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Trial by Media

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„Trial by Media“: True-Crime auf der Metaebene

Mit der Anthologie-Doku „Trial by Media“ („Gerichtsverfahren in den Medien“) versucht Netflix True-Crime auf eine Metaebene zu heben. Anhand von sechs bekannten Kriminalfällen werden die Rolle von Medien und die Auswirkungen ihrer Berichterstattung thematisiert.

Von Philipp Emberger

Es sind Kriminalfälle, die in den USA und teilweise darüber hinaus für großes mediales Aufsehen gesorgt haben. Da wäre zum Beispiel Bernhard „Bernie“ Goetz, der 1984 in der New Yorker U-Bahn vier afroamerikanische Jugendliche anschoss. Als Grund gab er an, dass sie ihn ausrauben wollten und er sich bloß dagegen gewehrt hat. In den folgenden Wochen und Monaten wurde er in der öffentlichen Debatte zum Volkshelden hochstilisiert. Als „Subway Vigilante“ galt er als Symbolfigur für den Aufstand der New Yorker Bevölkerung, die in den 80ern mit einer hohen Kriminalitätsrate in ihrer Stadt zu kämpfen hatte.

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Fälle wie diesen nimmt Netflix zum Ausgangspunkt und versucht mit einer Doku, die auf Unterhaltung getrimmt ist, boulevardeske Berichterstattung über Kriminalfälle anzuprangern. Klingt erstmals absurd. Die Dokuserie „Trial by Media“ (bzw. auf deutsch etwas sperrig „Gerichtsverfahren in den Medien“) hat allerdings den Anspruch, True-Crime auf eine Metaebene zu bringen und die Berichterstattung über Kriminalfälle zu thematisieren. Denn sie versucht anhand von wahren Kriminalfällen die Rolle von Medien zu beleuchten. Dabei handelt es sich häufig um die Frage, inwiefern Medien vermeintlich kriminelle Personen vorverurteilen oder medial freisprechen und so Einfluss auf Gerichtsurteile nehmen.

Gerichtsverhandlungen als TV-Show

Die Fälle der sechs Folgen sind thematisch voneinander unabhängig und reichen von Betrug bis Mord. Sie alle wurden in amerikanischen Medien heftig debattiert. Täter, Opfer und Zeug*innen wurden monatelang von Reporter*innen belagert und die anschließenden Gerichtsverhandlungen wurden live im Fernsehen übertragen. Mit Hilfe von Archivaufnahmen und Interviews mit Zeug*innen und Expert*innen baut „Trials by Media“ nun Stück für Stück die Kriminalfälle wieder zusammen. Einer der interviewten Experten liefert dann auch einen Satz, der nachhallt: „When you turn a courtroom into a studio, you have to turn reality into a story“. In jenem Moment, in dem die Kamera angeht und Gerichtsverhandlungen live gezeigt werden, werden Gerichtsverhandlungen zu einem weiteren Puzzleteil der Inszenierung.

Strategisch versierte Akteur*innen wissen das als ihren Vorteil zu nutzen, um der Öffentlichkeit eine Geschichte zu präsentieren. Und im „Idealfall“ beeinflussen sie damit Gerichtsurteile zu ihren Gunsten.

So geschehen etwa im sogenannten Talkshow-Mord, der Gegenstand der ersten Folge ist und Talkshows bzw. „Ambush-TV“ (Überfalls-TV) anprangert. Diese Art von Fernsehen bezeichnet in den USA das Vorgehen, Aspekte einer Fernsehproduktion vor Protagonist*innen geheim zu halten und sie vor laufender Kamera zu überrumpeln, um eine heftige Reaktion einfangen zu können.

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Scott Amedures Bruder, Frank Amedure Jr., erzählt in der ersten Folge vom Tod seines Bruders

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Als Executive Producer der Dokuserie ist u.a. George Clooney dabei. Die sechs Folgen sind seit 11. Mai auf Netflix.

Auslöser für den Talkshow-Mord war die 1995 aufgezeichnete Folge „Same Sex Secret Crushes“ der Krawall-Talkshow von Moderatorin Jenny Jones. In dieser Episode, die nie ausgestrahlt wurde, gestand Scott Amedure seinem heterosexuellen Bekannten Jon Schmitz seine Liebe. Schmitz erfuhr davon erst vor der Kamera, die Redakteur*innen haben ihn unter dem Vorwand zur Show gelockt, dass er eine heimliche Verehrerin oder einen heimlichen Verehrer hätte. Erst als er das TV-Studio betrat, erfuhr der 24-jährige Schmitz, dass sein Verehrer ein Mann war. Er fühlte sich in den Tagen darauf vor der ganzen Nation gedemütigt und ermordete, angetrieben von einer homophoben Einstellung seiner Familie, Amedure schließlich.

Der Mordfall war von Anfang an von intensiver Medienberichterstattung begleitet. Und die Folge der Doku geht der Frage nach, ob die ausbeuterischen Fernsehproduzent*innen der Jenny Jones Show den jungen Schmitz zu der grausamen Tat getrieben haben.

Gescheitert an der eigenen Metaebene

Die erste Folge bleibt leider die einzige Folge, die die Rolle der Medien in den Fokus rückt. „Trial by Media“ scheitert an Versuch, mediale Berichterstattung in einen größeren und gesamtheitlichen Kontext zu setzen. Obwohl das Thema durchaus Anlass dazu geben würde.

In den weiteren Folgen stehen mehr die eigentlichen Fälle im Vordergrund. Dabei offenbart sich schnell eine weitere Gemeinsamkeit: Es sind meist traurige Geschichte mit vielen komplizierten Teilen.

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Bernhard „Bernie“ Goetz schoss 1984 in einer U-Bahn in New York City vier afroamerikanische Jugendliche an

In den Fällen selbst werden aber durchaus interessante Themen thematisiert wie etwa Polizeibrutalität, Rassismus oder Kriminalität in New York City. Jede kommt auf eine Laufzeit von knapp einer Stunde.

Das erlaubt der Doku zwar die Fälle genau zu zeigen, ist bei manchen Folgen aber ein paar Minuten zu viel. An der aufgeworfenen Metaebene scheitert die Dokuserie und schafft es nicht, die mediale Verantwortung ausreichend herauszuarbeiten.

Hier tappt die Doku in die eigene gestellte boulevardeske Falle. True-Crime-Fans, die noch neue, teils unbekanntere Fälle entdecken wollen, kommen aber auf ihre Kosten.

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