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Die Heimkino-Tagebücher: Drei Tipps für Indiefilm-Fans

Ein paar Notizen zu Richard Linklaters Tragikomödie „Bernadette“, dem Coming-of-Age-Drama „Eighth Grade“ und Damien Chazelles neuer Serie „The Eddy“.

Von Christian Fuchs

Während Politiker von „Hochfahren“ sprechen und sich dahinter eine behutsame Lockerung des Alltags verbirgt, bleiben die Vorhänge in den Kinos zu. Vorsichtig wird der September als Zeitraum anvisiert, in dem Filme wieder auf großen Leinwänden zu sehen sein könnten. Unter welchen Bedingungen ist noch mehr als fraglich.

Filmpodcast

Radio FM4

„Bernadette“, „Eighth Grade“ und vieles mehr: Im aktuellen Lockdown-Special des FM4 Filmpodcast plaudern Pia Reiser und Christian Fuchs über dringliche und weniger dringliche Serien, Premieren, Dokus und Spielfilme aus dem Streaming-Universum.

Auf der anderen Seite erscheint es unvorstellbar, zumindest für den Schreiber dieser Zeilen, dass etwa die neuen Werke von Denis Villeneuve („Dune“) oder Christopher Nolan („Tenet“) stattdessen einen Video-on-Demand-Release erleben. Gerade die beiden Großmeister des intelligenten Blockbusterfilms sind extrem auf die Kino-Experience fixiert, auf brachiale Soundsysteme, optimale Vorführverhältnisse und nicht zuletzt das soziale Erlebnis dahinter. Villeneuve oder Nolan machen auch so bildgewaltige Unterhaltungskunst, dass selbst der protzigste Flatscreen ihren Visionen nicht gerecht wird.

Kleinere Filme, die eher von Charakteren und Dialogen zehren, tun sich da weniger schwer - und das war auch vor dem Coronavirus schon so. Zum Beispiel kann man sich Richard Linklaters aktuelles Werk „Bernadette“ via Amazon Prime geben, ohne das gemütliche Programmkino ums Eck schmerzlich zu vermissen.

Schrullige Stimmungsschwankungen

Wer einem bei dem Film aber wirklich abgeht, ist Wes Anderson im Regiestuhl. Die Story von „Where’d You Go, Bernadette“, wie die Literaturadaption im Original heißt, schreit förmlich nach den streng kadrierten Einstellungen, den zuckerlbunten Farben, der speziellen Inszenierungsart des charmanten Indie-Exzentrikers. Steht doch, wie in vielen Meilensteinen Andersons, eine schrullige bürgerliche Familie im Mittelpunkt, deren misanthropes Oberhaupt die Umgebung verstört.

Statt einem knarzigen Kauz wie Bill Murray ist es aber eine Frau, Cate Blanchett als besagte Bernadette, deren Verhalten asoziale Züge trägt. Stück für Stück enthüllt der Film die Gründe für die Verbitterung der Figur. Bernadette Fox war einst eine Star-Architektin, deren aufregendstes Projekt vom dazugehörigen Geldgeber in Grund und Boden gestampft wurde. Der Vorfall hinterließ Bernadette traumatisiert, von Schlaflosigkeit und Angststörungen geplagt, ihr Umfeld (Billy Crudup, Kristen Wiig) endlos nervend.

Frau und Mädchen sitzen in einem Auto

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Cate Blanchett als Bernadette

Das klingt düster, aber der Film schwankt zwischen quirky Indie-Comedy und melancholischen Momenten, bemüht sich also um einen Tonfall, den man augenblicklich mit Wes Anderson assoziert. Richard Linklater, ein unglaublich sympathischer Regisseur mit etwas durchwachsenem Oeuvre, tut sich da schon schwerer. Er lässt Cate Blanchett zu viel Raum für Overacting und kommt mit den Stimmungsschwankungen des Plots und der Protagonistin kaum zurecht. Was von „Where’d You Go, Bernadette“ zumindest bleibt, ist eine berührende Verbeugung vor der Kraft der (weiblichen) Kreativität.

Die Vorhölle des Erwachsenwerdens

Der selbe Internetgroßhändler, dessen finanzielle Beteiligung an Richard Linklaters Film sich in exzessivem Product-Placement niederschlägt, vertreibt auch den nächsten Streamingtipp. „Eighth Grade“ stammt bereits aus dem Jahr 2018, hat aber österreichische Kinos leider nie erreicht. Dabei hätte sich das Regiedebüt des Komikers Bo Burnham für eine FM4 Premiere mehr als angeboten.

