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Thundercat lässt uns in „It Is What It Is“ über tragische Dinge lachen

Thundercat ist ein Funk-Gott, der unter dem Titel „It Is What It Is“ zum vierten Mal musikalische Botschaften in Albumform von George Clintons Mothership in Richtung Erde sendet, virtuos, komisch und tragisch

Von Natalie Brunner

„It Is What It Is“ ist Thundercats viertes Album, co-produziert wieder von seinem Freund, Kollegen und Mentor Flying Lotus. Auch jede Menge Gäste sind auf „It Is What It Is“ zu hören, darunter auch Childish Gambino und Lil B.

Das Feuer meiner Verehrung loderte bereits bei der Veröffentlichung der ersten Single „Dragon Ball Durag“, als Thundercat zu Klängen, die an Sweet Sweet Love Makin erinnern, so ekstatisch, dass es psychedelisch wird. Es erinnert an Smooth-Funk-Pop der 80er Jahre, die Art von Musik, die Mama hörte.

Textlich gibt die Donnerkatze den Protagonisten seines Songs der Lächerlichkeit preis, in dem dieser sich selbst versichert, wie gut er in seinem Dragon Ball Durag aussieht:

I feel kinda fly standing next to you
Baby girl, how do I look in my durag?
Would you tell me the truth?
Stay with me and love me through the night

Thundercat schafft es, in vier Zeilen ironisch, lustig, selbst-reflexiv und politisch zu sein, allein schon, weil ein Durag sozial-politisch extrem aufgeladen ist.

Die Kontroverse um den Durag

Um die Verwendung von “politisch“ zu legitimieren, sei ein kleiner Exkurs an dieser Stelle gestattet: Ein Durag ist ein sozial-politsch aufgeladenes Kleidungsstück. Durags wurden ursprünglich im 19. Jahrhundert von afroamerikanischen Arbeiter*innen und Sklav*innen getragen. In den 1930er-Jahren, während der Harlem-Renaissance, wurden die Durags zur Erhaltung der Frisuren verwendet.

Nach der Black-Power-Bewegung in den späten 1960er Jahren wurden die Durags unter den Afroamerikaner*innen zu einem politischen Modestatement, das von afro- amerikanischen Rappern und Sportlern getragen wurde und dadurch Teil des globalen HipHop-Fashion-Kanons wurden. Im Jahr 2001 verbot die National Football League ihren Spielern das Tragen von Durags und Bandanas unter den Helmen. Erst letztes Jahr sorgte das Durag-Verbot einer High School in Kalifornien für USA weite Rassismusdebatten und Student*innen-Proteste. Die Schulverwaltung argumentierte die Kopfbedeckung wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gangkultur zu verbieten, was eine De-Facto-Gleichsetzung von afro-amerikanischen Kleidungscodes und Gangkultur ist.

Ich weiß nicht, ob Thundercat die ganze Durag-Kontroverse referenziert und auf seine Weise humorisierend kommentiert, in dem er von dem ihm, wie er glaubt, magische sexuelle Anziehungskräfte verleihenden Dragon Ball Durag singt. Dragon Ball jedenfalls ist eine Manga- und Anime-Serie, die seit 1984 Menschen über ihre Kindheit hinaus begeistert.

Das Video zu „Dragon Ball Durag“ ist ein Geschenk für jedes Lebewesen, das jemals von männlicher Selbstüberschätzung belästig wurde, und rückt Thundercat für mich in die Sphären des großen Komikers Dave Chappelle, Humor, der uns über Dinge, über die wir eigentlich 24/7 weinen könnten, schmunzeln lässt: Rassismus, Sexismus, Homophobie und Kapitalismus geförderte Dummheit.

In den Sphären von Dave Chapelle

Thundercats selbst-, medien-, und kapitalismus-ironisches Männlichkeitsbild gehört zum progressivsten, was mir in letzer Zeit von nicht genderqueeren Künstler*innen untergekommen ist.

