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Erich Moechel

Investorenschutzklagen wegen COVID-Maßnahmen kommen

Einschlägig spezialisierte internationale Rechtskanzleien, Thinktanks und Rechtsprofessoren gehen davon aus, dass Klagen von Investoren gegen einzelne Staaten auf Gewinne, die durch die COVID-Maßnahmen entgangen sind, sicher kommen werden.

Von Erich Moechel

Die einschneidenden Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie werden eine Reihe von internationalen Verfahren nach sich ziehen. Immer mehr große Anwaltskanzleien, die in diesem Sektor tätig sind, empfehlen ihren Kunden bereits die Prüfung einer solchen Klage vor einem Schiedsgericht der Weltbank. Ermöglicht werden diese Verfahren durch tausende bilaterale Abkommen, die allesamt Paragraphen zum Investorenschutz (ISDS) enthalten.

Bereits Ende März, als das Coronavirus in Italien wütete, hatte eine italienische Kanzlei „erste Reflektionen“ über mögliche ISDS-Klagen in den Raum gestellt. Weitere Kanzleien folgten, auch der Wiener Rechtsinformatiker und Völkerrechtsexperte Erich Schweighofer ist überzeugt, dass es zu solchen Klagen gegen einzelne Staaten kommen wird.

Ropes&Gray

Ropes&Gray

Hier ist eine der internationalen Kanzleien,die das Corporate Europe Observatory zitiert. Es ist die in allen Kontinenten vertretene Kanzlei Ropes & Gray .

Schon im September 2016 hatten 223 Ökonomie- und Rechtsprofessoren aus den USA die Streichung der Klauseln zum Investorenschutz aus Freihandelsabkommen gefordert

Was alles eingeklagt werden könnte

Das Corporate Europe Observatory (CEO) hat von den Websites dieser Anwaltskanzleien eine ganze Reiher von Klagsbeispielen zusammentragen. Geklagt werden könnte etwa gegen staatliche Preisregulationen für Medikamente, Tests oder Impfstoffe, ebenso gegen zusätzliche Finanzmittel für überlastete staatliche Gesundheitsysteme. Gleichfalls in Frage kommen Klagen gegen Mietpreisbindungen oder gestundete Energierechnungen für Bedürftige, Finanzhilfen für andere Unternehmen, oder wenn sich die Restriktionen des öffentlichen Lebens etwa durch Ausgangsbeschränkungen negativ auf die Geschäftsmodelle der Investoren auswirken.

Geklagt wird also - vereinfacht gesagt - gegen Veränderungen der regulatorischen Rahmenbedingungen. Aktuell betreffen die meisten Klagen den Energiesektor, in vielen Fällen geht es dabei um Förderungskürzungen für erneuerbare Energien oder auch um deren nachgerades Gegenteil. Im Dezember 2019 wurde Schweden wegen eines neuen Umweltgesetzes, das den Uranabbau verbietet, auf 1,8 Milliarden Dollar Schadenersatz geklagt. Die klagende Partei ist eine australische Bergbaufirma, die über Lizenzen zum Abbau von Uran in Schweden verfügt. Das Gros der Kläger im Energiesesektor sind aktuell allerdings keine Energiekonzerne sondern Finanzinvestoren.

IISD

IISD

/Diese Überprüfung bestehender Völkerrechtspraktiken ist beim Internationalen Institut für nachhaltige Entwicklung (IISD), einem kanadischen Thinktank, bereits angelaufen

Bereits 2015 stellte die EU-Kommission eine Reform des umstrittenen Investorenschutzes in den Raum. Nach dem Scheitern des TTIP-Abkommens hat man davon allerdings nicht mehr viel gehört

Pandemien, ISDS und das Völkerrecht

Die nächste größere Klagewelle könnte nun die Maßnahmen gegen die COVID-Pandemie betreffen. Natürlich stehe es den betroffenen Firmen zu, „staatliche Maßnahmen zur Corona-Krise rechtlich überprüfen zu lassen. Zu bedenken ist aber, dass das Völkerrecht sowie das jeweilige Verfassungsrecht den staatlichen Behörden umfassende Regulierungsbefugnisse mit Ermessensspielräumen zum Zeitpunkt der jeweiligen Maßnahme bei Pandemien gibt“, sagte Erich Schweighofer, Rechtsinformatiker mit Schwerpunkt Völkerrecht an der Universität Wien. Gegenüber so umfassenden staatlichen Befugnissen sei natürlich ein Rechtsschutz für die Unternehmen nötig.

Erich Schweighofer

Erich Schweighofer

Erich Schweighofer, außerordentlicher Professor für Rechtsinformatik an der UNI Wien(eur-int-comp-law.univie.ac.at

Um diese Dilemma widersprechender Interessen aufzulösen, sei es höchste Zeit für ein entsprechendes Vertragswerk auf Basis der bestehenden Völkerrechtspraxis, um ein für alle mal zu klären, in welchem Verhältnis Völkerrecht und nationales Verfassungsrecht in solchen Fällen zueinander stehen, sagte Schweighofer. „Schon die Verfahrensökonomie spricht für eine umfassende völkerrechtliche Lösung“, gegenüber der „die vielen Individualverfahren rechtlich unsicher und ethisch fraglich erscheinen.“ Durch eine spolche Klärung würden sich viele ISDS-Verfahren erübrigen, „dem Investitionsschutz würde dadurch auch weiterhin die wichtige Kernaufgabe zukommen, einen Ausgleich bei Diskriminierung und Missbrauch staatlicher Befugnisse zu gewähren.“

Die Gewinner stehen bereits fest

Klagen auf entgangene Gewinne durch zwischenzeitlich veränderte Rahmenbedingungen kommen also sicher wie das Amen im Gebet, welche Staaten davon betroffen sein könnten, steht allerdings noch völlig in den Sternen. Eingeklagt werden können ja alle möglichen Maßnahmen in beliebigen Staaten, die wiederum unterschiedliche Handelsbeziehungen miteinander haben. Über mögliche Resultate lässt sich dadurch nicht einmal spekulieren. Im Grunde sind nach derzeitigem Strand nur zwei Dinge dabei sicher.

Die ersten Investorenschutzklagen sind frühestens in einigen Monaten zu erwarten, denn derartige Großklagen haben eine immense Vorlaufzeit. Eine Partei bei diesen Verfahren steht allerdings schon jetzt als Gewіnner fest und das sind zwei bis drei Dutzend Großkanzleien, die über die Ressourcen vefügen, solche Verfahren überhaupt abzuwickeln. Wie das Corporate Europe Observatory berechnet hat, belaufen sich die Kosten für ein solches Schlichtungsverfahren im Schnitt auf etwa fünf Millionen Dollar. Manche Verfahren kamen allerdings schon auf ein Vielfaches davon.

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