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Lady Bitch Ray

Alexander Fanslau

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Dr. Bitch Ray gibt in „Madonna“ Nachhilfe in Pop- und Gesellschaftskritik

Lady Bitch Ray ist nicht nur Rapperin, sondern hat auch einen Doktor in Sprachwissenschaften und jetzt schon ihr zweites Buch geschrieben. Nach „Yalla Feminismus“ ist jetzt „Madonna“ erschienen, in dem es aber nur am Rande um die Popikone selbst geht.

Von Diana Köhler

„Just like a prayer, your voice can take me there / Just like a muse to me / you are a mystery“, singt die 11-Jährige Reyhan Şahin in ihre Haarbürste. Sie bewundert Madonna, weil sie immer um einen Tick exklusiver und sexuell freizügiger war, als andere Popstars. Für ihre Freund*innen ist Madonna eine „lesbische Schlampe“. „Ja und?! Jetzt erst recht!“, denkt sich Reyhan.

Später wird aus Reyhan die Rapperin Lady Bitch Ray. Sie hat zwar alle Voraussetzungen für den Erfolg als Musikerin, ist exzentrisch und hat Ehrgeiz. Aber Lady Bitch Ray merkt, dass nicht jede Frau Madonna werden kann. Denn gerade für Frauen of Color, besonders für solche mit muslimischem und/oder türkischem Background gelten in der Öffentlichkeit und der Musikbranche andere Regeln. Und die waren und sind härter als die für weiße Frauen. Sie mussten dabei zwei Arten von großen Hindernissen überwinden: Die von ihrer eigenen Community und die der Mehrheitsgesellschaft.

Anfeindungen und Reclaiming

Lady Bitch Ray musste sich in ihrer aktiven Rap-Karriere vielen Anfeindungen und sogar Morddrohungen aussetzen. Nur weil sie explizit über Sex rappte und sich freizügig und lasziv zeigte. Das ist nämlich für viele anscheinend immer noch ein extremer Trigger. Noch während sie ihre Doktorarbeit geschrieben hat, gab es viele Beschwerden wegen ihrer Texte an der Universität. Lady Bitch Ray hatte Probleme im Job und bei der Wohnungssuche. Sogar die Beraterin im Jobcenter hat gefragt: „Warum haben Sie denn nicht den Mund gehalten?“ Aber Lady Bitch Rey musste sich fragen: “Kann ich so in Deutschland Musik machen? Und die Antwort war nein.“

Auch Madonna wurde immer wieder wegen ihrer Freizügigkeit angefeindet. Und auch sonst haben Madonna und Lady Bitch Ray mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick meinen würde. Beide sind sie Kinder von Einwanderer*innen und „reclaimen“ gewisse Begriffe und Symbole für sich. Das Reclaimen ist die positive Umdeutung von ursprünglich patriarchalischen, negativen Bezeichnungen oder Symbolen. Madonna zum Beispiel reclaimed das Kreuz und religiöse Symbolik für sich. Songs wie „Like a Virign“ oder „Like a Prayer“ kommen ja nicht von irgendwoher.

Lady Bitch Ray wurde schon früh als Schlampe, als Bitch beschimpft, weil sie sich auffällig und freizügig gekleidet hat und offen über Sex gesprochen hat. Slutshaming ist da das richtige Wort dafür. Den Begriff aber hat sie sich zu eigen gemacht und trägt ihn jetzt stolz im Namen. In „Ich bin ne Bitch“ rappt sie:

„Ich bin ne Bitch! Du meinst, dass du mich disst, nennst du Ficker mich Bitch? Junge die Wahrheit ist
Ich bin ne Bitch! Bitch ist für mich ein Trend, für mich ein Kompliment, Junge du bist verklemmt!
Ich bin ne Bitch! Pisser ich mach mein Ding, Nutte steht auf meinem Ring, keiner kann mich bezwingen!
Ich bin ne Bitch! Du willst wissen was ne Bitch ist, ha? Komm ich zeig dir was ne Bitch ist!“

