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Run The Jewels

Tim Saccenti

"We’re Run the Jewels, we’ll punch you in the face“

Früher als geplant veröffentlichen Run The Jewels ihr Album RTJ4. Sie beziehen sich dabei auf die aktuellen Geschehnisse in den USA nach dem Tod von George Floyd: "Here is something raw to listen to while you deal with it all.“

Von Natalie Brunner

Zwei Tage vor der geplanten Veröffentlichung ihres vierten Run The Jewels-Album stellt das Rap Duo Killer Mike und El-P ihr neues Werk zum gratis Download auf ihre Webseite mit den Worten: „Fuck it why wait. The world is infested with bullshit so here is something raw to listen to while you deal with it all.“

Guter Move.
Sie scheinen zu spüren, dass ihre Fans das Album jetzt brauchen. Run The Jewels adressieren die Bestie, das Monster, den amerikanischen Alptraum, der eigentlich ein globaler ist, weil auch Europa seinen Reichtum der Sklaverei und dem Kolonialismus verdankt. Sie adressieren diesen Alptraum direkt und schon seit langem und haben einen sprachlichen Weg gefunden, ihm beizukommen, Wege und Optionen aufzuzeigen.

Aktuelle Thematik

Das neue Album RTJ4 thematisiert durchgehend Polizeibrutalität, Rassismus und wirtschaftliche Ungerechtigkeit. Es ist leider keine Überraschung, dass RTJ4 so in Resonanz mit den aktuellen Ereignissen ist: Beide MCs sagten die jetzt eingetretene Dystopie schon auf ihren prä Run The Jewels Soloalben ziemlich bildlich voraus, nicht weil sie Hellseher sind oder, wie sie gescherzt haben, ihre Kristallkugel befragen, sondern weil sie beobachten und reagieren und nicht müde werden, neue sprachliche Bilder für bestehende Probleme zu finden. Es ist keine Überraschung, was jetzt passiert, sondern die Konsequenz eines kontinuierlichen Prozesses von Ausbeutung und Unterdrückung.

Auf der Nummer „Walking in the Snow“ rappt Killer Mike: “And you so numb you watch the cops choke out a man like me / Till my voice goes from a shriek to whisper, ‘I can’t breathe’ / And you sit there in the house on the couch and watch it on TV / The most you give’s a Twitter rant and call it a tragedy.”

Er bezieht sich auf den Tod von Eric Garner, der 2014 von Polizisten erstickt wurde. Killer Mike hat mit den aus heutiger Sicht leider wieder einmal prophetisch wirkenden Zeilen den Nagel auf den Kopf getroffen und gleichzeitig nur halb recht gehabt. Die Menschen sind nicht gelähmt vor dem Fernseher sitzengeblieben und haben #BLM getweetet.

Neue Dimension von Horror

Der Polizeimord an George Floyd, hat eine neue Dimension von nicht zu ertragendem Horror: Polizei prügelt, foltert und ermordet schwarze Menschen in den USA, Lateinamerika, Europa, Österreich.

Wobei in Österreich und in den andere Ländern Opfer in Polizeigewahrsam sterben, das Wort „Mord“ darf nur verwendet werden, wenn es zu einem gerichtlichen Schuldspruch der Beamt*innen kommt, die die Amtshandlung durchgeführt haben. Und genau so wenig wie ich erlebt habe, dass Polizist*innen des Mordes schuldig gesprochen werden, habe ich bisher gesehen, wie Polizist*innen endlose Minuten lang dabei gefilmt werden wie sie einen wehrlosen, am Boden liegenden Menschen zu Tode bringen und sich von den filmenden Zeug*innen nicht gestört fühlen.

Der US-Präsident spricht von der „Lamestreammedia“ und den derzeitigen Protesten in den USA werden immer wieder Journalist*innen vor laufenden Kameras beschimpft, bedroht, geschlagen und beschossen.

Polizisten zu sehen, die nicht mehr versuchen vor der globalen Medienöffentlichkeit zu verheimlichen, wie sie das Gesetz brechen, ist für mich eine neue Dimension von Horror: Zu sehen wie ein schwarzer Journalist während einer Fernsehliveübertragung von der Polizei verschleppt wird und sein Team ins Leere weiter filmt bis auch sie abgeführt werden und die Kamera am Boden liegend weiter sendet, fühlt sich an als würde ich gerade die Liveübertragung der Bankrotterklärung der Utopie von Gleichheit, Freiheit, Schwester/Brüderlichkeit sehen.

Es wirkt wie eine bewusste Machtdemonstration einer Polizei, die sich verhält als wäre sie mit jedem, der keine Uniform wie ihre trägt, im Kriegszustand: Ein weiterer schwarzer Mann zum Schweigen gebracht, nichts und niemand kann ihn schützen. Auch nicht, dass er live on air ist für einen der größten und mächtigsten Nachrichtensender der Welt.

Popkultur als Katalysator für gesellschaftlichen Fortschritt?

