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Wann, wenn nicht jetzt: 42 Stunden lang „Twin Peaks“ nachholen

30 Jahre ist es her, seit David Lynchs einzigartige Mysteryserie erstmals ausgestrahlt wurde. Ein paar Argumente, warum jetzt die beste Zeit ist dieses Jubiläum ausgiebig zu zelebrieren.

Von Christian Fuchs

Zuerst eine Warnung: Wer fluffigen Eskapismus sucht und Serien, die man sich nebenbei anschaut, während man am Smartphone herumwischt, kann diese Empfehlung überlesen. „Twin Peaks“ ist nämlich gruselig, komisch, banal, surreal, spannend, entspannend, aber vor allem eines: „Twin Peaks“ ist Kunst. Und die hat ihre eigenen Gesetze, die kaum etwas mit den Regeln von normaler Serien-Unterhaltung zu tun haben.

Wenn das jetzt für Neueinsteiger*innen zu elitär und hermetisch klingt: Wer sich auf die Serie einlässt, wird reichlich belohnt. „Twin Peaks“ erklärt keine gesellschaftlichen Zusammenhänge wie „The Wire“, taucht nicht tief in die Trickkiste á la „Game Of Thrones“ ein oder liefert ein Vintage-Feeling wie „Stranger Things“. Obwohl Regisseur, Produzent und Co-Schöpfer David Lynch durchaus die Abgründe des amerikanischen Lifestyles ausleuchtet, Spezialeffekte einsetzt und die Stimmung von einem Retro-Flair zehrt.

Twin Peaks Screenshots

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Was es zu sehen gibt

Twin Peaks Staffel 1: Pilot 90min, dann 7 Folgen á 45 Minuten

Twin Peaks Staffel 2: Pilot 90min, dann 21 Folgen á 45 Minuten

Twin Peaks: Fire Walk With Me: 134 Minuten

Twin Peaks Staffel 3: 18 Folgen, die insgesamt 16 Stunden und 25 Minuten dauern.

Aber das macht die Serie nicht so ikonisch. Es ist die Radikalität, mit der David Lynch Zusehererwartungen ignoriert und mit ihnen spielt. In „Twin Peaks“ sind „die Eulen nicht was sie scheinen“, um gleich ein berühmtes Zitat anzubringen, überhaupt ist nichts so, wie man es vom Gros der aktuellen Netflix- und Amazon-Hypes kennt. Hier regiert eine unberechenbare Weirdness, die im oft durchformatiert und kalkuliert wirkenden Serienbusiness der Gegenwart erfrischend wirkt. Weitere Argumente, jetzt 41 Stunden lang „Twin Peaks“ nachzuholen? Bitteschön:

1. Es gibt einen aufregend verschlungenen Mystery-Plot

Gleich der Pilotfilm aus dem April 1990 macht klar: In dem Holzfällerstädtchen Twin Peaks herrscht ein Gleichgewicht aus Idylle und Schrecken, Unschuld und Verdorbenheit. Auf der einen Seite trifft man sich bei Kirschkuchen und Kaffee im lokalen Diner. Auf der anderen Seite verwandelt sich das niedliche Örtchen bei Nacht in einen Sündenpfuhl. Der Mord an der blonden Highschool-Queen Laura Palmer bringt dann alles zum Kippen. Ganz den Mustern des Whodunit-Thrillers folgend präsentieren die Serienmacher David Lynch und Mark Frost eine Vielzahl Verdächtiger.

Twin Peaks Screenshots

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2. Das Ensemble ist ein Traum

Von der Polizeistation über die Familie Palmer, von der reichen Horne-Dynastie über die Gäste des Roadhouse bis hin zum Sägewerk-Clan: Die Einwohner von Twin Peaks wirken wie aus einer neurotischen Soap-Opera entliehen oder einem Hollywood-B-Movie-Fundus, in dem auch Wes Anderson herumwühlt. Sieht man sich all die schrulligen Charaktere an und vor allem ihre Darsteller*innen, darf man von einem einmaligen Castingcoup sprechen. Inklusive der Bewohner der Black Lodge und anderer übernatürlicher Wesen.

3. Der verschlungene Mysteryplot spielt eigentlich keine Rolle

Auf Druck der Produzenten musste Lynch in der Mitte der zweiten Staffel den Mörder von Laura Palmer enthüllen. Aber was draußen in den Wäldern rund um Twin Peaks wirklich passiert, blieb bis zum Ende der Originalserie ein Mysterium. Gibt es dort wirklich ein Portal zu einer anderen Welt? Wer ist der dämonische Bob, dessen irdische Inkarnation wie Charles Manson grinst? Auch das massiv unterschätzte Filmprequel „Fire Walk With Me“ liefert keine Auflösung. Und als Lynch die Serie 2017 tatsächlich fortsetzte, mit einer wahnwitzigen dritten Staffel, ließ er noch mehr Fragen offen. Aber genau diese Unaufgelöstheit ist das Geniale.

Twin Peaks

Showtime

4. Twin Peaks macht uns wieder zu Kindern

Denn in „Twin Peaks“ gibt es eben keine Antworten. Mr. Lynch will uns wieder zu Kindern machen, die keine Ahnung haben, was sich hinter den Dingen versteckt, die unschuldig forschen, entdecken und sich im Dunkeln gruseln. „Ich liebe Geheimnisse“, meint der Regisseur, der sich um Dramaturgie-Konventionen genauso wenig schert wie um Glaubwürdigkeit. „Je unlösbarer ein Geheimnis ist, desto schöner ist es“, lautet sein Motto. „Sich dem Geheimnis und der Gefahr hinzugeben, macht das Leben viel intensiver. Wenn Geheimnisse aufgelöst werden, fühle ich mich schrecklich betrogen. Es ist unglaublich schön, wenn da noch ein Rest Mysterium bleibt“.

5. Die Magie von Bild und Ton

Die Reise ist also das Ziel. Und was für eine Reise ist das, die zirka 41 Stunden dauert, inklusive dem Kinofilm. Nicht alle der 48 alten und neuen Episoden sind gut, oft plätschern die strangen Geschichten trivial dahin. Aber dann passieren plötzlich unglaubliche Dinge. Alles scheint magisch, das Set-Dekor, die exzentrische Besetzung, die Ausleuchtung, die hypnotische Musik. Apropos, neben dem unwirklichen Score von Angelo Badalamenti haben in der dritten Staffel auch Nine Inch Nails, Sharon Van Etten oder die Chromatics Liveauftritte.

Nine Inch Nails in Twin Peaks

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Okay, „Twin Peaks“ mag anstrengend sein, wenn man eine geringe Aufmerksamkeitsspanne hat. Besonders in der an sich faszinierenden Season 3 dehnt David Lynch die Minuten und Sekunden bewusst. Aber was Lynch und Mark Frost da geschaffen haben, ist auch ein singuläres Serienwunder, das in dieser seltsamen Zeit perfekt passt. „Twin Peaks“ ist eben Kunst - und die können wir gerade bestens brauchen.

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