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Deborah Feldman

Mathias Bothor

„Unorthodox“ – Ein Gespräch mit Deborah Feldman

Die Autorin Deborah Feldman schrieb in ihrem Debüt „Unorthodox“ ihre unfassbare Lebensgeschichte nieder. Nun wurde dieses Buch für eine Serie verfilmt. Anlass für ein Gespräch.

von Christian Pausch

Mit 19 Jahren, nach der Geburt ihres Sohnes, hat Deborah Feldman allen Mut zusammengenommen und ist mit ihm zusammen aus der chassidischen Gemeinschaft der Satmarer in Brooklyn, NYC, geflohen. Das Leben in der ultrareligiösen jüdischen Sekte ist von unzähligen Regeln und Entbehrungen geprägt und vor allem für Frauen oftmals eine Tortur in vielerlei Hinsicht. Einige Jahre später hat Feldman die Biografie „Unorthodox“ veröffentlicht und wurde so zur Bestseller-Autorin und zur vielbeachteten Stimme gegen religiösen Fanatismus, aber auch gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus.

Auch ihre darauffolgenden Bücher „Exodus“ und „Überbitten“ behandeln ihr eigenes Leben. Am Umschlag des fast 800 Seiten umfassenden „Überbitten“ ist zu lesen: „Deborah Feldman erschreibt sich mit diesem Buch ihr Leben.“ Dieses Leben wurde nun als Vorlage für die neue Netflix-Serie „Unorthodox“ hergenommen. Das habe ich zum Anlass genommen, um die Autorin zum Interview zu bitten.

Deborah Feldman

radio FM4 | Christian Pausch

Screenshot vom Videochat: Deborah Feldman lebt bereits seit mehreren Jahren in Berlin, wo sie mit ihrem Sohn und einem kleinen Hund die Quarantäne verbringt. Zu sehen auf ihrem Instagram-Account: @deborah_feldman.

FM4 | Christian Pausch: Frau Feldman, Ihr Leben wurde verfilmt. Wie fühlt sich das an?

Deborah Feldman: Nicht mein Leben wurde verfilmt, sondern ein Buch, das ich über mein Leben geschrieben habe. Das ist dann - man sagt auf Englisch „so many degrees of distance“ - also mehrere Grad Entfernung: Was am Ende am Bildschirm zu sehen ist, ist nur ein Hologramm, eine Simulation, sozusagen. Es gibt aber natürlich Momente, die sehr nah an meine eigene Erfahrungen herankommen, vor allem an meine emotionalen Erfahrungen und ich glaube, wenn es etwas in dieser Serie gibt, das sich sehr nah anfühlt, sind das die Gefühle. Und das habe ich auch von anderen Aussteiger*innen gehört, die die Serie gesehen haben. Nämlich dass selbst wenn die Details nicht hundertprozentig mit ihren Lebensgeschichten übereinstimmen, jedenfalls die Gefühle übereinstimmen. Sie finden sich in diesen Momenten der Einengung und der Hoffnungslosigkeit.

Und das freut mich eigentlich, dass man in einer Geschichte so viel Raum geschaffen hat für so viele, die sich damit identifizieren können. Das bedeutet, dass man sehr weit über meine eigene Lebensgeschichte hinausgegangen ist, das finde ich großartig. Kunst soll das ja auch machen, soll viel weiter gehen, als nur ein Leben und eine Erfahrung. Also da habe ich die richtigen Leute gewählt, würde ich sagen.

FM4: Sie sagen selbst „gewählt“, ich habe gehört, es war sogar Ihre Idee eine Serie zu machen aus dem Buch.

DF: Ja, genau. Das Buch wurde 2012 in den USA veröffentlicht und seitdem kamen ja auch mehrere Angebote, vor allem aus Hollywood, um so Kinofilme aus dem Buch zu machen. Diese Angebote habe ich immer abgelehnt, die fühlten sich nie wirklich richtig an, die kamen von den falschen Leuten. Vor allem hatte ich immer den Eindruck, man würde das Buch gar nicht so richtig kapieren, man würde sich nur freuen, dass es ein Bestseller ist und dass man ein Publikum dafür finden kann.

