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MARC CARNAL

Diese Speisen sind fiese Speisen

Es folgt eine umfassende Kritik an einem beknackten Wikipedia-Artikel, die in einer Aufzählung von Speisen mündet, die schwierig zu vertilgen sind.

Eine Kolumne von Marc Carnal

Gestern klickte ich im Internet vor mich hin. Da stieß ich auf einen Wikipedia-Artikel und dachte mir sinngemäß: Ja scheiß mich doch kreuzweise an, du heiliger Bimbam, was ist denn das für ein komischer Wikipedia-Artikel?!

Bevor ich den komischen Artikel las, wollte ich aber noch herausfinden, woher denn der antiquierte Ausruf “du heiliger Bimbam” kommt. Viel zur Bimbam-Etymologie findet man online nicht, die Seite redensarten-index.de behauptet aber: “Die Redensart ist eine ironisierende und scherzhafte Version der in früheren Jahrhunderten üblichen Anrufungen von Heiligen. Eine frühere versteckte sexuelle Nebenbedeutung ist möglich, da ‘Bimbam’ umgangssprachlich auch für Penis oder Hodensack stand.”

Das wiederum wollte ich im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm überprüfen. Dort steht unter “Bimbam” zwar allerlei Uninteressantes über Glockengeläut, doch nichts von Penis. Nachdem ich aber schon dabei war, nutzte ich die Gelegenheit und durchsuchte das Grimm-Wörterbuch nach Penis-Synonymen aus dem 19. Jahrhundert.

Und hier ist das Ergebnis meiner Recherche: Unsere Ahnen haben zu Penis unter anderem

  • Bruchdegen
  • Brünzel
  • Dinglein
  • Fleischbeil
  • Götzenjäckel
  • Nachtgeschwulst
  • Schlenkerbraten
  • Schnippel
  • Trommelschlägel oder
  • Wünschelstab
    gesagt.

Die Gebrüder Grimm waren eben nicht nur liebe Märchenonkel, sondern haben auch munter Schwanz-Synonyme für die Nachwelt aufgeschrieben. Wobei die allermeisten Grimm-Märchen irgendwie auch als Penis-Bezeichnungen durchgehen würden, zum Beispiel “Rotkäppchen”, “Rumpelstilzchen”, “Das tapfere Schneiderlein”, “Froschkönig” “Der treue Johannes”, “Rapunzel” oder “Der kleine Däumling”.

Aber Schluss mit dem minenreichen Themenfeld Grimm&Penis, zurück zu jenem Wikipedia-Artikel, bei dessen Lektüre ich sinngemäß dachte: Bei meinem Götzenjäckel, was soll denn DAS für ein Brünzel von einem Wikipedia-Artikel sein?! Er heißt: Schwierige Speisen

Es muss jetzt bitte niemand auf den Link klicken! Ich zitiere einfach mal den ersten Satz, der den Artikel ganz gut zusammenfasst: “Als schwierige Speisen werden Gerichte bezeichnet, deren Verzehr Schwierigkeiten in Bezug auf die Einhaltung der Tischsitten beziehungsweise das rein technische Meistern des Verzehrs für ungeübte Personen birgt. Dazu gehören etwa Brot, Eier, Salat und Suppe.” Daneben ist ein Foto von einem Hummer, Bildunterschrift: “Der Hummer ist eine klassische schwierige Speise.”

Entschuldigung, aber… echt jetzt? DER Artikel geht für die strengen Wikipedia-Zensoren als daseinsberechtigt durch?
Es wird noch besser: Der Unterpunkt “Verwendung” beginnt mit dem Satz: “Der Begriff wird in der Literatur, bei der es sich überwiegend um Ratgeber zur Einhaltung gesellschaftlicher Etikette handelt, unterschiedlich eingegrenzt.” Aha.

Die zweite und auch schon letzte Zwischenüberschrift lautet “Rezeption in Kunst und Kultur” und wird so eingeleitet: “Das Ringen mit schwierigen Speisen ist ein beliebtes Motiv in Komödien und Gesellschaftssatiren, häufig gemeinsam mit dem übergeordneten Thema der Einhaltung von allgemeinen Umgangsformen.”

Ringen mit schwierigen Speisen, sehr schön! Nicht nur in Komödien, auch in der Heimquarantäne hört man oft Sätze wie ”Schatz, ich komm gleich in den Garten, ich ringe noch mit einer schwierigen Speise!”

