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Jasmin Schreiber

„Marianengraben“: Über das Sterben und das Leben

In dem Roman „Marianengraben“ von Jasmin Schreiber muss Paula einen Weg aus dem Schmerz finden, der schwer auf ihr lastet, seit ihr kleiner Bruder gestorben ist. Sie verarbeitet ihre Trauer auf einem Roadtrip, gemeinsam mit dem Pensionisten Helmut, der seiner Frau ein Versprechen gegeben hat.

Von David Riegler

Man merkt sofort, dass die Autorin Jasmin Schreiber sehr genau weiß, wovon sie schreibt, wenn sie Tod und Verlust in ihrem Debütroman „Marianengraben“ thematisiert. Die studierte Biologin ist ehrenamtliche Sterbebegleiterin und fotografiert Sternenkinder, also Kinder, die noch während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt sterben. In ihrem Blog „Sterben üben“ erzählt sie von den Menschen, die sie in der Sterbebegleitung kennenlernt.

Ob Jasmin Schreiber Angst vorm Tod hat? „Oh Gott, ja“, schreibt sie in ihrem Blog. Doch das ist für sie ein Grund sich noch intensiver damit zu beschäfitgen: „Schließlich sterbe ich auch irgendwann und alle Menschen, die ich kenne, werden dieses Schicksal ebenfalls teilen. Umso besser, wenn man vorbereitet ist, oder?“

Ein Schmerz so tief wie der Marianengraben

Ihre Protagonistin Paula trifft der Tod unvorbereitet. Ihr kleiner Bruder ist ertrunken und sie stellt sich immer wieder die Frage, ob sie ihn hätte retten können, wäre sie nur auf die Familienreise mitgefahren. In dem Moment, in dem ihre Mutter ihr am Telefon erzählt hat, dass ihr Bruder tot ist, blieb ihr Herz stehen.

Der Marianengraben ist der tiefste Punkt des Weltmeeres, der je gemessen wurde. Knapp 11.000 Meter geht es an dieser Stelle in die Tiefe. Ihrem Bruder hat Paula einmal erklärt, dass die Liebe zu ihm so groß ist, wie diese Entfernung. Jetzt kommt es ihr so vor als wäre es der Schmerz, der so tief in ihr sitzt, wie der Marianengraben. Paula stürzt in eine schwere Depression.

„Das Gefühl war so schlimm, dass ich nicht mehr aufstehen konnte, nicht mehr duschen, gar nichts mehr. Und irgendwann ist das komisch umgekippt und ist weggegangen, aber kein neues Gefühl setzte sich an seine Stelle. Stattdessen war da nur noch: Leere.“

Gemeinsam trauern auf einem Roadtrip

Um andere Menschen zu meiden besucht Paula das Grab ihres Bruders mitten in der Nacht. Dort trifft sie auf einen schrulligen älteren Mann, der neben seinem Hund kniet und versucht, eine Urne auszugraben. Der Mann heißt Helmut und hat ebenfalls einen schweren Verlust erlebt. Kurz vor dem Tod seiner Frau hat er ihr eine Reise in die Berge Südtirols versprochen, die er auch nach ihrem Tod antreten möchte.

Buchcover

Eichborn Verlag

„Marianengraben“ ist im Eichborn-Verlag erschienen.

Paula und Helmut könnten wohl unterschiedlicher nicht sein und trotzdem verbindet sie der Verlust eines geliebten Menschen. Paula schließt sich der Reise an und fährt gemeinsam mit Helmut und seinem neurotischen Hund in einem Wohnmobil nach Italien. So entsteht der ungewöhnliche Roadtrip, bei dem sich Helmut und Paula gegenseitig dabei unterstützen, ihre Gefühle zu verarbeiten. „Wenn Trauer eine Sprache wäre, hatte ich jetzt zum ersten Mal jemanden getroffen, der sie genauso flüssig sprach wie ich, nur mit einem anderen Dialekt.“

Das Buch ist ein Brief an Paulas Bruder und immer wieder spricht sie ihn direkt an und teilt ihre Gedanken mit ihm. Sie erinnert sich daran, dass er dieselbe Leidenschaft für das Meer und dessen Bewohner hatte wie Paula selbst. Und daran, dass er immer alles „megakrass“ fand. Mit den direkten Anreden und liebevoll erzählten Erinnerungen schafft die Autorin einen sehr persönlichen Einblick in den Trauerprozess der Protagonistin. „Immer, wenn ich gesagt hatte ich sei zu dick, hattest du das nie verstanden. Du hast dann den Finger in meinen weichen runden Bauch gedrückt und verständnislos gefragt: „Aber das ist doch gut zum Kuscheln, wieso willst du denn hart werden?“

Der Weg zurück ins Leben

Doch „Marianengraben“ ist keineswegs düster oder schwer. Immer wieder steigen absurd komische Situationen aus dem Nichts auf, zum Beispiel, als die beiden ein verletztes Huhn finden, das sie verarzten, Lutz taufen und mitnehmen. Oder als ein Teil der Asche aus der Urne versehentlich auf Paula geweht wird, nachdem Helmut den Deckel ungeschickt öffnet. Durch solche Momente entsteht eine Leichtigkeit, die einen als Leser*in immer wieder unerwartet trifft.

Jasmin Schreiber ist ein starker Debütroman gelungen, in dem sie ihre Erfahrungen als Sterbebegleiterin auf einfühlsame Art und Weise umgesetzt hat. Sie trifft immer den richtigen Ton und lässt auf jeden Moment des Verzweifelns einen Moment der Hoffnung folgen. Paulas Reise mitzuerleben ist heilsam für Protagonistin und Leser*in zugleich. „Trauern ist kompliziert,“ bemerkt Paula im Buch und trifft damit ins Schwarze. Doch Trauern ist auch wichtig. Denn nur so findet Paula wieder zurück ins Leben: „Das Einzige, was es noch zu sagen gibt: Ich liebe dich und du fehlst mir.“

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