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Vom Guru saniert: The Strokes und „The New Abnormal“

Von den Ankickern des Rock-Revivals in den Nullerjahren durfte man sich nicht mehr viel erwarten. Mit dem prophetischen Titel „The New Abnormal“ ist The Strokes aus New York aber ein überraschendes Comeback gelungen.

Von Christian Lehner

Wie viel Glück hängt an einer abgetragenen Lederjacke? The Strokes aus New York scheinen vom Pech verfolgt, was die Veröffentlichung wichtiger Alben betrifft. Die neue Platte „The New Abnormal“, die erste seit sieben Jahren, ist vergangenen Freitag mitten in der Coronakrise erschienen. Im Vorfeld fanden kaum Promotion-Termine statt, die Tourpläne lösten sich in Luft auf.

Die Strokes taten das, was viele derzeit tun. Julian Casablancas (Gesang), Nick Valensi (Gitarre), Albert Hammond Jr. (Gitarre), Nikolai Fraiture (Bass) und Fabricio Moretti (Schlagzeug) trafen sich virtuell via Video-Konferenz, um ein bisschen miteinander zu plaudern. Dass die Sache eher kein tiefschürfender „Making-Of“-Album-Talk werden sollte, verriet allein der Titel des Videocasts, von dem auf YouTube bisher zwei Episoden erschienen sind: „5guys talking about something they know nothing about.“ Das erinnert frappant an den berühmten Serien-Pitch des Charakters George Costanza in der New-York-Sitcom „Seinfeld“: A show about nothing!

Es war einmal eine Rock’n’Roll-Band aus New York

Ähnlich unrund verlief bereits die Veröffentlichung des Debütalbums von The Strokes Anfang der Nullerjahre. Nach der EP „The Modern Age“ wartete die Popwelt im Sommer 2001 auf das erste The-Strokes-Album „Is This It“.

Doch aufgrund einer sexuell aufreizenden Darstellung am Plattencover wurde die Veröffentlichung am wichtigen US-Markt in den Herbst verschoben. Das Cover musste entschärft werden. Doch dann passierten die Terroranschläge vom 11. September. Der Release wurde erneut verschoben. Den Song „New York City Cops“ verbannten Julian Casablancas und Co. aus der damals marktbestimmenden CD-Version - aus Respekt vor den Einsatzkräften in New York.

„Is This It It“ erschien in den USA am 8. Oktober 2001 – bloß da interessierte sich die breite Öffentlichkeit im Zuge von 9/11 nicht mehr so sehr für das Debütalbum von fünf Retro-Rockern aus gutem Hause.

Der Hype war zwar groß - das Album zählt heute zu den Klassikern der Rockgeschichte und The Strokes waren gemeinsam mit The White Stripes die Geburtshelfer der sogenannten „The-Bands“-Welle in den Nullerjahren -, aber höher als auf die Position 33 der US-Albumcharts ist „Is This It“ nie geklettert und die neuen Rolling Stones sind die fünf New Yorker auch nicht geworden.

The Strokes bei einem Konzert für Bernie Sanders an der Universität von New Hampshire am 10. Februar

APA/AFP/Joseph Prezioso

Immer am Sprung, nie ganz oben

The Strokes schlurften also eher aus den Startlöchern. Die folgenden Alben hielten die Flamme am züngeln, aber auch nicht wirklich Schritt mit dem elektrisierenden Debüt. Die hervorragend aufeinander eingespielte Band überraschte live mit einer demonstrativ zur Schau gestellten Unlust und Set-Längen, die gerade mal dafür reichten, sich ein Mineralwasser von der Bar zu holen. Diese Verweigerungshaltung hatte zwar auch ihre Reize, behinderte aber den Aufstieg der fünf Edellederjacken in den Rock-Olymp.

Das lag in erster Linie an Frontmann Julian Casablancas. Der verträumte Widerspenstige war alles andere als Mick Jagger- oder Bono-Material. Jeder Blick, jede Geste signalisierte permanentes Unwohlsein. Vielleicht geht der Sänger von The Strokes als der abwesendste Rockstar aller Zeit in die Popgeschichte ein. Das gilt nicht nur für die vielen erratischen Live-Auftritte, sondern auch für die Zusammenarbeit mit seiner Band.

Für das letzte Album „Comedown Machine“ (2013) schickte Casablancas etwa nur noch Songideen, seine aufgenommene Stimme und launige Grußworte. Die übrigen Mitglieder zimmerten in einem Studio in Woodstock die Songs zusammen.

Das alles schadete der Popularität der Band aber keinesfalls. Mit „Is This It” war der Grundstein für eine zersauste Karriere mit Blick in den Rückspiegel gelegt. Sporadische Konzerte und Tourneen sind bis heute innerhalb weniger Stunden ausverkauft und jeder „Stroke“ kann nebenbei seinem relativ erfolglosen Hobby-Projekt nachgehen (besonders schlimm: Julian Casablancas Neben-Band The Voidz).

Alben dienten in diesem faulen Spiel als Pflichterfüllung des Vertrages mit dem Major-Label Sony, wie Insider munkelten. The Strokes konnten irgendwie weitermachen und irgendwie war das auch egal. Das Popkarussell drehte sich weiter.

