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Jugoslawische Truppen an der Kroatisch-Slowenischen Grenze im Juli 1991.

JOEL ROBINE / AFP

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„Familienroman“ gibt einen Einblick in 50 Jahre Jugoslawien

Fast dreißig Jahre ist es her, dass Jugoslawien zerfallen ist. Das war 1991. Davor war Jugoslawien zuerst ein Königreich, dann sozialistischer Staat unter Diktator Josip Broz Tito. Über vieles dieser Vergangenheit wird geschwiegen. Die kroatische Autorin Ivana Sajko aber will darüber reden.

Von Diana Köhler

In „Familienroman“ von Ivana Sajko schauen wir auf die Geschehnisse in Kroatien und Ex- Jugoslawien von 1941 bis 1991 und darüber hinaus. Die Autorin erzählt wie 1941 die Deutschen in Kroatien einmarschieren. Von den jugoslawischen Partisanen und dem Schriftsteller Ivan Goran Kovačić, der sie in die Schützengräben begleitet hat. Die Partisanen sind die erste große Befreiungsbewegung gegen die Nazis und die von den Nazis eingesetzte, rechtsextreme Ustascha. Ivana Sajko erzählt von der Hoffnungslosigkeit und Brutalität des Zweiten Weltkriegs.

„Es gilt, leere Taschen zu überleben, Schuhe voller Löcher. Dünne Wintermäntel und das chronische Misstrauen gegenüber der Behauptung, dass es morgen besser werde. Es wird nicht besser.“

Sie erzählt auch von Flutwellen auf Zagreb: 1964 ist der Fluss Save über die Ufer getreten und hat die ganze Stadt überschwemmt. Die Bewohnerinnen und Bewohner wurden mitten in der Nacht vom Wasser überrascht.

Buchcover "Familienroman"

Voland&Quist

„Familienroman“ ist bei Voland&Quist erschienen.

Einblick in 50 Jahre

Im Buch werden drei Geschichten miteinander verwoben. Die Geschichte der Familie von Ivana Sajko, der Stadt Zagreb und eine eigene Auswahl von Ereignissen und historischen Dokumenten. Es ist nicht immer leicht, den Erzählsträngen zu folgen, denn sie wechseln sich ab, Protagonistinnen und Protagonisten tauchen auf und verschwinden plötzlich wieder. Zusammen mit der Autorin streifen wir durch 50 Jahre, bekommen aber nur kurze Einblicke in einzelne Szenen.

Es werden wenig bis keine Namen genannt. Oft ist nicht klar, wer gerade beschrieben wird. Ist es die Großmutter? Die Urgroßmutter? Der Vater? Wessen Vater? Es ist die Geschichte einer Familie, eines Landes. Und noch mehr.

Ein historischer Roman ohne Ideologie?

Ivana Sajko will aber nicht das tun, was in Schulen seit Jahrzehnten getan wird: Nur einen Blickwinkel darstellen je nachdem, wer gerade regiert. Es gäbe unzählig viele Arten über Tatsachen zu sprechen, sagt sie. Und keine davon bilde die Wahrheit ab: „Jeder hat sie den eigenen Kindern auf andere Weise erzählt“. Deswegen hat die Autorin absichtlich historische Dokumente, Kommentare, Erinnerungen und Sätze ausgewählt, die miteinander in Konflikt stehen. Diese reiht sie an emotionale Erzählungen und Szenen: Eine verbotene Liebe zwischen Partisanen. Szenen einer Ehe nach dem Krieg. Ein Mädchen, das glaubt fliegen zu können und Zagreb von Himmel aus zusieht.

„Sie läuft über die Wolken und denkt, dass alles möglich ist. Sie denkt, dass sie denkt, und sie ist nicht dumm, sondern sehr weit oben. Und es ist Frühling.“

Für Ivana Sajko ist dies die einzige Möglichkeit, einen historischen Roman zu schreiben. Denn nur so könne die Komplexität eingefangen werden. Sie versucht, jegliche Ideologie oder jegliches Genre zu vermeiden. In „Familienroman“ will sie über das sprechen, worüber die eigenen Eltern schweigen.

Klarer Titel

Ivana Sajko wurde 1975 in Zagreb geboren und lebt heute in Berlin. Simple Titel sind ihr Ding. 2013 war sie Stadtschreiberin in Graz und ihr Buch „Liebesroman“ wurde mehrfach ausgezeichnet. „Familienroman“ ist 2009 in Kroatien erschienen, jetzt auch auf Deutsch: aus dem Kroatischen übersetzt von Alida Bremer.

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