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Obdachlose Person schlafend auf einer Wiese

Pixabay / CC0

Obdachlosigkeit in der Krise

Das Leben auf der Straße war noch nie ein leichtes. In Zeiten einer Pandemie brauchen obdachlose Menschen besonders viel Unterstützung. Hilfsorganisationen fordern einen Härtefallfonds zur Wohnungssicherung.

Von Paul Pant und Maria Motter

In den vergangenen Wochen wurde sehr viel darüber geredet, wie man sich vor einer Virus-Ansteckung am besten schützen kann. Den Ratschlag, zu Hause ist es am sichersten, können obdachlose Menschen nicht befolgen. Im Zusammenhang mit der Pandemie ist die Situation obdachloser Menschen also nicht einfacher geworden und die Hilfsorganisationen stehen auch in den kommenden Wochen und Monaten – trotz der Lockerungen - vor ganz besonderen Herausforderungen.

Abstand halten und andere Gebote

Fährt man aktuell aufmerksam durch Wien, sieht man an den Plätzen, die früher soziale Brennpunkte waren, oft keine obdachlosen Menschen mehr, dafür verstärkt Polizeistreifen. Einer dieser Orte ist die U-Bahn-Station Gumpendorferstraße, wo einige soziale Einrichtungen ansässig sind. Größere Menschengruppen wie früher sieht man dort seit Wochen nicht mehr. Diese öffentlichen Orte waren und sind aber oft der einzige soziale Kontaktpunkt für obdachlose Menschen.

„Wenn ich an den öffentlichen Raum jetzt denke und die Situation, wie sie sich jetzt darstellt: Ich fürchte mich vor einer Situation, wo wir uns gegenseitig überwachen und zur Polizei werden und uns gegenseitig genau kontrollieren, wer wie viel Abstand hält", sagt Elisabeth Hammer, Obfrau der BAWO, dem Dachverband der Organisationen, die in der Obdachlosenhilfe arbeiten. Viele obdachlose Menschen verbringen aktuell ihre Tage in beengten Notquartieren, ohne Balkon und Garten.

Hammer ist auch Geschäftsführerin im Neunerhaus im 5. Wiener Gemeindebezirk. Das Neunerhaus wird vom Fonds Soziales Wien unterstützt und war eine der wenigen Gesundheitseinrichtungen, die auch während des Höhepunkts der Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus allen Menschen auch ohne Krankenversicherung unkompliziert offenstand. Viele andere Einrichtungen mussten auf medizinische Telearbeit umstellen, weil sie keinen ausreichenden Schutz für Patient*Innen und ihr Personal bieten konnten, erzählt Helga Leidenfrost, die ärztliche Leiterin im Medizinzentrum Neunerhaus.

Auch Leidenfrost sieht aktuell, dass mehr Menschen ins Neunerhaus kommen, weil sie keinen Ort haben, wo sie sich sicher fühlen und aufhalten können. „Die Leute können nirgends hingehen und das ist eine zusätzliche Belastung, gerade auch bei Menschen mit psychischen Erkrankungen, die es nicht schaffen, länger an einem Ort zu bleiben“, weiß Leidenfrost.

Tageszentrum für obdachlose Menschen - NORD_light

APA/HANS PUNZ

Tageszentrum für obdachlose Menschen - NORD_light

Mit den ÖBB wurde in Wien ein neues Notquartier am Bahnhof Meidling eröffnet, weil die Schlafräume etwa in der Gruft für sehr viele Menschen genutzt wurden. Dort schlafen nun weniger Menschen, andere finden woanders einen Platz: Die Nachtnotquartiere wurden mit der Stadt Wien und dem Fonds Soziales Wien auf einen 24-Stundenbetrieb ausgeweitet. So stehen nun in der Bundeshauptstadt 900 Schlafplätze bis August zur Verfügung.

Akuthilfe

Das Problem sieht auch Klaus Schwertner, der Geschäftsführer der Caritas der Erzdiözese Wien. Die Caritas Wien hat in den vergangenen Wochen intensiv daran gearbeitet, die Hilfe für obdachlose Menschen auszubauen, auch um Infektionen mit dem Coronavirus zu vermeiden. Gerade jetzt sei die Akuthilfe gefordert. Zwar wurden mehr Notquartiere zum Schutz wohnungsloser Menschen in Wien geöffnet und es gibt nun genug Schlafplätze, allerdings gäbe es auch zahlreiche Menschen, die diese nicht aufsuchen können oder Angst haben, berichtet Schwertner.