Ich danke ihm aus tiefster Seele, dass er eine Person darstellt, die in einem Mickey-Mouse-Gucci-Seidenhemd in einen Müllcontainer springt, um weibliche Wesen auzuspionieren und mit seinen Avancen zwangszubeglücken. Er trägt sein Bling-Bling-Gucci gekonnt als Statement, um alle, die es ernst meinen, zu ärgern, und sieht dabei natürlich auch großartig aus.

Wer jetzt das Bedürfnis nach mehr Spaß mit Thundercat hat, dem sei diese Freestyle-Session in „The Cave“ von Producer Kenny Beats empfohlen.

Ein Erbe von George Clinton

Thundercat ist ein Anime-besessener Erbe des Afro-Futurismus von George Clinton. Er wurde 1984 als Stephen Bruner in eine Musiker*innen-Familie hineingeboren, was alle Punkte seiner Biographie, genauso wie sein ästhetischer Referenzkosmos nachvollziehbar macht.

Er ist ein musikalisches Wunderkind, das der Welt nichts beweisen muss, und deshalb als virtuoser Jazzbass so viel Spaß als Tourmitglied der Thrash-Punk-Legende Suicidal Tendencies haben kann. Nach ein paar Jahren des Spielens von in die Jahre gekommenen Teenage-Rebellion-Hits wird er zu Erykah Badus und Snoop Doggs Tourbassisten. Bruner war an der Entstehung der Alben seines Freundes und Labelchefs Flying Lotus beteiligt, genauso wie an Badus „New Amerykah“ und laut Kendrick Lamar maßgeblich an „To Pimp a Butterfly“, wofür Thundercat auch einen Grammy bekam.

Komik maskiert Tragik

Das IT im Albumtitel „It is What It Is“ kann sehr Unterschiedliches sein. Thundercat ist lustig, angespannt, traurig und auch verzweifelt. Hinter all den Possen steht auch der Versuch, wie man mit Verlust und Trauer leben kann.

Über „It is What It Is“ schreibt er in einem Brief an Presse und Hörer*innen : „Dieses Album handelt von Liebe, Verlust, Leben und den damit verbundenen Höhen und Tiefen. Es ist ein bisschen augenzwinkernd, aber an verschiedenen Punkten im Leben stößt man auf Orte, die man nicht unbedingt versteht...“

Manche Dinge sind einfach nicht dafür gedacht, verstanden zu werden.

Die Nummer Fair Chance ist dem verstorbenen Rapper Mac Miller gewidmet, mit dem Thundercat auf Tour war.

Das knapp eine Minute lange Stück „Existential Dread“ gibt Anweisungen, wie man eine Panikattacke übersteht, es ist Thundercats Mantra, sich selbst aus einer solchen herauszuziehen.

„Black Qualls“ ist eine Nummer darüber, dass auch Reichtum nicht vor Rassismus schützt und die Traumatisierung heilt. Sie vereinigt drei Generationen von Funkmusikern, welche die gleichen Erfahrungen gemacht haben dürften, die Childish Gambino und Thundercat in ihrem Song artikulieren: Steve Lacey von The Internet, Syd the Dude, Odd Future-Producer und Steve Arrington von der 80er-Jahre-Band Slave.

Just moved out the hood
Doesn’t mean I’m doing good
Wanna post this on the ‚Gram but don’t think I should
Is it just me or am I paranoid?
Gotta keep it on the low ’cause I’ve been robbed before

Das futuristisch-jazzige Stück „Interstellar Love“ wird seinem Namen gerecht: schwerelose Liebe, eine futuristisch und auch klassiche Funk-Jazz-Visions in eine andere Galaxie, in die ich jederzeit sofort aufbrechen möchte, und sei es auch nur für die Spielzeit des 15 Stücke umfassenden „It Is What It Is“.

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