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Noch ein gutes Zitat: “Schwierige Speisen sind nicht zu verwechseln mit schweren Speisen, einer Bezeichnung für gehaltvolle und/oder schwer verdauliche Gerichte.”
Wirklich ein häufiger Fehler. “Frau Ober, das Cordon Bleu war köstlich, aber etwas schwierig OH ICH MEINE NATÜRLICH SCHWER, sorry, mein Fehler!” “Danke, ich sag das lieber nicht dem Koch, der ist ein etwas… schwerer Typ.”

Die Beispiele für schwierige Speisen, die neben Brot (?), Eier, Salat und Suppe (???) angeführt werden, lauten: Schalen- und Krustentiere, Geflügel mit Knochen, Spaghetti und Weißwürste. Ok, so einen Hummer snackt man natürlich nicht nebenbei ohne Hinschauen weg und ein Hendlhaxn kann tückisch sein, aber Spaghetti und Weißwürste? Jedes Kind kann Spaghetti und Weißwürste Knigge-proofed schlürfen oder zuzeln.

Wenn der Artikel schon nicht (verdientermaßen) gelöscht wird, möchte ich Wikipedia wenigstens dazu auffordern, die Beispiele zu überdenken und tatsächlich schwierige Speisen anzuführen.

Wirklich schwierig zu essen ist zum Beispiel ein Burger, der ein zu dickes Fleischlaberl mit einem fetten Cheddar-Ziegel, Guacamole, vierzehn Gemüse-Sorten und gebratenem Speck in einem Brioche-Bun vereint. Wie soll man sich das halbwegs anständig einverleiben?! Schwierig ist es auch, ein Leberkas-Semmerl zu vertilgen, wenn seitens der Feinkost dem Wunsch “Mit wenig Senf” nicht entsprochen wurde und bei den letzten Bissen tubenweise Estragon aus den Semmelresten quillt. Ein ähnlicher Effekt kann auch eintreten, wenn man auf der Straße eine Nutella-Crêpe mit zu viel Nutella drinnen frisst.

Im Reich der Süßspeisen gibt es überhaupt sehr viele Beispiele von schwieriger bis unmöglicher Handhabung. Zuckerwatte verklebt die Gosche samt Nase, Augen und Frisur. Ein Muffin mit Creme obendrauf kann zu Malheurs führen, die nur bei 60 Grad wieder rausgehen. Zu hart gefrorene Eiskugeln auf zu flachen Tellern, die z.B. im Rahmen eines Bananasplits serviert werden, mit einem Löffel zu essen, ist minutenlang ein Ding der Unmöglichkeit. Nächstes Beispiel: In der Konditorei werden die Tortenstücke immer dünner (eine Frechheit!) und man scheitert mittlerweile garantiert daran, unfallfrei was vom stehenden Tortenstück abzugabeln. Man muss es vor dem Genuss umschmeißen und das gehört sich nicht in der Aida. Noch ärger sind Cremeschnitten! Die einzelnen Teigschichten sind so hart, dass es eine mords Sauerei ist, wenn man versucht, was runterzuschneiden. Es ist aber auch eine mords Sauerei, wenn man einfach reinbeißt.

Eine ebenso große Sauerei wie beim halbjährlichen Wrap-Desaster: Durchschnittlich alle sechs Monate glaubt man, es wäre eine gute Idee, die Gemüse-Reste aus dem Kühlschrank zu schaben und in Fertig-Wraps zu stopfen. Man stopft immer zu viel rein, kann die Dinger nicht korrekt falten und hat nach zwei Bissen 40 Prozent der Füllung am Teller, 35 Prozent auf den Händen und 25 Prozent im Gesicht.

Blöd ist auch, wenn man Fleischspieße bestellt, die einzelnen Puten-Quader dann runterschieben will und sie wg. zu viel Druck durchs ganze Lokal schießt. Und das ist noch gar nix gegen die Königsdisziplin, gegen die es ein Leichtes ist, japanisches Nattō mit Stäbchen zu essen: Man kommt zu spät auf eine Grillfeier und soll dann im Dunkeln mit Plastikbesteck undefiniertbare, kalte Grill-Reste auf einem dünnen Plastikteller schneiden, den man am auf dem Schoß balanciert. DAS ist eine schwierige Speise.

Ich ersuche Wikipedia, den bisherigen Artikel “Schwierige Speisen” einfach nur meinen letzten Absatz zu ersetzen. Danke!

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