Auch in Graz und Salzburg wurden Nachtnotquartiere auf 24-Stundenbetrieb umgestellt und das Angebot von Tageszentren erweitert. Mittlerweile fährt in Graz auch wieder der Vinzibus, der Tee und Brote an Hilfsbedürftige austeilt. Die Ausfahrten waren mit Beginn der Ausgangsbeschränkungen eingestellt worden. Für die Caritas Wien geben Mitarbeiter*Innen 200 Suppenportionen jeden Abend aus. Allein in Wien haben sich dafür 4000 Freiwillige gemeldet, Streetworkteams sind ebenfalls unterwegs.

Hygienepakete und Schutzmasken

Aber nicht nur die Verpflegung ist aktuell wichtig. Dinge, die für viele mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden sind, sind nach wie vor eine Herausforderung auf der Straße, sagt Elisabeth Hammer. „Das fängt bei der Frage an, wie ich mir die Hände waschen kann. Wie bekomme ich eine Seife und das geht natürlich über zur Frage, wie komme ich an eine neue Schutzmaske", sagt Elisabeth Hammer. Die Caritas Wien hat deswegen begonnen auch 300 Hygienepakete zu verteilen.

Auch im Neunerhaus bekommen Patient*innen Mund-Nasen-Schutz. Erst vergangene Woche gab es eine anonyme Spende von fünfzig selbstgenähten Masken, erzählt Elisabeth Hammer. Darüber freuen sich die Menschen, sagt sie, da diese Masken einen besonderen Wert haben und als persönliches Geschenk angesehen werden. „Das sind Masken, die aus hübschen Stoffen genäht wurden, wo man sieht, dass da ein Stück persönliches Engagement und ein Stück Liebe drinnen stecken.“ Eine wichtige Geste, wie man Menschen, die Hilfe brauchen, auf Augenhöhe begegnen könne.

Auch Klaus Schwertner appelliert, dass es gerade jetzt ganz wichtig sei, „Menschen nicht zusätzlich zu stigmatisieren und auszugrenzen. Wir alle können das Virus in uns tragen und andere anstecken. Obdachlose Menschen haben schon bisher weniger soziale Kontakte als viele von uns". Schwertner ruft dazu auf, sensibel zu sein und nicht auf die Schwächsten zu vergessen. Sieht man einen Obdachlosen, könne man fragen, ob er etwas zu essen oder Hygieneartikel brauche, sagt er. „Manchmal reicht auch ein nettes Wort oder ein Lächeln“.

Härtefallfonds zur Wohnungssicherung

Bei netten Worten und Masken wird es aber nicht bleiben können, da sind sich die Hilfsorganisationen einig. Es wird darüber hinaus noch viel mehr Hilfe brauchen, sagt Elisabeth Hammer, „auch finanzielle“. Weil obdachlose Menschen nicht nur ihre gewöhnlichen Aufenthaltsorte und ihre gewöhnlichen Alltagsroutinen verloren haben, sondern auch ihre bescheidenen Einkommensmöglichkeiten, wie zum Beispiel der Verkauf von Straßenzeitungen, der weitestgehend zum Erliegen gekommen ist. Deswegen brauche es auch einen Härtefallfonds zur Wohnungssicherung analog zu den Härtefallfonds für die Wirtschaft, fordert BAWO-Obfrau Elisabeth Hammer.

Denn aus der Finanzkrise 2008 wisse man, dass in den darauf folgenden fünf Jahre die Zahl der obdachlosen Menschen in Österreich um ein Drittel gestiegen ist. Bei aktuell rund 600.000 arbeitslosen Menschen kann das nur heißen, möglichst rasch für nachhaltige Lösungen zur Beendigung von Obdach- und Wohnungslosigkeit zu sorgen. Aktuell wäre es nämlich sehr schwierig, einen substanziellen Anstieg der Obdachlosigkeit mit den derzeitigen Strukturen zu stemmen, sagt Hammer.

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