Patriarchales Musikbusiness

Die Hindernisse durch Patriarchen im und ums Musikbusiness und Rassismus verarbeitet Lady Bitch Ray auch in ihrer Musik. Aber sie bleiben nicht ohne Folgen. Nach Jobverlust und Geldproblemen erkrankt sie an einer Depression. So laut und in-your-face das Buch auch ist, in diesem Kapitel wird es stiller und man erkennt, welchen Preis man zahlen kann, wenn man als Frau explizit und vulgär über Sex rappt. Über die Zeit damals sagt sie:

„Ich wollte nicht mehr Lady Bitch Ray sein. Ich konnte mich nicht länger unverstanden fühlen und mich nicht immer wieder erklären, mir nicht mehr Vergewaltigungs- und Morddrohungen, Hatespeech und Fremdzuweisungen anhören. Ich kam mir in der Deutschrap-Szene damals wie in einem Kindergarten voller kleiner Jungs vor, die die Mädchen an den Haaren zogen und dies auch noch witzig fanden, obwohl schon lange keiner mehr über ihre dummen Witze lachte.“

Kritik an der Ikone

Trotz der Bewunderung der Wandlungsfähigkeit und dem Auftreten ohne Kompromisse, hinterfragt Lady Bitch Ray Madonna auch kritisch. Madonna war nämlich schon früh wegen kultureller Aneignung in der Kritik. Sie hat zum Beispiel in den 80er-Jahren Kontakt zur schwarzen und meist homosexuellen Ballroom-Szene aufgenommen um sich die dort entstandene Tanzart, das Vogueing anzueignen. Erscheint auf den ersten Blick nicht schlimm, tanzen kann ja jede* und jeder* was er* oder sie* will. Problematisch wurde es erst, als Madonna diesen Tanzstil in ihre Videos und Choreografien eingebaut hat. Denn während die Erfinder*innen von voguing weiterhin diskriminiert und benachteiligt wurden und werden, wird Madonna für diesen Tanzstil gefeiert und verdient richtig viel Geld damit.

Buchcover: Lady Bitch Ray - "Madonna"

KiWi

„Madonna“ von Lady Bitch Ray ist in der KiWi Musikbibliothek erschienen.

Was ist aber jetzt der Unterschied zwischen kultureller Aneignung und „künstlerischer Inspiration“? Lady Bitch Ray erklärt es in „Madonna“ treffend: „Künstlerische Inspiration ist es, wenn sich Madonna beispielsweise von Marylin Monroes „Diamonds Are A Girl’s Best Friend“-Clip beeinflussen lässt, supremacy ist, wenn sich Madonna als Weiße ganz offensichtlich an schwarzer Musikkultur bedient und dies nicht reflektiert oder diese Aneignung nicht dankend benennt. Dann ist es eine Form von white supremacy, Madonnas white supremacy. Word. And Squirt.“

Dr. Bitch Ray klärt auf

Im Buch „Madonna“ geht es eigentlich nur am Rande um die Popikone selbst. Dr. Bitch Ray gibt im Buch „Madonna“ Nachhilfe in Pop- und Gesellschaftskritik. Anhand ihrer eigenen Biografie spricht sie über die weiße, heterosexuelle Musiklandschaft, ihre Karriere und von den Erfolgen und Hürden in ihrem Leben. Das alles mit der gewohnten in-your-face Lady Bitch Ray Art. Ein spannendes und wichtiges Buch, unbedingt lesen!

Noch ein Detail am Schluss: Lady Bitch Ray ist die erste Frau mit Migrationshintergrund, die ein Buch in der Reihe „Musikbibliothek“ vom Verlag Kiepenheuer und Witsch dieser veröffentlicht hat. Und Madonna ist die erste Frau, über die in dieser Reihe geschrieben worden ist. Just saying!

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