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Handy mit Foto: Frau am offenen Fenster ihrer Wohnung hält ein Plakat mit der Aufschrift "Netzstreik fürs Klima"

ORF.at/Viviane Koth

Politischer Aktivismus trotz Physical Distancing

Im Rahmen der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus waren seit Mitte März Demonstrationen in Österreich untersagt. Wie Protest stattdessen aussehen kann, haben wir mit zwei Aktivistinnen besprochen.

Von Lena Raffetseder

Proteste brauchen Aufmerksamkeit. Das geht am besten, wenn sich viele Menschen versammeln oder wenn man - wie bei Streiks - etwas stilllegt. Beides geht zurzeit kaum. In den letzten Wochen haben Demonstrationen deshalb ganz anders ausgesehen, als wir es gewohnt sind. Protest findet derzeit vor allem online statt: Reden im Livestream, Hashtags zum Vernetzen, Instagram-Postings von selbstgemalten Plakaten zum Weiterverbreiten.

„Wir erreichen nur gewisse Leute und haben weniger Reichweite“, sagt Dora von Fridays for Future Österreich. Während die Leute, die vorher schon aktiv waren, noch mehr Zeit investieren, erreicht man diejenigen nicht mehr, die man früher vielleicht auf der Straße mitreißen konnte.

Auch bei der Seebrücke Wien passiert fast alles online. Fast, denn die Bewegung, die sich für sichere Fluchtwege einsetzt, versucht auch offline im Alltag ihre Botschaften zu platzieren. Etwa, indem man am Weg zum Einkaufen mit Kreide Slogans auf den Gehsteig schreibt. Man will Menschen mit dem Thema konfrontieren, auch wenn das nur eingeschränkt möglich ist.

Themenkonkurrenz

Neben dem Thema Nummer eins zu bestehen, ist schwierig. Und kann auch frustrierend sein, wie Judith von der Seebrücke Wien sagt: „Wir waren davor viel im Gespräch mit politischen Entscheidungsträger*innen und durch diese Krise ist das Thema total untergegangen.“ Nicht nur die Situation von Flüchtlingen ist in den Hintergrund gerückt, auch die Klimakrise ist weniger präsent. „Die Klimakrise verliert aber durch die Coronakrise nicht an Dringlichkeit“, sagt Dora.

Aktivist*innen mussten schnell, spontan und kreativ sein. Denn nicht nur der Protest ist online. Auch jegliche Planung und Koordinierung untereinander kann aufgrund der derzeitigen Maßnahmen nur mehr im Netz stattfinden. Inhaltlich passiert viel Arbeit, auch wenn man das Außen nicht immer sieht, sagen beide Aktivistinnen. Fridays for Future bietet etwa Weiterbildung in Form von Webinaren an. „Das ist auch eine Art von Aktivismus“, sagt Dora.

Versammlungsfreiheit ohne Ansteckung

Beide Gruppierungen hadern mit den Beschränkungen, denn der Protestraum Internet kann Demonstrationen auf der Straße nicht ersetzen. Einerseits gilt „listen to the science“ nicht nur beim Klima, betont Dora, deshalb hat man sich als Organisation an die Ausgangsbeschränkungen gehalten. Andererseits will man sich nicht kleinhalten lassen. Beide Organisationen denken darüber nach, wie Protest zukünftig aussehen kann. Mit gewissen Auflagen will man den öffentlichen Raum wieder nutzen, das Infektionsrisiko soll dabei geringgehalten werden.

Menschen versammeln sich in Israel mit Sicherheitsabstand auf einem Platz

Jack Guez/AFP

Ein Beispiel für Protest trotz Physical Distancing: In Tel Aviv (Israel) haben am vergangenen Wochenende Menschen gegen Premierminister Benjamin Netanjahu demonstriert. Die Demonstrierenden halten zwei Meter Abstand und damit die Vorschrift ein.

Die SPÖ hat ihren Maiaufmarsch ins Internet verlegt, trotzdem wollen viele Organisationen am 1. Mai auf die Straße gehen. So wird am 1. Mai demonstriert.

Auch ohne Demos kann die aktuelle Krise zu einem Umdenken führen. Viele würden gerade realisieren, wie ungerecht unser System ist, sagt Judith. Gleichzeitig würden sie aber die ganze Energie fürs Überleben brauchen. Da ist es dann schwierig, sich politisch einzusetzen. Das alles hänge aber zusammen, beschreibt es die Aktivistin der Seebrücke Wien: „Wenn man die eigene Situation verbessern will, muss man sich für ein sozialeres System einsetzen. Ich glaube, das wird vielen Leuten gerade mehr bewusst. Ich habe das Gefühl, es ist gerade ein Aufwachen da.“

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