Starproduzent Rick Rubin

Dann zauberte jemand ein Kaninchen aus dem Hut. Wer die Idee hatte, den Produzenten-Guru Rick Rubin für ein neues Strokes-Album ins Boot zu holen, ist nicht bekannt. Es war auf alle Fälle eine gute Idee. Rubin, der maßgeblich bei den Karrieren der Beastie Boys, von Slayer und dem späten Johnny Cash mitmischte, gilt als langbartiger Guru betuchter Rock’n’Roll-Patienten in der Midlife-Crisis.

Hast du ein Motivationsproblem? Kommt die Inspiration nicht aus dem Wasserbett? Finden dich deine eigenen Drogen nicht mehr? Better call Rick!

Rick Rubin ist bekannt für seinen komprimierten Sound. Auch aus den Hüllkurven der neuen Strokes-Songs hat er dicke Ziegel gebrannt. Sein wichtigster Beitrag fand jedoch jenseits des Mischpults statt. The Strokes wirken auf „The New Abnormal“, als hätten sie erstmals seit Jahren ihre Lederjacken nicht an der Garderobe abgegeben und gegen Jogginganzüge eingetauscht.

Das neue Album „The New Abnormal”

Songs wie „The Adults Are Talking“, „Bad Decisions“ oder „Brooklyn Bridge To Chorus” versprühen tatsächlich den räudigen Zauber der jungen Jahre, ohne vor dem Frühwerk auf die Knie zu fallen. Im Gegenteil. Zu den bekannten, miteinander korrespondierenden Twin-Guitar-Parts von Valensi und Hammond Jr., dem nölenden Ansingen von Casablancas und den Kontrapunkten der Rhythmussektion von Fraiture und Moretti kommen nun aufgebrochene Refrains und Strophen, Leierorgeln und Flohmarkt-Synths. Die Überraschung: Trotz aller Experimente, aufgelöster Formen und Wundertütengeräusche klingen The Strokes noch immer wie sie selbst.

Man merkt dem Album an, dass es von einer Band eingespielt wurde. Keine Ahnung, was Rick Rubin mit den fünf Hungerknochen in seinem Anwesen in Malibu angestellt hat, aber sie hechten zu fünft in die Songs, um gemeinsam ans Ende der Bahn zu schwimmen. Tatsächlich wächst beinahe jedes Stück in alle Richtungen, bis sich doch noch irgendein Weg raus findet. Das gilt insbesondere für die vorgeblich schlaffen Songs, die mit dem unrunden The-Strokes-Idiom: „At The Door“, „Ode To The Mets“ und „Not The Same Anymore“, das sich auch gut auf dem letzten Album der Arctic Monkeys „Tranquility Base Hotel & Casino“ gemacht hätte.

Auch der Ober-Stroke scheint etwas mit sich ins Reine gekommen zu sein. Statt den ewigen Rotzlöffel zu spielen, gibt sich Casablancas teileinsichtig, was den Unfug der Vergangenheit betrifft. Er hat die Zigaretten und den Schnaps zuhause gelassen, als er zu Rick Rubin pilgerte, wie man hört, um Abbitte in Textform zu leisten.

So heißt es etwa im Song „Bad Desicions“: „I’ve been doing stupid things / Wilder than I’ve ever been / You’ve become my favorite since / So let ’em keep, let ’em keep on talking”.

The Strokes - Cover - The New Abnormal

RCA/Sony

„The New Abnormal“, das sechste Studioalbum von The Strokes ist vergangenen Freitag erschienen. Das Cover ist ein Auszug aus dem Gemälde „Bird On Money“ von Jean-Michel Basquiat, der das Bild 1981 zu Ehren des Jazz-Musikers Charlie Parker gemalt hat.

Den Albumtitel hat Casablancas angeblich bei einer Rede des kalifornischen Gouverneurs zu den alljährlichen Waldbränden aufgeschnappt: „The New Abnormal“. Durch den Auftritt bei einer Wahlveranstaltung des mittlerweile ausgeschiedenen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders (und diverse Aussagen in den Medien) rechneten viele Beobachter mit dem ersten politischen Album von The Strokes. Selbst die Atheisten unter den Fans sollten dem lieben Gott dafür danken, dass es anders gekommen ist. Einmal mehr dienen die eigenen Befindlichkeiten als Fenster zur Welt und die müssen geputzt werden.

Auch das Bandgefüge erfährt eine Politur. Im neben „Eternal Summer“ schönsten Song „Ode To The Mets“ werden nicht nur die ewigen Verlierer im New Yorker Baseball-Duell Yankees vs. Mets mit Rock’n’Roll-Poetik bedacht, sondern auch die Rest-Strokes, wenn es etwa heißt „Da-da-da / Drums please Fab“. Kleine Gesten, große Wirkung.

Die neue Normalität der Strokes?

Sind also The Strokes aus ihrem eigenen Schatten herausgetreten und in der Gegenwart angekommen? Die Antwort lautet Jein. So gestärkt die New Yorker aus „The New Abnormal“ hervorgehen, die bisherigen Auftritte in diesem Jahr scheinen wie ein Rückfall in eine Zeit vor ihrer Zeit, als man die tiefsten Rock-Klischees noch als Heldensagen verkaufen konnte. (hier die Konzert-Review von der Show in Berlin).

Vielleicht will uns „The New Abnormal“ aber eh etwas ganz anderes erzählen. So lauten die letzten Zeilen des letzten Songs: „The only thing that’s left is us / So pardon the silence that you’re hearing / It’s turnin’ into a deafening, painful, shameful roar”.

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