Alexa Karolinski und Anna Winger haben gemeinsam das Drehbuch zur Serie „Unorthodox“ geschrieben.

Als ich Ende 2014 nach Berlin gezogen bin, da habe ich zufällig den ersten Film von Alexa Karolinski gesehen: „Oma und Bella“. Der Film hat mich wahnsinnig berührt und dann habe ich Alexa irgendwann kennengelernt. Und Anna Winger ebenfalls, die hatte ein Kind in derselben Schule, in die auch mein Sohn geht. Ich habe den beiden dann vorgeschlagen: „Wollt ihr nicht zusammenarbeiten und eine Serie aus dem Buch machen?“ Das fanden die am Anfang erstmal nur lustig, aber ein paar Jahre später ist es dann tatsächlich ernst geworden.

„Der Hauptgegenwind für Aussteiger*innen kommt aus der jüdischen Welt.“

FM4: Wenn man Ihre Bücher gelesen hat, merkt man auch, dass die Serie in sehr großen Punkten abweicht: Die Hauptdarstellerin hat sich nicht dem geschriebenen Wort, sondern der Musik verschrieben und sie ist noch keine Mutter, als sie flüchtet. Sie haben gesagt, es geht mehr um die Gefühle als um die Story, sind diese Unterschiede wichtig?

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Das gesamte Interview mit Deborah Feldman...

...gibt es hier im FM4 Interview Podcast zu hören

DF: Ich denke nicht, dass sie wichtig sind. Wir haben uns für diese Unterschiede entschieden. Einerseits, weil ich eine öffentliche Person bin und ich wollte die Privatsphäre meines Lebens schützen. Und andererseits, weil es ja trotzdem um die gleiche Thematik und um die gleichen Konflikte geht. Ich habe mich sehr viel in der Berliner Geschichte erkennen können, in der Auseinandersetzung der Hauptfigur Esty und dieser Israelin Yael, die steht eigentlich für all die Erfahrungen, die ich mit säkularen Juden*Jüdinnen machen musste, nämlich diese ganz krassen Vorurteile und diese Ablehnung. Ich fand es toll, dass das in der Serie vorkommt, weil es wahnsinnig wichtig ist zu besprechen, dass der Hauptgegenwind für Aussteiger*innen eigentlich aus der jüdischen Welt stammt. Und wie unfassbar erstaunlich das ist und zermürbend.

Ich finde, dass der Kern der Geschichte jedenfalls erhalten geblieben ist, denn es geht ja um den zentralen Teil im Buch, um die Sexualität, um die Kosten der Unterdrückung der Sexualität und die Art und Weise, wie sich die Kontrolle um den weiblichen Körper auf die ganze Gemeinde auswirkt. Das haben die Serien-Macher*innen beibehalten und auch wahnsinnig sensibel dargestellt.

FM4: Waren Sie auch am Set zugegen und haben bei den Dreharbeiten zugeschaut?

DF: Ja, wann immer ich Zeit hatte. Auch mit meinem Sohn. Das war sehr aufregend, vor allem auch an dem Tag, als man die Hochzeit gefilmt hat. Da kamen Statisten aus der ganzen Welt und viele davon waren überraschenderweise auch Aussteiger*innen. Darauf waren wir nicht vorbereitet, weil die Castingagenturen, die die gefunden haben, nicht mit uns über dieses Detail gesprochen haben. Die kamen also an und erzählten, dass sie dieselbe Lebensgeschichte haben und das war fast wie eine Wiedervereinigung einer großen Familie. Das war ganz, ganz berührend eigentlich.

FM4: Ihre Muttersprache ist ja Jiddisch und das ist auch die Sprache, die in der Serie die meiste Zeit gesprochen wird, waren Sie da am Set auch als Sprach-Coach tätig?

