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MARC CARNAL

Unsolved Mysteries: Die beiden Ungarn und das Grimen-Bett

Warum fahren zwei junge Männer aus Ungarn durch Wien und kaufen sämtliche Grimen-Betten auf?

Kolumne von Marc Carnal

Willhaben! Bücher könnte man füllen mit willhaben-Erlebnissen! Und zwar ausgesprochen dicke Bücher mit ganz kleiner Schrift. Schon mein erster willhaben-Deal ist eine Erwähnung wert: Einst beschloss ich, meine staubigen Hanteln zu verkaufen, weil ich nur ein einziges Mal damit trainiert hatte. Die Käuferin, die mir heiße sieben Euro dafür zu zahlen bereit war, schlug eine Übergabe am Hauptbahnhof vor. Ich wohnte damals im 18. Bezirk. Als ich mit den fucking Hanteln die dreiviertelstündige Fahrt auf mich nahm, dachte ich mit den beiden jeweils vier Kilo schweren Hanteln auf meinem Schoß: „Ich bin echt ein Trottel.“

Aber Leute in die eigene Wohnung zu bitten ist auch nicht immer der Burner! Einmal verkaufte ich ein Theremin. Die Käuferin, die der Esoterik nicht abgeneigt wirkte, trat ein und testete es in meiner Küche. “AIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII IIIIIIIIIUUUUUUUUUUUUU” machte das seltsame Instrument. Die seltsame Frau spielte es entrückt und mit geschlossenen Augen. Nach zwanzig Minuten wurde es mir zu bunt und ich fragte sie, wie lang sie denn noch spielen wolle. Keine Reaktion. Anscheinend hatte sie sich mit den Science-Fiction-Klängen selbst in Trance versetzt. Irgendwann riss sie jäh die Augen auf und meinte: “Ich nehme es”. Dann begann sie ungefragt, meine Wohnung auszupendeln und meinte, ich würde auf einer riesigen Wasserader schlafen.

Ein andermal kaufte ich ein Akkordeon von einem Udo-Jürgens-Double, das nicht nur eine EXTREM leise Stimme hatte, sondern auch unter einer Art Symmetrie-Zwang litt. Alles in seiner winzig kleinen Wohnung war symmetrisch. Hing zum Beispiel auf der einen Seite ein Bilderrahmen, war auf der Wand gegenüber ein deckungsgleicher an der selben Stelle angebracht. Das Sofa stand exakt unter dem einen Fenster, das natürlich auch exakt in der Mitte der Außenmauer war. Der arme Kerl musste lange gesucht haben, um eine Wohnung zu finden, die seinen seltenen Ansprüchen genügte. Zu gerne hätte ich in die Küche geschaut! Jedenfalls war es mir sehr unangenehm, einen der vier Sessel unter dem (natürlich mittig aufgestellten) Tisch hervorzuziehen, um darauf probezuspielen. Aber ich war mutig, zerstörte die Symmetrie und musizierte kurz, um den Klang der Harmonika zu testen. Udo Jürgens setzte sich zwei Zentimeter vor mich und hörte gebannt zu. Brrrrr! Aus seinem Mund roch es wie aus einem alten Geschirrspüler. Als ich fertig war, flüsterte er: “Sehr schön spielen Sie.”

Aber jetzt zum großen Grimen-Mysterium:

Beginn der Haupthandlung

Noch vor der Corona-Krise war ich Kaffeetrinken bei meiner lieben Freundin M., da wurde ich in eine willhaben-Causa verwickelt. Sie hatte ihr Bett, nämlich das Ikea-Bett Grimen, für hundert Euro inseriert. Ein ungarischer Herr hatte sich mit Kaufinteresse gemeldet. Ein bisschen suspekt war es schon, dass der Interessent den langen Weg von Györ auf sich nehmen wollte, um ein gebrauchtes Bett zu kaufen.

Wir soffen Kaffee, als der Käufer eine halbe Stunde vor dem vereinbarten Termin anrief und die Übergabe bedauernd absagte. Er und sein Kollege hätten den Schlüssel zu ihrem Wiener Büro nicht mit und im Kofferraum ihres Autos liege blöderweise bereits ein anderes Grimen-Bett. Sie wollten M.s Grimen-Bett aber trotzdem unbedingt kaufen und waren bereit, den Hunnie sogleich zu überweisen. Abholen wollten sie das Bett dann zwei Wochen später. Um zu beweisen, dass sie nicht flunkerten, schickten sie folgendes Foto, das tatsächlich die Teile eines anderen Grimen-Betts in der selben Farbe im Kofferraum eines Autos zeigte:

Bett in einem Kofferraum

mc

M. willigte ein, das Bett zu reservieren. Wir wunderten uns, dass der Ungar und sein Kollege so scharf darauf waren, wenn sie doch eh schon ein deckungsgleiches Teil im Kofferraum hatten. Aber gut. M. schickte sich gerade an, ihm wie versprochen die Kontodaten zu übermitteln, als das Handy erneut klingelte. Es war wieder der Ungar!

Plot-Twist!!!

Die beiden Typen hatten den Schlüssel für das “Wiener Büro” jetzt doch gefunden und wollten das Bett sofort abholen.
Wir waren sehr gespannt, was für Kerle das sein mochten, die unbedingt ein zweites Grimen-Bett brauchten.

Es läutete an der Tür. Zwei schmächtige, eher schüchterne Typen um die Dreißig standen da vor uns, sahen sich das Bett an und einigten sich auf Ungarisch schnell, es kaufen zu wollen. Zu viert begannen wir mit der Demontage. Nachdem die beiden bezweifelten, den Lattenrost in das Auto zwängen zu können, zerlegten wir auch den. Dabei gingen wir sehr dilettantisch vor. Auf Deutsch meinte ich zu M.: “Den kriegen die nie wieder zusammengebaut!”

