„Those Who Remain“: Der gewöhnliche Schrecken
Von Rainer Sigl
Tiefste Nacht. Die Kleinstadt ist menschenleer. Wenige Straßenlaternen schaffen kleine Inseln von Licht, dazwischen nachtschwarze Finsternis. Wenn ich ins Dunkle blicke, stehen dort schweigend und reglos Hunderte Gestalten, dicht an dicht, mit hell leuchtenden Augen. Ein Schritt und es ist aus mit mir.
Das Setting des Horrorspiels „Those Who Remain“ könnte genauso aus jedem zweiten Stephen-King-Roman oder einem der früheren Filme von John Carpenter stammen: Nur scheinbar idyllische US-Kleinstädte, in denen das übernatürliche Böse lauert, sind im Horrorroman, -film und auch -spiel nichts Besonderes. Auch das erfolgreiche Horrorspiel „Alan Wake“ hat man noch gut im Kopf.
Mehr Licht!
Mit anderen Worten: „Those Who Remain“ bedient schon in Sachen Setting ein wohlbekanntes Bündel von Klischees. Auch die Story ist nicht rasend originell: Als von meiner Vergangenheit und Reue gequälter Mann bin ich auf der Suche nach meiner Geliebten, um mit ihr endlich Schluss zu machen und meine Familie zu retten - doch statt ihr finde ich im Dunkel der Nacht übernatürliches Grauen und die Geister der Vergangenheit - auch meiner eigenen.
Die zentrale Spielmechanik von „Those Who Remain“ ist es - auch das kennt man -, die gefährliche Dunkelheit zu vermeiden: Ich muss Beleuchtungen aktivieren, um sicher durch die Stadt zu kommen. Außerdem kann ich auch immer wieder von der Realität in eine seltsame Zwischendimension wechseln, um dort Hindernisse in der echten Welt zu beseitigen. Immer wieder werde ich auch von unheimlichen Monstern verfolgt und muss schleichen und mich verstecken, um zu überleben.
Abgesehen von diesen Sequenzen gilt es allerdings eher, Rätsel zu lösen und einen Weg vorwärts zu finden. An wenigen Stellen muss ich moralische Entscheidungen zum Schicksal der sporadisch auftauchenden Stadtbewohner treffen; je nachdem, wie die ausfallen, wartet am Spielende eines von drei verschiedenen Enden auf mich.

Camel 101
Das B in B-Movie steht für: Basst scho
In Sachen Atmosphäre ist „Those Who Remain“ gelungen: Die verlassene Kleinstadt ist mit ihrer eindrucksvollen Beleuchtung ein unheimlicher Ort, an dem man sich wirklich öfter gruselt. Leider macht die Story viel von dieser Stimmung durch recht willkürliche Sprünge zunichte, und die einzelnen Schauplätze fügen sich nicht wirklich gut zu einem Ganzen zusammen - stattdessen klappert man linear eine Location nach der anderen ab, gern unterbrochen von plötzlicher Amnesie der Hauptfigur.
Auch die Action-Elemente sind früher oder später eher zum Ärgern als zum Fürchten: Die Stealth-Sequenzen, die von spielmechanisch weitaus kompetenter damit umgehenden Vorbildern übernommen wurden, sollen für Spannung sorgen, führen aber wegen erratischer Monster und zusätzlich patschert vergebener Speicherpunkte zu Groll.
„Those Who Remain“, entwickelt von Camel 101 und vertrieben von Wired Productions, ist für Windows, PS4 und Xbox One erschienen. Eine Version für Nintendo Switch soll im Sommer folgen
Trotzdem: Etwa zwei finstere Abende lang unterhält man sich leidlich gut mit diesem Horrorspiel, das vor allem Genrefreunde zufriedenstellen will. Als Horrorfan darf man eben bekanntlich nicht zimperlich und auch nicht gar so wählerisch sein - auch von B-Movies kann man sich gut unterhalten lassen.
Nach der Durchschnittsware der letzten Monate und Jahre wäre es dennoch höchste Zeit, dass wieder mal ein außergewöhnlich gelungener Genrevertreter für frischen Wind in der Indie-Horrorspiel-Nische sorgt. „Those Who Remain“ tut das leider nicht.
Publiziert am 06.06.2020