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Szenenbild aus der Serie "Hollywood"

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Der Revisionismus, wo ich mitmuss

Was wäre, wenn das Hollywood der 1940er Jahre in Sachen Diversität progressiver als das heutige Hollywood gewesen wäre? Ryan Murphy imaginiert in seiner neuen Serie „Hollywood“ die Filmgeschichte neu. Mit Pomp, Glanz, Gloria, Darren Criss und einem Blick zurück, der einen Blick aufs Jetzt wirft.

Von Pia Reiser

Das ist mir jetzt auch noch nicht passiert. Dass ich mittendrin in einer Serie auf Pause drücke, weil ich die Befürchtung habe wahlweise zu im- oder explodieren, wenn ich nicht meine Euphorie sofort, aber eben wirklich sofort aufschreibe.

Dass „Hollywood“ - Ryan Murphy hat eine Vorliebe für so einfache wie große Titel, siehe „Pose“, „Feud“, „Popular“ - eine Serie für mich sein wird, war vorherzusehen. Murphy widmet sich dem Hollywood der 1940er Jahre, schon dieser eine Satz ist aufregender für mich als manche Serien auf Staffellänge. Dass das mehr sein würde, als man zunächst via Pressemitteilungen verlautbaren ließ - a love letter to tinseltown war auch klar.

Kaum jemand hat die Serienlandschaft der letzten zehn Jahre so mitgestaltet wie Ryan Murphy und vor allem queere Figuren von klassischen Sidekicks zu Hauptfiguren gemacht, ohne ihnen die gern übliche Leidensgeschichte umzuhängen. Auch das Ungleichgewicht von männlicher Nacktheit im Vergleich zur weiblichen in Mainstream-Produktionen haben Murphys Serien ein wenig nachgebessert. In „Hollywood“ bieten zB die legendären Poolparties von Regisseur George Cukor jede Menge Gelegenheit dafür.

„Hollywood“ läuft ab 1. Mai 2020 auf Netflix

Oft spielen Murphys Serien in der Vergangenheit, um Nostalgie geht es aber nie. Auch nicht im Fall von „Hollywood“, dabei wäre das die bisher potenziell größte Nostalgiekiste in seinem bisherigen Ouevre: Die sogenannten goldenen Studiozeiten der amerikanischen Filmindustrie, larger than life Filmstars in larger than life-Filmen, der zweite Weltkrieg soll schließlich möglichst schnell vergessen werden. Glamour, Glitzer, Cocktailstunde, Poolparties. Agenten, die SchauspielerInnen neue Namen, ein neues Image und oft auch Ehepartner verpassen. Doch unter der glänzenden Oberfläche und dem dauer-za-bsch-enden Jazzbeserlsound in „Hollywood“ interessiert sich Murphy für Machtstrukturen und Abläufe im damaligen Filmgeschäft. Und erzählt von Sex als Währung, um es in Tinseltown an die Spitze zu schaffen.

Szenenbild aus der Serie "Hollywood"

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Da muss man sich als Drehbuchautor auch nicht auf die Suche nach Metaphern oder Parabeln machen, da nimmt man einfach eine wahre Geschichte, die so gut erfunden klingt. Willkommen bei „Golden Tip“, der
pittoreskesten und saubersten Tankstelle, die die Welt je gesehen hat. Ihr Inhaber heißt Ernie (Dylan McDermott) und stellt nur besondere Feschaks ein, die, wenn Ernies Kundschaft das Codewort „Dreamland“ sagt, einen der Angestellten mit aufs Hotelzimmer nehmen. Hier fängt auch Jack Castello zu arbeiten an, nachdem das mit der Karriere als Filmstar doch nicht so schnell geht, wie er sich das vorgestellt hat – und schließlich erweist sich der Job als Automechaniker/Gigolo als schnellerer Weg, um in direkten Kontakt mit Casting-Agentinnen und den Ehefrauen von Studiobossen zu kommen.

Sex ist die Eintrittskarte nach Hollywood, das muss auch ein junger Mann namens Roy Sterling feststellen, der es immerhin zu einem Termin beim legendären Henry Wilson geschafft hat. Der erklärt ihm gleich - nach der eher weirden Feststellung you smell like milk - dass Sterling es schaffen würde, wenn er ihn unter seine Fittiche nimmt, zuerst muss ein neuer Name her – nämlich Rock Hudson – und dann bitte zum Oralsex im Nebenzimmer antreten.

Die explizite Sprache von „Hollywood“ steht in großem Kontrast zu der Sprache, die in den Filmen aus dieser Zeit gesprochen wird, da greift man erstens gern zurück auf den „Mid-atlantic accent“ (auch der wird erklärt in „Hollywood“), eine für Film erfundene Sprachweise. Und zweitens ist seit dem Hays Code sowieso jegliche Darstellung oder Thematisierung von Sexualität (und vielen anderen Dingen) untersagt, da muss man als Filmemacher auf Anspielungen setzen, wie zB Billy Wilder in „Double Indemnity“ oder Howard Hawks in „To have and to have not“. Die große Diskrepanz aus der Art, wie in „Hollywood“ gesprochen wird und wie wir diese Zeit aus Hollywood-Filmen kennen ist eine der Reibeflächen, die diese Serie so interessant machen.