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Schien ihnen aber egal zu sein. Ich fragte sie neugierig, wofür sie eigentlich zwei Grimen-Betten brauchten. Die beiden sagten nichts. Ich fragte nochmal beiläufig nach. “You already have the same one?” Da lächelte der eine vieldeutig und meinte: “My friend has a few of them.”
Aha.

Wir trugen die vier mit Stoff überzogenen Teile, die den Rahmen bildeten, sowie den in seine Einzelteile zerlegten Lattenrost zum Auto. Es handelte sich um eine Angeber-Karre erster Güte, einen zwielichtigen Proll-BWM, in dessen Kofferraum zwar Geldkoffer, illegale Waffen oder Leichenteile passen mochten, aber keinesfalls ein ganzes Bett. Die Ungarn versuchten dennoch, es reinzustopfen. Sie drückten und pressten und stopften, bis irgendwann laut knacksend Teile des Lattenrostes zerbrachen. War ihnen wurscht, sie wendeten weiter unbeholfen Gewalt an, bis sie nach Umlegen des Beifahrersitzes und zahlreichen Tetris-Übungen irgendwann den winzigen Kofferraum-Deckel zudrückten.

Ohne Murren&Meckern überreichten sie M. hundert Euro und verabschiedeten sich.
Zurück in der Wohnung hatten wir die Idee, auf willhaben nach weiteren in Wien inserierten Grimen-Betten zu suchen. Ich fand zwei weitere und rief aus Jux die Verkäuferinnen an. Beide waren im ersten Moment etwas perplex ob meiner Frage, bestätigten mir dann aber sogleich, am selben Tag Besuch von zwei Ungarn gehabt zu haben, die ihnen das Bett abgekauft hatten.

Im Raum schwebten nun zwei Fliegen, ein bisschen Staub vom Bett-Abbau sowie die entscheidende Frage: Was machen zwei schmächtige ungarische Männer um die Dreißig, die einen Rotlicht-BMW fahren, mit mehreren Grimen-Betten aus Wien, wo sie laut Eigenaussage ein “Büro” unterhalten? M. und ich tranken noch einen Kaffee und stellten sieben Theorien auf:

1. Die beiden betreiben ein Bordell und wollen mehrere Zimmer mit Grimen-Betten ausstatten, weil diese als stabil genug für akrobatischen Beischlaf gelten, aber dank des abnehmbaren Stoffüberzugs auch gut von eingetrockneten Körperflüssigkeiten zu reinigen sind.

2. Die beiden sind gewiefte Trickdiebe, die sich eine recht extravagante Storyline überlegt haben, um ihre Opfer auf eine falsche Fährte zu locken. Mit ihrem fingierten Hardcore-Interesse an Grimen-Betten und dem gemeinsamen Abbau haben sie auch M. und mich hinreichend abgelenkt, um in aller Seelenruhe Wertgegenstände aus den Kommoden fischen zu können.

3. Am Wiener Westbahnhof ist die erste Innenstadt-Filiale von Ikea in Planung. Die Nachricht ist zwar bei vielen Ikea-Fans hängengeblieben, nicht aber das angepeilte Eröffnungsjahr 2021. Das haben sich die Ungarn zunutze gemacht. Bis zur tatsächlichen Eröffnung haben die zwei am Westbahnhof ein Geschäft namens IKAE mit blau-gelbem Logo eröffnet, wo sie die Kundschaft mit gebrauchten Ikea-Artikel und selbstgekochten Fleischbällchen täuschen.

4. Die zwei sind Schlepper. In den ausgehöhlten Grimen-Seitenteilen, die ideal dimensioniert sind für dünne, lange Menschen, schmuggeln sie Flüchtlinge über die Grenze. Bei den ungarischen Grenzbeamten gelten sie als verschrobene, aber unverdächtige Bett-Importeure ohne LKW-Führerschein. Die Betten-Einkaufstour in Wien war bitter nötig, weil die alten Grimen-Teile nach hunderten Fahrten schon verdächtig ausgebeult waren.

5. Die beiden Ungarn betreiben in Györ das weltweit erste Grimen-Museum. Es ist besonders unter Österreichern ein beliebtes Ausflugsziel, weshalb die zwei kürzlich ein Wien-Büro eröffnet haben.

6. Es handelt sich um Brüder. Am Sterbebett hat ihnen der siechende Vater gestanden, dass er einst das gesamte Millionen-Erbe in sein Grimen-Bett eingenäht hat. Blöderweise hat nach seinem Tod die Mutter ebenjenes Bett nach Österreich verkauft. Den beiden Ungarn bleibt also nichts anderes übrig, als systematisch alle hierzulande verfügbaren Grimen-Betten aufzukaufen und zu hoffen, in einem davon massig Kohle zu finden. Deshalb sind ihnen die dazugehörigen Lattenroste auch ziemlich egal.

7. Die beiden sind ungarische Regisseure und drehen gerade einen Low-Budget-Film. In einer Szene kracht die von einem Stuntman gedoubelte Hauptfigur als Höhepunkt einer Verfolgungsjagd durch die Decke eines baufälligen Hauses und landet in einem Grimen-Bett. Weil die Szene zuerst geprobt und dann mehrere Male gedreht werden muss, suchen die beiden dringend nach möglichst vielen gleichen Grimen-Betten, die vom herabfallenden Stuntman allesamt zerstört werden.

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