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Szenen aus Kill Bill

Sony Pictures

Die Heimkino-Tagebücher: Ein Wiedersehen mit „Kill Bill“ Vol. 1 und 2

Kung-Fu-Wahnwitz, feministische Gesten und die schönste Filmszene der Nullerjahre: Quentin Tarantinos Verbeugung vor dem asiatischen Genrekino ist extrem gut gealtert.

Von Christian Fuchs

Vor ein paar Tagen formulierte meine Kollegin Alex Augustin eine dieser typischen Fragen, wie sie derzeit auf Facebook kursieren: Welche ist eure Lieblingsfilmszene? Es hagelte unter dem Posting schnell Videolinks, viele davon naheliegend, manche besonders obskur. Mich brachte Alex aber ernsthaft zum Grübeln. Unmöglich, dachte ich mir im ersten Moment, aus so unglaublich vielen Lieblingsfilmszenen meinerseits eine auswählen.

Aber dann tauchte vor meinem geistigen Auge eine Sequenz auf, die mir auch beim dreimaligen Ansehen eine Träne entlockte. Vor purer Ergriffenheit und Freude. Ich hatte jetzt zumindest meine Lieblingsfilmszene der Nullerjahre parat.

Uma Thurman liegt darin einige Meter tief unter der Erde, in einem stabilen Holzsarg, lebendig begraben von einem einst befreundeten Gangster (Michael Madsen), der sich zum Feind wandelte. Thurman, sie wird von ihren Gegnern in dem Film „The Bride“ genannt, hat bis zu diesem Zeitpunkt in „Kill Bill Vol.2“ schon einiges erlebt. Ein Massaker bei ihrer Hochzeit, das für sie mit einem Kopfschuss endete. Brutale Kung-Fu-Prügeleien. Ein Duell mit einer japanischen Schwertkampf-Meisterin. Jetzt soll die Braut in ihrem Sarg qualvoll ersticken.

Szenen aus Kill Bill

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Durchhalteparole aus dem Sarg

Wie sich Uma Thurman tatsächlich aus dem hölzernen Gefängnis befreit, das zelebriert Regisseur Quentin Tarantino auf unnachahmliche Weise. Bevor die Braut komplett dreckverschmiert aus dem Grab auftaucht, wie eine wandelnde Zombiefilm-Referenz, gibt es eine lange Rückblende nach China. Ein strenger, durchaus sadistischer Lehrmeister namens Pai Mei (gespielt von Kung-Fu-Legende Gordon Liu) führt Thurman in die Kunst der Selbstverteidigung ein. Am Ende der knochenharten Ausbildung lernt sie sagenumwobene Techniken, die ihr im Sarg das Leben retten.

Zur Gänsehaut-Musik des Großmeisters Ennio Morricone (aus dem Western „Il Mercenario“) beginnt die Braut auf das Holz einzudreschen, monoton, unnachgiebig, die Knöchel bald blutig und zerschrammt. Quentin Tarantino schafft mit der langen Sequenz vieles gleichzeitig: Er glorifiziert die mythischen Aspekte des Martial-Arts-Kinos, er hebt eine Frau im Actiongenre auf ein überfälliges Podest. Und er hämmert uns Zuseher*innen eine zentrale Botschaft ein: Auch wenn es ausweglos scheint, gib niemals auf. Das klingt nach simpelster Durchhalteparole, wirkt aber in beängstigenden Zeiten durchaus motivierend.

Die grandiose Szene animierte mich jedenfalls auch dazu, den Beamer in meinem cinephilen Homeoffice anzuwerfen und beide „Kill Bill“ Teile wieder anzuschauen, zum vierten Mal, erstmalig im Doublefeature allerdings. Ich hab mich dabei nicht nur erneut in meine Lieblingsfilmszene verknallt (inklusive feuchter Augen) sondern auch in diesen gesamten viereinhalbstündigen Kinotraum.

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Ein lustvoller Befreiungsschlag mit der Handkante

In „Kill Bill Vol.1“ präsentiert sich Quentin Tarantino 2003 von einer ungewöhnlichen Seite, wird vor allem im Rückblick klar. Bei aller Poppigkeit gehörte zu „Reservoir Dogs“, „Pulp Fiction“ und vor allem „Jackie Brown“ auch eine gewisse, ja, Zurückhaltung. Diese Filme, die den Regisseur in den 90ern zur Kultfigur machen, dehnen manchmal enorm die Zeit. Unterlaufen Erwartungshaltungen. Kokettieren mit Actionfilm-Klischees, die niemals eingelöst werden.