Mädchen in einem Schwimmbad

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„Eighth Grade“, benannt nach dem gleichnamigen Schuljahr in den USA, ist ein Coming-of-Age-Drama, wie man es in dieser Form noch nie gesehen hat. Die 13-jährige Kayla (umwerfend: Elsie Fisher) hat nichts mit den illustren Freaks, Geeks und Nerds zu tun, die seit „Stranger Things“ durch das Serienuniversum schwirren. Und auf telepathische Ausbrüche wie im Horrorthriller „Carrie“ braucht man auch nicht warten.

Kayla ist ein ganz normales Mädchen ihres Alters, voller hormoneller Verwirrung und süchtig nach Instagram und Snapchat. Sie ist aber so einsam, dass es einem bald das Herz verkrampft beim Zusehen. Ihren etwas verhuschten alleinerziehenden Vater belächelt Kayka, sie selbst wird von ihren Schulkameradinnen verspottet - oder erst gar nicht wahrgenommen.

Die Indiefilm-Fabrik A24, das wurde hier schon oft betont, ist fast ein Garant für ungewöhnliches Kino zwischen Genre-Ansätzen und künstlerischer Ambition. „Eighth Grade“ fügt sich nahtlos in den tollen Output des Studios, der von „The Florida Projekt“ über „Mid90s“ bis zu „Midsommar“ reicht.

Die Karriere von Regisseur Bo Burnham ist aber ganz besonders wundersam. Dass ein ehemaliger Youtube-Star und Stand-up-Comedian so einen intim berührenden und formal auch berauschenden Erstlingsfilm vorlegt, muss man erst mal verdauen. Dass Burnham eben bewusst keinen pubertierenden männlichen Außenseiter zeigt, mit all dem dazugehörigen Klischeeballast, ist doppelt bemerkenswert.

Mich hat „Eighth Grade“, dieser Blick auf Augenhöhe in die pickelige Vorhölle des Erwachsenwerdens, mehr beklemmt als viele Horrorschocker und gleichzeitig an die Magie des Kinos glauben lassen, die man in der Coronavirus-Ära halt via Bildschirm beschwören muss.

All That Jazz

Eine kleine Pause von der großen Leinwand hat sich Damien Chazelle nach dem faszinierenden Astronautendrama „First Man“ genommen, punkto Timing passt das jetzt natürlich perfekt. Der Regisseur, dem wegen seinem Debüt „Wiplash“ das Etikett „Wunderkind“ angeklebt wurde, coproduzierte seine erste Serie, deren erste zwei Folgen er auch selber inszenierte.

The Eddy“, demnächst auf Netflix abrufbar, dreht sich um einen gleichnamigen Nachtclub, der in einer heruntergekommenen Pariser Seitengasse liegt. Dort läuft weder House noch Hip Hop, sondern altmodischer Jazz, gespielt von einer Liveband. Wer ein etwas gespaltenes Verhältnis zu diesem Sound hat wie der Autor dieser Zeilen, wird „The Eddy“ wohl stellenweise schwierig finden. Denn Chazelle und die anderen Regisseur*innen der acht Episoden zelebrieren sämtliche jazzelnden Stereotypen.

Gleichzeitig muss man eingestehen, dass die Serie auch eine flirrende Authentizität ausstrahlt, die zittrige Handkamera folgt den Figuren nahtlos von der Bühne zum Backstageraum und hinaus ins multikulturelle Pariser Straßenleben. Handlungstechnisch bleibt Damien Chazelle seinen beiden wichtigsten Obsessionen treu: Der Musik als völlig vereinnahmender Kunstform und der Besessenheit mit sturen maskulinen Charakteren, die unbeirrbar ihren Weg gehen.

André Holland, manchen vielleicht als afroamerikanischer Chirurg aus der Ausnahmeserie „The Knick“ bekannt, spielt den manischen Manager Elliot, der zusammen mit dem lässigen Farid (Tahar Rahim aus „Un prophète“) den Club betreibt.

André Holland und Joanna Kulig

Netflix

André Holland und Joanna Kulig in „The Eddy“

Viel spannender als die beiden Männer oder der kriminelle Subplot, rund um erpresserische russische Ganoven, sind aber die weiblichen Charaktere. Die polnische Schauspielerin Joanna Kulig („Cold War“) wirkt als Barsängerin etwa so glaubwürdig, dass man sich eine eigene Serie mit ihr wünschen würde. „The Eddy“ hat überhaupt darstellerisch einiges zu bieten. Ob man deshalb all die Schlagzeugsolos, das Pianogeklimper und die kreischenden Saxophone durchsteht, muss jede*r selbst entscheiden.

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