Das hier gekürzt wiedergegebene Gespräch fand auf Deutsch statt- eine Sprache, die sich Deborah Feldman perfekt angeeignet hat.

DF: Ich konnte bei der Sprache nicht mitwirken, weil ich habe diese große Schwierigkeit: da ich mein Jiddisch schon vor Jahren ins Deutsche übertragen habe, verwechsle ich diese Sprachen immer miteinander und die schmelzen ineinander. Man brauchte für die Serie also jemanden, der Deutsch nicht ausgesetzt war, um klare Trennlinien zu finden. Und vor allem auch diese Amerikanismen, die im Jiddisch aufspringen, die haben wir unbedingt gebraucht und die habe ich mittlerweile abgelegt. Und deshalb haben wir jemanden aus New York geholt und er hat dann mit den Schauspieler*innen an der Sprache gearbeitet.

„Der Virus grassiert innerhalb der Satmar-Gemeinde.“

FM4: In den Nachrichten hört man dieser Tage vermehrt von New York, wie schlimm die Coronavirus-Krise dort gerade ist. Denken Sie da jetzt auch öfter an die Satmar Gemeinde? Wie wirkt sich die Pandemie auf so eine abgeschlossene Religionsgemeinschaft aus, haben Sie da Einsicht?

DF: Ja natürlich, ich bin ja auch mit vielen Aussteiger*innen vernetzt und dadurch habe ich auch sehr viel Zugang zu Informationen über die Gemeinde. Und ich weiß, dass sie weiterhin ihre Rituale feiern, ihre Hochzeiten, ihre Trauerfeiern und sie beten auch weiterhin in der Synagoge. Teilweise ist das auch so, dass die New Yorker Regierung da kaum was dazu machen kann. Neulich kam ein Video von einem riesigen Trauerzug in den Straßen meiner Gemeinde und da ist die New Yorker Polizei zwar anwesend und riegelt das drumherum ab, aber kann sonst nichts machen. Die politische Lage ist recht kompliziert, kein*e Politiker*in schafft es ins Amt ohne die Stimmen dieser Gemeinde. Da wird viel weggeschaut.

Aber der Virus grassiert innerhalb der Gemeinde und die Menschen können Maßnahmen von außen gar nicht akzeptieren, das spricht gegen alle Werte ihres Glaubens, weil alle Rituale gemeinschaftlich ausgeübt werden müssen. Es ist eigentlich total verheerend und entsetzlich, da zusehen zu müssen. Man hört ganz, ganz krasse Geschichten aus dieser Welt zurzeit. Und ich versuche zu betonen, dass es da einen Dialog zwischen gemäßigten und den ultrareligiösen Juden*Jüdinnen geben muss, denn die Satmarer vertrauen auf nichts, das von außen kommt, es gibt nur eine Chance, wenn es von innerhalb der religiösen Gemeinschaft kommt. Aber leider gibt es da eine lange Tradition, dass gemäßigtere Juden*Jüdinnen sich schämen für diese Gemeinden.

FM4: Sie sind ja auch in Deutschland inzwischen eine wichtige Stimme gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus geworden. Ich habe gelesen, dass Rechtsextremisten in dieser Krise jetzt auch eine Chance sehen, sich neu zu organisieren und unter dem Radar der Exekutive zu handeln. Was löst das bei Ihnen aus?

DF: Ich glaube das Extremisten in jeder Krise eine Gelegenheit sehen, also war das keine Überraschung für mich. Das Erste, woran ich gedacht habe, als alles losging, war: das Gesundheitssystem könnte kollabieren, die Wirtschaft könnte kollabieren, aber am Ende ist die Gefahr die politische Instabilität, die in solchen Situationen entstehen kann. Es geht also eigentlich gar nicht so sehr um Gesundheit oder Wirtschaft, es geht darum, was die Extremisten daraus machen werden und wie unsere Welt danach aussehen wird. Und das ist in jeder Krise so, das überrascht mich nicht.

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