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Hildur Guðnadóttir und ihre Arbeit "Chernobyl"

Hildur Guðnadóttir / Donaufestival

Das Donaufestival 2020 als FM4 Radioedition!

„Machines Like Us“ - Ein Festival in einer Stunde. FM4 feiert die Konzepte und Künstler*innen vom Donaufestival im Radio weiter. Zum Beispiel mit der Katastrophen-Musik von Hildur Guðnadóttir. Die hat für die Serie „Chernobyl“ eine Symphonie der Angst entworfen. Mittwoch 29. April ab 19.00 in der FM4-Homebase.

Von David Pfister

Unsichtbar, unbekannt, uneinschätzbar. Die Corona-Krise lähmt kollektiv die Menschheit. Alle Generationen staunen und bangen. Manche allerdings fühlen sich an ein anderes Schrecknis erinnert, welches nicht wenige Parallelen zur Corona-Katastrophe aufweist. Der Nuklearunfall von Tschernobyl. Im April 1986 kommt es aufgrund schwerwiegender Verstöße gegen die Sicherheitsvorschriften, im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl zur Explosion des Reaktors. Der Wind trägt die freigesetzte Radioaktivität über Europa. Europa reagiert hilflos und gelähmt. Die Menschen werden angehalten nicht ins Freie zu gehen, kein Obst und Gemüse zu essen, in den Schulen werden Atomunfall-Übungen zur Routine. Die gesundheitlichen Folgen sind bis heute nur bedingt abschätzbar, aber sie waren und sind gewaltig. Laut den Vereinten Nationen hatte der Unfall von Tschernobyl den größten Anstieg von Erkrankungen zur Folge, der durch ein einzelnes Ereignis ausgelöst wurde.

Katastrophenmusik

Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl wurde letztes Jahr in Form der vielgelobten HBO-Miniserie „Chernobyl“ cineastisch aufgearbeitet. Bemerkenswert ist der phänomenale Soundtrack der Isländerin Hildur Guðnadóttir. Die Komponistin und Cellistin Hildur Guðnadóttir wollte nicht zu den Bildern der ausgezeichneten amerikanisch-britischen Fernsehserie Chernobyl komponieren, sie wollte die Psychologie der Katastrophe musikalisch darstellen. Und dieser Ansatz hatte einen bemerkenswerten metaphysischen Soundtrack zur Folge. Eine musikalische Sensation in Dringlichkeit und Empfindung.

Hildur Guðnadóttir und ihre Arbeit "Chernobyl"

Hildur Guðnadóttir / Donaufestival

Hildur Guðnadóttir

Hildur Guðnadóttir wurde 1982 in der isländischen Hauptstadt Reykjavík geboren. Sie ist klassisch ausgebildete Komponistin und Cellistin. Gleichzeitig pflegt sie unzählige Verbindungen in Form von Kooperationen zur internationalen Avantgarde-Pop. Beispielsweise zu Pan Sonic, Schneider TM, The Knife, Múm, Fever Ray, Sunn O))), Ben Frost oder Animal Collective. Seit 2011 komponiert sie Filmmusik für das Fernsehen und das Kino. Ihre Musik für den Film „Joker“ mit Joaquin Phoenix bescherte ihr einen Oscar für die beste Filmmusik.

Damit war sie seit 1997 die erste Frau, die einen Oscar in dieser Kategorie bekam. Die „Joker“-Musik entwarf sie weitestgehend vor den Dreharbeiten auf Basis des Drehbuchs. Eine Arbeitsweise, welche sie eben auch bei der Serie Chernobyl anwendete und welche wohl einer der primären Gründe für die Nachdrücklichkeit ihrer Soundtracks ist.

Field Recordings im AKW

Mit ihren Mitarbeitern Chris Watson und Sam Slater reiste Guðnadóttir zu einem aufgelassenen AKW in Litauen. Tagelang nahmen sie dort um und im Atomkraftwerk Field Recordings auf. Diese Aufnahmen verwendete sie dann zwar nicht in ihrer Filmmusik, aber auf Basis der aufgenommenen Stimmungen ließ sie sich inspirieren. Beispielsweise durch eine sich zufällig ergebende Tonfolge; beim Öffnen einer alten Tür. Oder einfach nur durch die überwältigenden Gefühle tief im Betonbauch des monströsen Gebäudes.

So entstand eine atemberaubende musikalische Darstellung von Angst wie sie nur sehr selten gelingt. Messbar mit Meisterwerken wie beispielsweise der „Sinfonie der Klagelieder“ über die Opfer der Shoah vom polnischen Komponisten Henryk Górecki. Wenn man sich dieser Musik stellt, birgt sie auch die Möglichkeit von Therapie und Momente von feierlicher Schönheit.

Von Tschernobyl nach Zwentendorf

Im Rahmen des Donaufestivals 2020 waren Aufführungen des Soundtracks im nie in Betrieb genommenen AKW Zwentendorf geplant. Es wäre ein Diskurs-Höhepunkt im Rahmen des Mottos „Machines Like Us“ gewesen: das Atomkraftwerk als ultimatives Sinnbild der menschenbeeinflussenden Maschine. Inzwischen kann man sich dieser Musik aber auch mit Hilfe der Corona-Krise nähern, die gerade an unserer Zivilisation reibt. Ein außergewöhnliches Projekt welches hoffentlich in der Zukunft doch noch umgesetzt wird.

Das AKW Zwentendorf

Im niederösterreichischen Zwentendorf steht das einzige Atomkraftwerk Österreichs. 1972 wurde mit dem Bau begonnen. Allerdings entwickelte sich breite Ablehnung in der österreichischen Bevölkerung gegen die Atomkraft. 1978 ging eine Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des AKWs gegenteilig für die Atomkraft aus. Es folgte die Nichtinbetriebnahme und das sogenannte Atomsperrgesetz. Ein Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich. Als es 1986 dann zur Atomkatastrophe von Tschernobyl kam, wurde das österreichische Atomsperrgesetz gesellschaftlicher und parteipolitischer Konsens.

Donaufestival 2020 - FM4 Radioedition!

„Machines Like Us“ - Ein Festival in einer Stunde. FM4 feiert die Konzepte und KünstlerInnen vom abgesagten aber inhaltlich enorm aktuellen Kunst- und Performance-Festival in Krems im Radio weiter. Eine Stunde Homebase-Spezial mit Donaufestival-Inhalten wie dem Dystopie-Blueser Ghostpoet, der Katastrophen-Musik von Hildur Guðnadóttir oder den Abstrakt Rockern Girl Band und Wire. Am Mittwoch 29. April ab 19.00 in der FM4-Homebase und im FM4 Player.

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