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Yves Tumor

David Visnjic

Yves Tumors „Heaven To A Tortured Mind“: Sie sind nicht, wofür du sie hältst

I am something that you’ll never comprehend. Yves Tumor sind auf ihrem vierten Album „Heaven To A Tortured Mind“ nicht nur musikalisch auf unberechenbaren Terrain unterwegs.

Von Natalie Brunner

Als genderfluides, panartiges Geschöpf tritt uns der/die non binäre Künstler*in Yves Tumor im Video zu „Gospel for a new century“ entgegen. Tumor, der im Englischen die Pronomen they/them für sich verwendet, schafft eine Form von Ekstase und Euphorie, indem sie einen Bogen spannen von Prince zu Psychic TV, von Funk zu dystopischem Ambient. Yves Tumor vermischen Subtilität und Eleganz mit Chaos und durch dieses explosive Gemisch stolzieren sie mit einem Funk-Rhythmus. Auf dem sprachlichen Schlachtfeld des Songs „Gospel For A New Century" stehen sich sexuelle Begierde und unerwiderte Liebe als unversöhnliche Gegner*innen gegenüber.

Yves Tumor entziehen sich konsequent Kategorien und Definitionen. Sie geben fast keine Interviews und auch ihre Präsenz in sozialen Medien verweist immer zurück auf ihr Werk. Auf der Bühne tritt dem Publikum eine androgyne, sich ständig verändernde Person gegenüber.

Yves Tumor heißen möglicherweise Sean Bowie, stammen aus Florida, aber nicht einmal das ist sicher. Sie haben mit Mykki Blanco auf dessen Label Dogfood Music Group Musik gemacht und auf Non Worldwide veröffentlicht, dem Label/politischen Netzwerk/virtuellen Staat, das ausschließlich experimentelle Elektronik von Künstler*innen der globalen Afro-Diaspora veröffentlicht und sich „exorcise the language of domination“ auf die Fahnen geschrieben hat.

Vom Rauschen zu Harmonien

Das erste Album von Yves Tumor unter diesem Namen, „When Man Fails You,“ das sie 2015 selbst veröffentlicht haben, ist eine Sammlung dunkler Ambient-Instrumentalstücke und beunruhigender Field Recordings. Jede ihrer Folgealben „Serpent Music“ und „Safe In the Hands Of Love“ rückt Noise und Rauschen weiter in den Hintergrund, Harmonien tauchen wie Inseln nach einem Sturm auf. Seit drei Jahren veröffentlichen Yves Tumor auf Warp und obwohl ihre Music ständig im Umbruch ist, hat sie eine unverwechselbare DNA.

Ich glaube, dass Yves Tumor die sind, die nach einem anderen Großen kommen, der gesungen hat „I´m something that u will never comprehend“, seinen Namen abgelegt und sich Sklave ins Gesicht geschrieben hat.

Auch wenn Yves Tumors Nummer „Kerosene!“ nach Romantik klingt, sollte man nicht vergessen, dass Kerosin die Hauptzutat eines Molotov-Cocktails ist.

Kohärent durch so viele Stile fegen

Es gehört so viel Talent dazu, ein Album wie „Heaven To A Tortured Mind“ zu machen, ein Album, das kohärent klingt, während es durch so viele Stile fegt. Wofür auch immer du mich hältst, ich bin es nicht: Das sind Yves Tumor.

Plattencover von Yves Tumors Heaven for a Tortured Mind

Warp

„Heaven To A Tortured Mind“ ist bei Warp erschienen.

Der Lo-Fi-R&B des Romantikers wird durch ungeschickte Gitarren-Power-Akkorde unterbrochen, dann durch ein knorriges Geflecht aus Samples und Geräuschen; „Kerosene!“ reicht von einem verschwommenen Gitarren- und Synthie-Indie irgendwo in der Region von Ariel Pink über ein großartiges Stadion-Rockgitarrensolo bis hin zu inbrünstigem weiblichen Gesang, der wenn auch vage - an verschiedene Interpret*innen erinnert, an Elizabeth Fraser von den Cocteau Twins etwa, und Claire Torrys Sternendrehung bei Pink Floyds „The Great Gig in the Sky“.

Aber „Heaven To A Tortured Mind“ klingt wirklich stimmig. Es ist druckvoll und prägnant; seine stilistischen Sprünge und Kurzschlüsse fühlen sich immer beabsichtigt an - das Produkt von jemandem, der nach seiner eigenen inneren Logik arbeitet, anstatt wahllos Ideen an die Wand zu werfen. Es ist hilfreich, dass Bowie ein wirklich starker Songwriter ist. Bei allem musikalischen Tohuwabohu ist praktisch alles hier reich an Melodien. Es ist bezeichnend, dass die schwächsten Momente des Albums kommen, wenn sie die Melodien wie auf „Folie Imposée“ oder dem mäandernden „Strawberry Privilege“ entgleiten lassen. Aber wenn man es wünscht, hat man das Gefühl, man könnte das Arrangement der Superstars oder des Albums näher an „A Greater Love“ ändern und sie in etwas rein Kommerzielles verwandeln.

Das würde natürlich den Sinn verfehlen. Die Aufregung von „Heaven To A Tortured Mind“ liegt in der Unsicherheit, die es beim Hörer auslöst, in dem Gefühl, dass man nie sicher ist, was als Nächstes passieren wird. Das ist eine seltene Empfindung in einer vorhersehbaren musikalischen Landschaft. Im besten Sinne des Wortes ist Yves Tumor in einer eigenen Welt unterwegs.

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