Corona entzaubert staatliche Pseudo-Nachrichtensender
Von Erich Moechel
Die Coronapandemie entzaubert nicht nur reihenweise politische Blender und Populisten vom rechten Rand, auf internationale Medien wirkt sie derzeit wie ein Lackmustest. Die in autoritären Regimes zuletzt besonders beliebte Methode, nationale Propagandasender als internationale Nachrichtenkanäle zu tarnen, bricht mit dem Akutwerden der Pandemie im jeweiligen Land quasi über Nacht in sich zusammen.
Am Beispiel des türkische Staatsfernsehens TRT World ist dies seit Samstag exemplarisch zu beobachten. Dieser „Nachrichtenkanal“ hat weder über das Chaos nach der am Freitag in der Türkei verhängten Ausgangsperre, noch über das Rücktrittsgesuch des türkischen Innenministers am Samstag berichtet. Zahlen über an COVID-19 Erkrankte oder Tote aus der Türkei gab es bis Mittwoch genau null, Staatspräsident Tayyip Erdogan war in fünf Tagen genau einmal mit einem 20-Sekunden-Auftritt zum Thema zu sehen.
TRT
Was (nicht) berichtet wurde
Was sich in der Türkei über das Wochenende tatsächlich abgespielt hat, ist in diesem Bericht von ORF.at über das Chaos um die Ausgangssperre nachzulesen
Im Überfluss berichtete TRT vielmehr über angebliche Anfragen von hundert Staaten an die Türkei um Schutzmasken und medizinisches Gerät und über Hilfslieferungen an Großbritannien. Zu dieser Zeit am Sonntag hatte der türkische Innenminister Süleyman Soylou in Reaktion auf die am Freitag überfallsartig verhängte Nachrichtensperre und die dadurch ausgelösten Tumulte in den betroffenen türkischen Metropolen gerade seinen Rücktritt eingereicht. Die Zuseher des türkischen Staatsfernsehens in englischer Sprache erfuhren davon nichts.
Genauso wenig wurde berichtet, dass dieser Rücktritt nur drei Stunden hielt, weil er von Staatspräsident Erdogan nicht angenommen wurde und dass alles nur ein billiges politisches Manöver war, um den Zorn der Bevölkerung über das Chaos abzufedern. Exakt eine solche Medienstrategie der gezielten Nicht-Berichterstattung über Ereignisse im eigenen Staat bzw. bei Verbündeten fahren das russische RT, das iranische Press TV, Al Jazeera aus Katar oder das chinesische Staats-TV CGTN. Das ist das zentrale Merkmal, das diese Propagandasender autoritärer und repressiver Regimes von Nachrichtensendern unterscheidet.
TRT
Tarnung in Zeiten der Pandemie
In Zeiten von COVID-19 ist diese Tarnung allerdings ziemlich schnell dahin, denn beim Ausbruch einer solchen Pandemie zählen nur Fakten: Zahl der Erkrankten, Zeitpunkte und Orte, Prozent der Bevölkerung, Tote. Auch wenig medienerfahrenen Rezipienten sollten spätestens dann stutzig werden, wenn eine als türkisches oder russisches Staatsfernsehen ausgewiesene TV-Station ausführliche Zahlen der Infizierten von Nepal bis Burundi berichtet, aber keine einzige dieser Zahlen aus dem Land des jeweiligen „Nachrichtensenders“ stammt.
Anders als sein türkisches Gegenstück unterbricht RT seit Montag die endlose Serie von Korrespondentenberichten aus allen möglichen Staaten dieser Welt sporadisch mit so informativen Nachrichtenbeiträgen wie einem Fünfminüter aus einem menschenleeren Moskauer Park, um die Effizienz der Ausgangssperren zu demonstrieren.
RT
Präsidenten zeigt man nicht
Ansonsten zeigt sich auch bei RT dasselbe Bild. Es gibt zwar alle möglichen Bildberichte zum Thema COVID-19 aus aller Welt sowie laufend Zahlen von der WHO und aus anderen Staaten, alleine über Russland gab es bis dato nicht einen einzigen Bildbericht zur Lage. Wladimir Putin war überhaupt nicht zu sehen, doch das ist man von RT durchaus gewohnt. Während Donald Trump seit jeher omnipräsent in diesem Medium ist, sind Auftritte von Putin absolute Mangelware, wobei das Verhältnis dieser präsidialen Erscheinungen in etwa eins zu zwanzig oder höher ist.
Kaum ein TV-Kanal weltweit verfügt über sein solch massive Präsenz am irdischen Satellitenhimmel wie RT. Dieses Satellitenimperium wird seit Jahren immer weiter ausgebaut
Das gesamte Konzept, eine Propagandastation als neutralen Nachrichtenservice auszugeben, ist gut 50 Jahre alt. Am Höhepunkt des Kalten Kriegs der frühen 70er Jahre standen die Nachrichten der BBC und der Voice of America und Radio Liberty auf der einen Seite, der gegenüber standen die Nachrichten von Radio Moskau, wobei Russland über ein ebenso mächtiges Netz an starken Kurzwellenstationen verfügte wie der Westen. Die Fronten waren also ziemlich klar, bis eine bis dahin völlig unbekannte Station namens Radio „Frieden und Fortschritt“ aus dem Nichts den Betreib aufnahm.
Reminiszenzen an den Kalten Krieg
„Frieden und Fortschritt“ verfügte ebenfalls über mehrere Sender der 500-Kilowatt-Klasse. Die spielten eine deutlich anderen Nachrichtenmix als Radio Moskau mit anderen Feuilletonbeiträgen und gemäßigten bis nebulösen Kommentaren, in denen es fast ausschließlich um den Weltfrieden ging. Wer allerdings genauer in dieses Programme hineinhörte, dem war bald klar, dass hier im wesentlichen dieselben Grundbotschaften übermittelt wurden, die auch dem Programm von Radio Moskaus zugrundelagen.
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Publiziert am 15.04.2020