-Sonntag. Woche für Woche um punkt 18.40 (später 18:50) saß ich vor dem Fernseher, jahrelang.

Erste deutsche Seifenoper

Nach dem Vorbild der britischen Soap Opera „Coronation Street“, beschloss Regisseur Hans W. Geißendörfer, damals eher bekannt aus dem Autor*innenfilmumfeld des „neuen deutschen Filmes“, dass die Zeit für so eine „Seifenoper“ auch im deutschen Fernsehen reif sei, nämlich Menschen wie du und ich in einer Münchner Straße beim Leben zusehen. Die Kritiken waren vernichtend. Bemängelt wurde unter anderem die schlechte Machart, die schauspielerische Leistungen und vor allem aber die miefige Realitätsnähe zum Leben deutscher Kleinbürger*innen. Spießbüger*innentum pur!

Hans W. Geißendörfer

APA/dpa/Henning Kaiser

Lange ließ auch die Kritik der Bewahrpädagog*innen nicht auf sich warten (Voyeurismus! Menschenverachtung, schlechte Vorbilder!), doch die Zuschhaue*innenrzahlen gaben Geißendörfer recht. Knapp 15 Millionen Menschen saßen anfangs vor den Bildschirmen, vom Second Screen sollte noch lange keine Rede sein.

Die Lindenstraße - das war auch die Geschichte Deutschlands seit den 1980er Jahren, immer durch die Brille ihres leicht pädagogisch-didaktischen Patrons und Alt-68ers Geißendörfer, der Mann der die Strickmütze schon vor DJ Ötzi populär machte. Heute würde man ihn wohl den typischen „Alten weißen Mann“ nennen.

Max Goldt: Jeden Sonntag Bin Ich Glücklich..

Interessanterweise war die Serie in der Gegenkultur aber so populär, dass sogar der autonom organisierte, also nicht von den Macher*innen der Serie in Auftrag gegebene, Punk-Sampler „Wir warten auf die Lindenstraße“ erschien - mit Songs zur und über die Serie von „Den Goldenen Zitronen“, „Die Ärzte“ oder Max Goldt, den man heute noch öfters ganz hinten in der Grabbelkiste auf Flohmärkten findet. Heute würde man das wohl „Camp-Faktor“ nennen und Guilty Pleasure Analysen lesen.

Von konservativ eingestellteren Menschen wurde die Serie einerseits zuerst abgelehnt, weil sie wenig wertend private Dramen wie Ehebruch oder Spielsucht darstellte, andererseits aber auch dem Alltagsrassismus und etwas grell dem wachsenden Rechtsradikalismus nach der Wiedervereinigung den Spiegel vorhielt. Als die Gesellschaft in den 1990ern in gesellschaftspolitischen Fragen zumindest vordergründig immer offener wurde, wich die Skepsis gegenüber der Lindenstraße einer Gleichgültigkeit, mit der man sie allzu gerne in eine Schublade mit den neuen Daily Soaps des Privatfernsehens wie „Unter uns“ oder GZSZ ablegte.

Soap plus Autorenfilm und Sozialkritik minus Lifestyle: So lautete die Definition der „Jungle World“ zum 15-jährigen Jubiläum der „Seifenoper“. Die Serie wurde langsam, aber sicher im medialen Diskurs immer unwichtiger, am „Wetten, dass…“ Sofa nahmen längst internationale Stars Platz. Hippnessfaktor eines Lindenstraßenschauspielers? Ging gegen Null.

2008 stellt sich die neue fünfköpfige Familie Stadler in der ARD-Serie "Lindenstraße" vor.

dpa/A3637 Jörg Carstensen

Die Zeiten, als die resolute Hausmeisterin Else Kling Werbung für eine große Milchmarke machte, sind lange vorbei. In den letzten Jahren sah man Lindenstraßen Schauspieler_innen eher bei Abnehmshows oder in Sendungen wie „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“.

„Findhund“ und „Spacehorst“

Als dann 2015 Geißendörfers Tochter Hanna das Ruder übernahm, wollte man die junge Zielguppe – Indie-Musik, Jump Cuts, Drohneflüge über München. Viele Jahre hatte man sich dagegen gewehrt, doch irgendwann sind dann doch Glasfaserkabel und soziale Medien in die Münchner Straße (die ja eigentlich all die Jahre in Köln gedreht wurde) eingezogen. Als die meisten Zuseher*innen schon Smartphones hatten, wurde in der guten, alten Lindenstraße noch mit Klapphandy telefoniert. Die Suchmaschinen hießen „Findhund“ und Freund*innen suchte man mit dem sozialen Netzwerk „Spacehorst“, es gab Influencer*innen und Shitstorms. Aber es half alles nichts, drei Jahre später wurde publik, dass die Fernsehprogrammkonferenz der ARD mehrheitlich gegen eine Verlängerung des Produktionsvertrags entschieden hatte.

Und jetzt ist es da, das Ende der Serie, die viele nun „Kultserie“ nennen. Geplant hatte ich eine Mini-Party mit ein paar Lindenstraßenfans, die, wie ich, all die Jahre dabeigeblieben sind. Geworden ist daraus nun eine Zoom-Meeting - wenn ich mal herauskriege, wie man eine Sitzung einrichtet. Ich freue mich schon auf meine virtuellen Lindenstraßenfreund*innen in der Galerieansicht.

Schade, dass es vorbei ist. Wie die Autor*innen der Lindenstraße wohl die Plattform „Zoom“ genannt hätten? Wir werden es nie erfahren.

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