Der Festivalsommer 2020 ist abgesagt – fast!
Von Rainer Springenschmid und Susi Ondrušová
Überrascht war niemand mehr, als heute, Freitag, die Verlängerung der Corona-Maßnahmen für Großveranstaltungen bis Ende August verkündet wurde. Und für die allermeisten Festivals heißt das damit vor allem: Rechtssicherheit, denn nun können sie ihre Festivals absagen, ohne Schadenersatz für Künstler*innen fürchten zu müssen.
Die Juni-Festivals hat das Absage-Schicksal schon früher ereilt. Hier erzählen fünf österreichische Festival-Veranstalter*innen über ihre Arbeit und den Umgang mit dem Veranstaltungsverbot.
Freude haben die Veranstalter*innen natürlich keine mit dem abgesagten Festivalsommer, auch wenn, wie Harry Jenner vom FM4 Frequency Festival betont, „die Gesundheit unserer Besucherinnen und Besucher natürlich Vorrang hat vor allem anderen“.
Zumindest Rechtssicherheit
Trotzdem ist Jenner natürlich traurig, vor allem, weil schon sehr viel Arbeit hinter ihm liegt. „Man schüttelt ein Festival mit 50.000 Leuten am Tag ja nicht einfach so aus dem Handgelenk. Wir arbeiten an einem FM4 Frequency Festival das ganze Jahr, nur Weihnachten und Ostern ist kurz Pause. Für das Jubiläumsjahr heuer hätte es auch einige Neuerungen gegeben: neue Bühnendeko, neues Galactic Fortress, wir wollten ein Frequency-Rathaus bauen und und und. Es hätte extrem viele Neuerungen gegeben, die wir jetzt alle eben ein Jahr später umsetzen werden.“

Patrick Wally
Frequency Festival 2018
Auch was die Bands angeht, wird Harry Jenner versuchen, zumindest die für heuer gebuchten österreichischen Acts auch nächstes Jahr wieder zu bekommen: „Das ist sowieso Pflicht.“ Langweilig wird es dem FM4 Frequency-Team also nicht, denn jetzt beginnen die Verhandlungen mit den Künstler*innen und ihren Agenturen – und die Gespräche, wie man mit bereits gekauften Tickets umgeht. „Das FM4 Frequency 2020 war fast ausverkauft, als der Lockdown gekommen ist. Nachdem das alles Neuland ist, müssen wir uns das genau anschauen, es sind ja auch viele Partner involviert. Ich bitte da noch um ein bisschen Geduld, auch wenn ich weiß, dass das derzeit eine der drängendsten Fragen ist. Wir arbeiten jetzt mit Hochdruck daran, eine gute, sinnvolle und auch haltbare Lösung für Ticketbesitzer zu präsentieren.“
Gutscheine statt Geld zurück?
Weil die Arbeit für den heurigen Sommer bereits zu einem großen Teil getan – und oft auch schon bezahlt – ist, wäre es für die meisten Festivalveranstalter*innen auch ein ziemliches Problem, wenn sie bereits verkaufte Tickets wieder zurückerstatten müssten. Viele würden wohl in die Insolvenz schlittern. Deswegen wünscht sich Hannes Hagen vom Szene Open Air Lustenau von der Bundesregierung einen Blick nach Deutschland: Dort bekommen Käufer*innen für bereits gekaufte Tickets Gutscheine statt Bargeld – und wenn sie die nicht für andere Veranstaltungen, zum Beispiel das Szene Open Air 2021, einlösen wollen, bekommen sie Ende 2021 dann ihr Geld zurück.

