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James Baldwin - "Giovannis Zimmer"

radio FM4 | Christian Pausch

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James Baldwins „Giovannis Zimmer“

Der 1956 erschienene Kult-Roman von James Baldwin ist in einer neuen deutschen Übersetzung erschienen. Zeit, diese vielfältige Geschichte (noch einmal) zu lesen.

von Christian Pausch

Bereits mehr als ein Jahrzehnt, bevor schwarze Dragqueens und Trans*Personen of Colour in New York City die Stonewall Riots lostreten und die moderne LGBTIQ-Bewegung ihre Anfänge feiert, veröffentlicht der schwarze und schwule Autor James Baldwin seinen Roman „Giovannis Room“. Er schreibt schon damals über das, was wir später „Pride“ nennen werden: Die Freiheit, die man erlebt, wenn man aufhört sich zu schämen.

Baldwin erzählt in „Giovannis Zimmer“ - ganz im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Erwartungen an einen schwarzen Schriftsteller - die Geschichte eines weißen bisexuellen amerikanischen Mannes im Paris der 50er-Jahre. Als dessen Verlobte alleine durch Spanien reist, zieht jener mit ein paar älteren Schwulen durch die Nächte und verliebt sich in den jungen Barkeeper Giovanni.

Das Ende der Scham

Ich weiß gar nicht, wie ich das Zimmer beschreiben soll. In gewisser Weise wurde daraus jedes Zimmer, in dem ich je war, und jedes Zimmer, in dem ich fortan sein werde, wird mich an Giovannis Zimmer erinnern. Wirklich lange habe ich dort nicht gewohnt - wir lernten uns vor Frühlingsbeginn kennen, und im Sommer zog ich aus -, aber noch immer ist mir, als hätte ich dort ein Leben verbracht.

Das titelgebende Zimmer Giovannis spielt im Roman eine ausführliche Rolle. Dort, in dieser winzig kleinen Pariser Dienstmädchenkammer, erlebt der Protagonist David eine leidenschaftliche Liebesaffaire mit dem Italiener Giovanni.

Baldwin, der streng baptistisch aufwächst und in seiner Jugend sogar zum Minister - einer Art Priester - geweiht wird, arbeitet sich in vielen seiner Werke am biblischen Sündenfall ab. Das Zimmer ist der Garten Eden und seine Bewohner - David und Giovanni - versündigen sich durch ihre homosexuelle Beziehung. Am Ende des Buches betrachtet David sein Geschlecht im Spiegel und schämt sich, es ist noch lange hin bis zum Pride-Movement.

Und ich blicke auf meinen Körper, der zum Tode verurteilt ist.

James Baldwin

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Austausch mit Älteren und internalisierte Homophobie

„Irgendjemand“, sagte Jacques, „dein Vater oder meiner, hätte uns erzählen sollen, dass nicht viele Menschen jemals an Liebe gestorben sind. Aber Massen sind zugrunde gegangen – gehen stündlich zugrunde, und noch dazu an den seltsamsten Orten! – aus Mangel an Liebe.“

In Jacques und Guillaume findet David zwei wertvolle Freunde, alte Schwule, die ihm - selbst erst Mitte 20 - mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn auch oft unangebrachtes Begehren mit im Spiel ist. Dieser Austausch der Generationen, der in heteronormativen Kreisen ganz selbstverständlich passiert, ist für eine queere Minderheit ein hart und lange erkämpftes Gut. Erst viel später, am Ende des Jahrhunderts, wird man breitflächig begreifen, wie wertvoll es sein kann, von älteren Mitgliedern der LGBTIQ-Bewegung zu lernen.

Doch wenn David mit anderen über die beiden Älteren spricht, dann nennt er sie Tucken und Tunten, abstoßend, ekelhaft, weibisch. Die Homophobie, vor der sich die Protagonisten fürchten, hat längst schon ihre eigenen Reihen vergiftet. Es ist ein leider immer noch brandaktuelles Thema, das Baldwin hier anspricht: Internalisierte Homophobie, die manchmal noch schlimmer zu ertragen ist als Verachtung von außen. Die Gesellschaft, in der man aufwächst und lebt, ist homophob, es ist deshalb auch ein lebenslanger Kampf, diese verinnerlichte Angst abzubauen. Das weiß Baldwin.

Ich wollte ihn treten, und ich wollte ihn in die Arme nehmen.

James Baldwin - "Giovannis Zimmer"

radio FM4 | Christian Pausch

„Giovannis Zimmer“ von James Baldwin ist in einer neuen Übersetzung, aus dem amerikanischen Englisch, von Miriam Mandelkov bei dtv erschienen.

Frauenhass und Feminismus

Ein Punkt, der in der Rezeption des Buches oft wenig Beachtung findet, ist die offen gelebte Misogynie der handelnden männlichen Figuren. Frauenhass ist an der Tagesordnung bei allen auftretenden Männern, es scheint fast, als würde man sich gegenseitig darin bestärken, dass es zum Glück noch eine Gruppe gibt, die mehr gehasst wird als die eigene.

„Ich schätze Frauen – sehr sogar – für ihr Innenleben, das ganz anders ist als das Leben eines Mannes. (…) Diese absurden Weibsbilder heutzutage mit ihren Flausen und dem ganzen Unsinn, dass sie Männern ebenbürtig seien, die gehören windelweich geprügelt, damit sie begreifen, wer die Welt regiert.“

In der Figur der Hella, der Verlobten Davids, kann man eine frühe Feministin herauslesen. In einem sehr starken Moment im Buch erkennt sie ihre Abhängigkeit von David, ihre Abhängigkeit von Männern generell und hält eine kurze, aber eindringliche Brandrede gegen die Ehe und das enge Korsett, in das die Gesellschaft Frauen wie sie drängen will. Man möchte applaudieren vor so viel modernem Feminismus, aber für David bleibt der Ausbruch Hellas unverständlich. Sie verlässt ihn, aber er mag nicht ganz begreifen warum, ist er doch ganz mit sich selbst beschäftigt.

Es gibt so viele Möglichkeiten, verachtenswert zu sein, da kann einem ganz schwindelig werden. Aber wirklich verachtenswert ist man, wenn man den Schmerz eines anderen geringschätzt.

„Giovannis Zimmer“, dieser Roman aus 1956, ist leider brandaktuell. Es gibt sie noch die Homophobie, den Rassismus, die Frauenfeindlichkeit. Und es braucht sie, die Menschen wie James Baldwin, die mutig dagegen anschreiben.

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