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Bild aus 2010: Tony Allen am Schlagzeug spielt am Glastonbury Festival

APA/AFP/LEON NEAL

Tony Allen, 1940-2020

Er wusste seine Trommeln zu liebkosen, anstatt sie zu prügeln. Mit dem Afrobeat-Pionier Tony Allen ist eine der großen, prägenden Weltfiguren der Musik der letzten 60 Jahre von uns gegangen.

Von Robert Rotifer

Es war eine unschuldige Frage, die ich Paul Simonon, dem alten Bassisten von The Clash stellte, als ich ihn vor zwei Jahren zum damals neuen Album des gerade wieder aktuellen, von Damon Albarn angeführten Projekts The Good, The Bad & The Queen interviewte.

Simonon hatte mir erzählt, dass er Zeit seines Lebens seine Bass-Parts immer so simpel wie möglich angelegt hatte, nicht zuletzt, weil er spieltechnisch nichts anderes zustande brächte. Das sei eine interessante Herausforderung, wenn man mit einem Afrobeat-Drummer wie Tony Allen zusammenarbeite, denn Afrobeat-Bassisten spielen sehr komplex, lebhaft und verspielt. „Wie geht Tony Allen damit um?“, wollte ich von Simonon wissen.

„Ich werd dir sagen, wie er damit umgeht“, antwortete Simonon, „ich kann mich erinnern, als wir das erste Album machten, und ich zu Damon sagte: ‚Weißt du, da ist etwas mit dem Bass und dem Schlagzeug, das nicht ganz zusammengeht.‘ Damon meinte: ‚Da musst du mit Tony drüber reden.‘ Ich ging also rüber zu Tony und ich merkte, dass Damon und alle anderen im Studio ziemlich angespannt wurden. Was würde jetzt wohl als nächstes passieren? Und ich sagte zu Tony: ‚Also, Tony... das Schlagzeug und der Bass... wie soll ich sagen... irgendwie funktioniert da was nicht.‘ Und Tony sagte nur: ‚Ich verändere gar nichts.‘ Und ich sagte: ‚Oh, okay... Dann such ich mir einfach eine andere Bassline.‘ Aber die Sache ist die: Sowas treibt mich vorwärts. Es bringt mich dazu, andere Ideen zu erforschen.“

Eine beiläufige kleine Anekdote, die doch soviel über die Hackordnung zwischen den beteiligten Musikern und insbesondere über den Ausnahmestatus des Tony Allen als sanfte, aber entschiedene Autorität verrät. Es gibt nicht viele Bandkollegen, denen ein Alphatier wie Damon Albarn sich nichts zu sagen traut, und auch Paul Simonon gehört nicht zu der Sorte Sideman, die in bandinternen Machtkämpfen schnell klein beigibt.

Der entscheidende Punkt ist aber, dass Tony Allen mit seinem Gefühl recht behielt: Mit seinem lockeren, rollenden Stil dekonstruierte er förmlich die von englischer Sentimentalität (der guten Sorte) durchzogenen Songs Albarns, entzog Simonons Reggae-Bass jeden Anflug bekiffter Gemütlichkeit und hielt in einem für alle außer ihm selbst nicht durchschaubaren, oft desorientierenden Balanceakt doch irgendwie alles zusammen. In anderen Worten: Er rettete The Good, The Bad & The Queen vor dem Klischee.

Schon in seiner Zeit bei Fela Kutis Band Africa 70 war Tony Allen der einzige gewesen, der unter dem autoritären Band-Leader einen Freibrief genoss, zu tun, was er wollte. Was sollte ihm da erst ein Damon Albarn erzählen?

Tony Allen am Schlagzeug

AP/Yui Mok

Bezeichnenderweise war es auch nicht Albarn gewesen, der sich Tony Allen etwa mit Gönnergeste als lebende Legende ins Studio geholt hätte. Ganz im Gegenteil: Auf dem 2000 erschienenen Blur-Song „Music is my Radar“ hatte Albarn unter anderem die Zeile „Tony Allen got me dancing“ gesungen. Allen, der 2002 gerade an einem Album namens „Home Cooking“ arbeitete, hatte davon Wind bekommen und ließ sich den ihm bis dahin unbekannten Popstar vorbeischicken.

Das kollaborative Experiment glückte, und der Track „Every Season“ mit Damon an Stimme und Melodica wurde zum Eröffnungssong des Albums.

Es sollte fünf Jahre dauern, bis Albarn die nötige Chuzpe aufbrachte, Allen vorzuschlagen, in seiner neuen Band zu spielen.

Als der 1940 in Lagos, Nigeria, geborene Tony Allen am Mittwoch in Paris überraschend und ohne merkliche vorherige Erkrankung starb, war er 79 Jahre alt. Es ist ein furchtbares Klischee, aber mit seinem Abtreten hat die Musikwelt ein veritables Original verloren, oder besser auf Englisch: einen originator. Einen, der über 60 aktive Jahre hinweg die Grundbausteine dessen geschnitzt hat, was wir für selbstverständlich halten.