Matthias Rhomberg
Szene Open Air 2019
„Ich denke, dass das in Österreich auch umsetzbar und sinnvoll wäre“, meint Hannes Hagen. „Es muss aber auch praktikabel sein für die Veranstalter. Wenn dieser Gutschein global für alle Veranstaltungen in Österreich gelten würde, dann wäre der Verwaltungsaufwand ja immens. Aber wenn der Gutschein nur für den jeweiligen Veranstalter gilt und der ihn dann für eine andere seiner Veranstaltungen umschreiben könnte, wäre das natürlich cool.“
Der Sommer 2021 soll der neue Sommer 2020 werden
Auch das Szene Open Air wird versuchen, so viel wie möglich vom heurigen Lineup ins nächste Jahr zu retten. „Je näher und persönlicher der Bezug zum jeweiligen Artist ist, desto leichter wird es werden, für nächstes Jahr einen Plan aufzustellen“, sagt Hagen. „Wir sind uns allerdings bewusst, dass sich eine Band in einem Jahr weiterentwickelt und die Pläne fürs nächste Jahr dann vielleicht auch ganz andere sind. Aber generell bieten wir jeder Band, die heuer im Lineup gestanden ist, wieder an, bei uns zu spielen.“
Das wird auch Raphael Pleschounig vom Acoustic Lakeside tun. Für ihn ist der Verlust des heurigen Festivaljahrs besonders schmerzhaft. Zum einen, weil das Festival schon letztes Jahr eine Pause einlegen musste, zum anderen, weil das Acoustic Lakeside kein kommerzielles Festival ist. „Wir buchen Bands nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern aus persönlichem Interesse – Bands, die in unseren Plattensammlungen gerade stark vertreten sind. Da ist natürlich der Schmerz umso größer, wenn man eine Band, die für heuer geplant war, nicht kriegen kann.“ Das Acoustic Lakeside-Team hofft, dass möglichst viele der heurigen Bands auch nächstes Jahr in die Nähe kommen. „Aber natürlich ist es abhängig von den Tourplänen, weil auch Bands wirtschaftlich agieren müssen und es sich nicht immer leisten können, nur wegen einem Auftritt nach Südkärnten zu fahren. Das funktioniert dann nur mit den entsprechenden Anschluss-Shows.“

Acoustic Lakeside
Acoustic Lakeside 2018
Die Poolbar probiert’s
Alle Festivals sind also abgesagt... Alle Festivals? Nein! Ein kleines Festival ganz im Westen hört nicht auf, dem Virus Widerstand zu leisten: das Poolbar Festival in Feldkirch in Vorarlberg. Das ist zwar mit 25.000 jährlichen Besucher*innen ein durchaus hoch frequentiertes – allerdings verteilen sich diese 25.000 auf ganz viele Termine den ganzen Sommer lang – und das macht das Festival im Alten Hallenbad Feldkirch dann wieder zu einem kleinen und gemütlichen Event. „Natürlich schmerzt es, dass jetzt die große Konzertschiene wegfällt“, meint Herwig Bauer, der künstlerische Leiter der Poolbar. „Aber wir haben zum Beispiel auch jeden Sonntag einen Jazz-Brunch, und den kann man höchstwahrscheinlich schon so gestalten, dass da im gesamten Park-Gelände die entsprechenden Abstandsregeln und Hygienevorschriften eingehalten werden. Und nach dem Modell könnten wir uns durchaus auch vorstellen, dass wir kleinere Konzertveranstaltungen auch am Abend machen können.“

Matthias Rhomberg
Jazzbrunch vor der Poolbar
Was für Frequency-Veranstalter Harry Jenner eher nach einem Monty Python-Sketch klingt – ein Festival mit 20 Quadratmetern Platz pro Besucher*in – das scheint für das Poolbar-Team um Herwig Bauer durchaus vorstellbar zu sein. Vor allem, weil das Poolbar Festival ja auch einen architektonischen Teil hat, der auf alle Fälle stattfinden soll. Auch das Poolbar Magazin soll es heuer geben.
Auf die Kreativität der Kulturarbeiter*innen vertraut auch Hannes Hagen vom Lustenauer Szene Open Air. Er glaubt, dass die heurige Zwangspause auch positive Aspekte haben kann: „Wir werden jetzt mehr Zeit haben, die Festivals zu entwickeln. Ich kann mir schon vorstellen, dass es positive Entwicklungen geben wird für Festivals und dass sich Veranstalter quasi ein Jahr mehr Ideen einfallen lassen können in dieser Zeit. Das kann dann auch für die Besucher*innen ganz schöne Auswirkungen haben.“
Publiziert am 17.04.2020