Es fühlt sich auch an wie das Ende einer anderen Utopie an die ich glaube oder vielleicht auch nur geglaubt habe: Dass Popkultur ein Katalysator für gesellschaftlichen Fortschritt sein kann. Jede Form von Popmusik hat ihre Wurzeln in afro-amerikanischer Kultur, Hip Hop ist zur Zeit die global dominante Popkultur aber an mörderischem Rassismus, so scheint es heute, hat das nichts geändert,

„They love our music but they keep killin’ us."

So brachte es eine Demonstrantin in New York auf den Punkt. Die BBC Moderatorin Clara Amfo formulierte es so: „The events in Minneapolis had reinforced a feeling among black people, that people want our culture, but they do not want us. In other words, you want my talent, but you don’t want me.“

Politische Hoffnungsträger

Keisha Lance Bottoms schrieb diese Woche in der New York Times einen Artikel mit dem Titel: „The police report to me but I knew I couldn´t protect my son.“ The police report to me – die Polizei untersteht mir, ist wörtlich zu nehmen. Denn Keisha Lance Bottoms ist die Bürgermeisterin von Atlanta und sie war es auch, die Killer Mike, einen großen Sohn der Stadt, bei ihrer Pressekonferenz ans Mikrophon gebeten hat.

Killer Mike ist ein politischer Hoffnungsträger, auch wenn er selbst es nicht so sieht seit er Bernie Sanders im Wahlkampf unterstützt hat und meinte, es mache ihn krank zu sehen, dass es nur um Geld geht. Killer Mike ist in seinen Aussagen präzise bestimmt, nicht fatalistisch und eskalierend. Als Rapper schaffen er und sein Partner El-P es, gleichzeitig politisch und absurd, kindisch lustig zu sein, was El-P wie folgt kommentiert:

„If anything, it’s a source of mild discomfort to us that our music is seemingly relevant. The best thing that could ever happen to the world is, if Run the Jewels was just blathering nonsense, if we’re just two assholes who are completely out of touch with reality.“

In der Nummer „Ooh La La“, ein Ende April veröffentlichter Vorbote von RTJ4, feiern Run The Jewels das globale Schreckensszenario: „Zusammenbruch des Kapitalismus“ als Blockparty.

„Hört auf, Angst zu schüren!“, ist der Appel den Killer Mike an das in seiner Heimatstadt ansässige CNN und auch an Medien ganz allgemein gerichtet hat. Weiße Angst tötet schwarze Menschen.

„Look at all these slave masters posin’ on yo’ dollar“

In der Nummer Ju$t erwähnt El-P seine Heimatstadt NY als den Ort wo „murderous chokehold cops still earnin’ a livin’". Auf dem Track, den RTJ mit Pharell und Zack de la Rocha von Rage Against The Machine gemacht haben, geht es um die Verbindungslinien von Sklaverei zu Kapitalismus:

„The Thirteenth Amendment says that slavery’s abolished
Look at all these slave masters posin’ on yo’ dollar (Get it)“

Auch der amtierende US-Präsident und sein von uns gegangener Freund Jeffrey Epstein haben in dieser dichten Nummer voll von historischen und politischen Referenzen einen Platz.
„And your country gettin’ ran by a casino owner (Ooh)
Pedophiles sponsor all these fuckin’ racist bastards (They do)
And I told you once befo’ that you should kill your master (It’s true)
Now that’s the line that’s probably gon’ get my ass assassinated.“

RTJ und Rage against the Machine werden hoffentlich am 12. September in der Wiener Stadthalle spielen.

In Interviews, die Killer Mike und EL-P bisher zu RTJ4 gegeben haben, meinen sie, dass sie die Energie der Platte angelegt haben wie die einer Watschen, die aus fatalistischer Apathie reißt.

El-P hat als Producer von RTJ auch Wege gefunden, unterschiedliche Epochen und Stile von Hip Hop miteinander zu verbinden und das Album homogen klingen zu lassen. Noise, Sirenen, Teile von Danchall Songs werden problemlos mit zum Kopfnicken animierenden, an die 90er Jahre erinnernden, Beats verbunden.

Besondere Mischungen

Auch ungewöhnliche Gäste werden auf den Nummern vereint. Es ist ein bemerkenswertes musikalisches Ereignis, Pharell gemeinsam mit Zack de Rocha auf einer Nummer darüber reflektieren zu hören, ob Kapitalismus eine Fortsetzung der Sklaverei ist. Auf der Nummer „Pulling the Pin“, die klingt als wäre sie in einer der von El-P auf RTJ4 erwähnten ausgebombten Kirchen aufgenommen worden, trifft die Blues Legende Mavis Staples auf reduzierte distortete Beats und die verzerrte Gitarre von Josh Homme.

„Goddamn, what the fuck?’ You’re fearful of living? Then you get up and you run. You run towards the anger and the danger and the wild frenetic good times that is hip-hop...... We’re Run the Jewels … we’ll punch you in the face.“

RTJ4 liefert eine Energie, die wir gerade im Moment dringend brauchen.

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