Das ist alles okay - und in seinem späteren Schaffen findet Tarantino zu dieser strengeren Attitude wieder zurück. „Kill Bill Vol.1“, diese lärmende Best-of-Compilation der überdrehtesten Kampfkunst-Zitate, wirkt aber wie ein lustvoller Befreiungsschlag mit der Handkante. Höchst körperlich, extrem plakativ, perfekt choreografiert. Inklusiver einer hinreißenden Anime-Sequenz, sprühenden Blutregen im Stil alter Samuraifilme, diabolischer japanischer Killer-Schulmädchen.

Dabei huldigt der Regisseur mit dieser Story einer Antiheldin, die quasi ihre eigene Ermordung rächt, nicht nur dem asiatischen Schundkino. Beide „Kill Bill“-Teile verbeugen sich auch vor Italo-Western, Giallo-Thriller oder Crime-Movies.

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Die Braut trägt gelb

Vor allem feiert Tarantino, berühmt geworden für seine geschwätzigen männlichen Gangstercharaktere, plötzlich unheimlich starke Frauen. Sicher, „Jackie Brown“ machte den Anfang dieser Phase, die uns auch großartige weibliche Figuren in „Death Proof“ und „Inglorious Basterds“ bescherte. Aber Uma Thurman, Daryl Hannah, Lucy Liu, Chiaki Kuriyama - diese Kombination ist immer noch einmalig. Ganz zu schweigen von dem berühmten Küchenfight mit Vivica Fox, bei dem man jeden Schlag im (Heim-)Kinosessel spürt.

Wer wie ich bei „Once Upon A Time in Hollywood“ von der gleißenden Schönheit vieler Bilder hingerissen war, kommt in „Kill Bill“ auch auf seine Kosten. Hier quatscht niemand endlos über Banalitäten. Es geht um die augenblendende Kombination von Farben, allen voran das gleißende Gelb von Uma Thurmans Bruce Lee-Anzug. Und natürlich das grelle Rot der Geysire von Hämoglobin. Das kühle Blau des nächtlichen Tokyo.

Mesmerisierend, verführerisch, betörend ist auch die Musik, die es in frühen Tarantinostreifen mehr auf ironische Lässigkeit anlegte. Da schwingt in vielen Tönen eine für den Filmemacher damals ungewohnte Melancholie mit. Eine fatale Schwermut, die typisch für das asiatische Genrekino ist, aus dessen Fundus sich ‚Kill Bill‘ bedient.

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Emotionen, Widersprüche, Ambivalenzen

In der fantastischen, allerdings viel ruhiger angelegten Fortsetzung wird dieses Gefühl von Todesnähe sogar überdeutlich. In den zentralen Szenen zwischen der Braut und Bill (David Carradine reißt Teil zwei beinahe an sich) steigert sich die Stimmung zu einer ungemeinen Dichte. Bevor der ehemalige TV-Shaolinmönch Kwai Chang Caine in einem Hotelzimmer in Bangkok auf gruselige Weise verstorben ist, holt ihn Tarantino noch einmal denkwürdig aus der Versenkung.

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Carradines Superman-Monolog, Uma Thurmans Begegnung mit ihrer kleinen Tochter, all das sind Kino-Momente für die Ewigkeit. „Kill Bill Vol. 2“ ist mehr als ein Kampfkunst-Gewitter, aber auch keine Lektion in purer Coolness wie die Erstlingsstreifen des Regisseurs. Der Film berührt, macht ergriffen, geht unter die Haut. Dazu tragen aber auch die Hintergründe rund um die Dreharbeiten bei, die man selbst beim restlos begeisterten Wiedersehen nicht verdrängen kann.

Zum einen wurde ausgerechnet dieses Racheepos voller feministischer Gesten, wie alle Tarantino-Werke bis zu „Once Upon A Time in Hollywood“, von Harvey Weinstein produziert. Zum anderen passierte hinter den Kulissen auch ein verheerender Unfall. Vom befreundeten Regisseur gedrängt, absolvierte Thurman einen Auto-Stunt selbst, der zu permanenten Nackenschäden führte.

Die Schauspielerin hat Tarantino mittlerweile vergeben. Ob es aber, als finalen Film in seiner Karriere, einen dritten „Kill Bill“-Streifen geben wird? Das steht in den Sternen. Die ersten beiden Teile darf man aber, inklusive aller dazugehörigen Ambivalenzen und Widersprüche, als Monumente des Nullerjahre-Kinos bezeichnen.

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In der neuen Ausgabe des FM4 Filmpodcast plaudern Pia Reiser und Christian Fuchs über Filme, die so richtig glücklich machen. Die Auswahl ist natürlich streng subjektiv, sehr gegensätzlich und durchaus nostalgisch: Gary Grant und Audrey Hepburn werden ebenso auf die Showbühne gebeten wie Bruce Lee und Superman, der rosarote Panther trifft auf Godzilla, in einem Café in Casablanca wird der Terminator in eine Screwball-Comedy verwickelt.

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