Szenenbild aus der Serie "Hollywood"

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Der oben erwähnte Henry Wilson wird von Jim Parsons gespielt, der hier erstens versucht, dass niemand mehr an „The Big Bang Theory“ denkt, wenn man ihn sieht und dabei aber zur Idealbesetzung eines jungen Montgomery Burns für eine „The Simpsons“-Realverfilmung wird. Dieser Wilson hat nicht nur Rock Hudson groß gemacht, unter seinem Regime als Agent begann der Aufstieg des beefcake. Noch nicht ganz klar ist mir, warum Jake Picking Rock Hudson so spielt, als wäre er ein Roboter.

Eine der tragischsten Figuren in Hollywood und „Hollywood“ ist sicherlich Anna May Wong. Die Schauspielerin versuchte jahrelang der Sterotypisierung auf der Leinwand als edle Asiatin zu entkommen. Schon damals spricht Wong das in Interviews an, in „Hollywood“ lässt Murphy sie ihren Unmut über die dauernde Stereotypisierung bzw. die Tatsache, dass oft weiße Schauspielerinnen Asiatinnen spielen, bei einem Glas Scotch am Vormittag formulieren und es fällt natürlich auf, dass die Bestandsaufnahme und Kritik einer Figur im Jahr 1946 im Grunde fast gleich heute angewendet werden kann. Oder wie Murphy es formuliert: Everything has changed. Nothing has changed!

Wong verliert die Rolle einer chinesischen Frau in „The Good Earth“ an Luise Rainer, die man mit mittels Make-Up in eine Asiatin wandelt - die Beispielliste hierfür ist lang, siehe nur Katherine Hepburn in „Dragon Seed“, Mickey Rooney in „Breakfast at Tiffany’s“ oder Marlon Brando in „The Teahouse of the August Moon“ - aber auch, hier war dann mehr whitewashing als das Make up das Problem: Emma Stone in „Aloha“ und Scarlett Johansson in „Ghost in the shell“.

„Hollywood“ erzählt von der Traumfabrik, die Träume, Karrieren und Leben immer schon auch zerstört hat. Großen Symbolwert hatte in der Geschichtsschreibung Hollywoods immer schon der tragische Tod von Peg Entwistle, der jungen Schauspielerin, die 1932 vom „H“ des berühmten Hollywood (damals noch: Hollywoodland)-Schriftzugs gesprungen ist.

Ein Film über Peg Entwistle ist Teil der Erzählung der Serie „Hollywood“. Der Drehbuchautor ist homosexuell und schwarz - und Rock Hudson ist drauf und dran, sich in ihn zu verlieben.

Und auch wenn die Ausstattung umwerfend und glänzend ist und alle paar Sekunden ein Name wie Gene Tierney, Tallulah Bankhead oder Tennessee Williams fällt (und mein Herz hüpft), ist Blick zurück in “Hollywood” alles andere als nostalgisch, Der Blick zurück schärft den Blick auf das Jetzt, so hat das auch „Mad Men“ schon gemacht – und beide Serien hatten auch große Freude am Inszenieren großer Abgründe hinter glänzend-schöner Oberflächen. Doch „Hollywood“ tanzt nach einer noch ganz anderen Choreografie, eine, die in den letzten Jahren vor allem Quentin Tarantino grandios zu inszenieren wusste: Revisionismus.

Szenenbild aus der Serie "Hollywood"

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Fakt und Fiktion zu einem hypnotischen Erzählreigen vermengen, schön und gut, dabei nicht nostalgisch werden, sondern das Jetzt mitdenken, auch super. Aber: Warum nicht gleich die Geschichte neu schreiben? „Hollywood“ stellt die Frage, wie wohl die Filmgeschichte ausgesehen hätte, wenn schwarze Drehbuchautoren engagiert worden wären. Wenn Fraurn Filmstudios was zu sagen gehabt hätte. Wenn Filmstars ihre Homosexualität nicht hätten verstecken müssen. Wenn die Rollen für schwarze Schauspielerinnen nicht bloß die von Dienstmädchen gewesen wären.

Die Diversität, die in Ryan Murphys Serien immer schon vorhanden war, wird hier zum Thema, „Hollywood“ dreht sich auch um die Macht des Kinos, was Repräsentation angeht. Die Serie ist manchmal so woke, dass es einen selbst ein bisschen müde macht, manchmal so alles ausformulierend, dass es ebenfalls ermüdet. Doch „Hollywood“ macht in all seiner Übertreibung, Vereinfachung sehr große Freude, wenn man ein Herz hat für große Gesten, Überschwang und Pomp.

Die Serie ist alles andere als ein sentimentaler Defibrillator, der den Mythos eines längst vergangenen Hollywood am Leben hält – und vielleicht einer jungen Generation näherbringt. Opulent, hochpoliert und alles anderem als einer erzählerischen oder visuellen Subtilität verpflichtet, ist „Hollywood“ ein tongue-in-cheek-Liebesbrief an eine vergangene Film-Ära und gleichzeitig ein wohlmeinender erhobener Zeigefinger in Richtung #hollwoodsowhite. Ein Tanzbein und ein Arschtreter eben.

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