In den frühen Sechzigerjahren landete er sein erstes professionelles Engagement als Claves-Spieler in der Band des nigerianischen Star-Trompeters Victor Olaiya, eines führenden Vertreters des in Ghana und Nigeria damals populären Highlife-Stils. Die Akzente der Claves spielen in diesem Genre eine führende Rolle, aber Allen gab sich schon in seiner Jugend nicht damit zufrieden, die Vorgaben zu erfüllen. Schließlich hatte er sich als Schlagzeuger von Anfang an an exzentrischen Jazzern wie Max Roach, Elvin Jones, Gene Krupa, Art Blakey (dem er vor drei Jahren eine Tribut-EP widmete) oder dem ghanaischen Afro-Jazz-Pionier Guy Warren aka Kofi Ghanaba orientiert.

Im Gegensatz zu manchen der obigen und vor allem später gegenüber den Funk- und Rock-Drummern seiner Ära wurde Allen in seinem Schlagzeugstil nie brutal oder ausfällig (siehe zum Beispiel sein Solo ab Minute 7:30 von „Afro Disco Beat“ in obigem Youtube-Video).

Wie ihn die Guardian-Journalistin Laura Snapes in ihrem Nachruf zitiert: „Ich versuche, meine Trommeln zum Singen zu bringen und sie in ein Orchester zu verwandeln. Ich prügle meine Trommeln nicht. Statt zu prügeln, liebkose ich sie. Wenn du deine Frau liebkost, wirst du von ihr gute Dinge bekommen. Wenn du sie verprügelst, bin ich sicher, dass sie deine Feindin sein wird.“

Allerdings.

Mitte der Sechziger lernte Allen in der nigerianischen Clubszene den Multiinstrumentalisten Fela Kuti kennen, der in London Trompete studiert hatte, aber grundsätzlich jedes Instrument spielen konnte, das er in die Hand nahm. In seiner Zeit in England hatte Kuti sich eine Fusion von Highlife und Jazz ausgemalt und zu diesem Behuf eine Band namens Koola Lobitos gegründet.

Bei seiner Rückkehr nach Nigeria stellte er fest, dass der zwei Jahre jüngere Allen der einzige Schlagzeuger in Lagos war, der mit seinen Anforderungen zurande kam. Ja mehr noch, die beiden verschmolzen in ihrem Stil neben den Polyrhythmen westafrikanischer Yoruba-Musik nun auch lateinamerikanische und karibische Einflüsse.

Als 1967 in Nigeria ein Bürgerkrieg ausbrach, gingen Kuti, Allen und Band zuerst nach Ghana, dann in die USA, wo sie sich nicht nur in die Grooves der frühen Funk-Ära, sondern auch in die Black-Power-Bewegung vertieften. Fela Kuti nannte seinen Stil nun „Afrobeat“, und obwohl er fürwahr keine Scheu vor dem eigenen Status als Messias hatte, bekannte er: „Ohne Tony Allen würde es keinen Afrobeat geben.“ (Ein Satz, ohne den zurecht kein Nachruf auskommen wird.)

Die beiden sollten zusammen um die 40 Alben aufnehmen, die meisten davon unter dem Namen Africa ’70, nachdem sie zur Wende des Jahrzehnts wieder nach Nigeria zurückgekehrt waren. Ihre Musik war nun nicht mehr bloß zum Tanzen da, sie war eine militante, musikalische Manifestation des postkolonialen panafrikanischen Emanzipationsgeistes geworden, die sich übrigens auch als von der nigerianischen Regierung unabhängige, eigenständige Oase empfand.

Allen verließ Africa ’70 gegen Ende des Jahrzehnts, weil er sich von Fela Kuti ausgebeutet und vom rund um ihn entstandenen Personenkult abgestoßen, aber auch von der politisch brenzligen Lage in seinem Geburtsland zunehmend bedroht fühlte. Er nahm eine Reihe von Soloalben auf, zog Mitte der Achtziger nach London, dann nach Paris, arbeitete dort im Exil unter anderem mit dem nigerianischen Jùjú-Sänger, Gitarristen und Songwriter King Sunny Adé & His African Beats und dem erst vor einem Monat an Covid-19 verstorbenen Afro-Funk- und Makossa-Meister Manu Dibango.

Apropos, ein kleiner Einwurf in interner Sache: FM4 Musikchef Marcus Wagner-Lapierre, nicht zufällig seit Jahrzehnten als „Makossa“ bekannt, teilte sich vor zwölf Jahren auch einmal das von so unterschiedlichen Spätergeborenen wie Jimi Tenor, Charlotte Gainsbourg oder Moritz von Oswald genossene Privileg, zur weitverzweigten Discographie des bis zuletzt weltoffenen Tony Allen beizutragen. Auf „Wangu“ von Makossa & Megablast ist Allen zwar „nur“ als Sample zu hören, die Kollaboration war aber von ihm und seinem Management abgesegnet.

Erst vor anderthalb Monaten erschien „Rejoice“, ein Album von Sessions, die Allen 2010 mit dem vor zwei Jahren verstorbenen südafrikanischen Jazz-Monument Hugh Masekela in Skizzenform aufgenommen und dann letztes Jahr posthum vollendet hatte. Das Album ist also nun auch zu Tony Allens – mehr als würdigem – Abschiedswerk geworden.

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