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Rutger Bregman

The Correspondent

Wir sind „Im Grunde gut“: Rutger Bregman hebt das Positive hervor

„Im Grunde gut“ sei die Menschheit. So lautet die These des niederländischen Historikers Rutger Bregman. In seinem neuen Sachbuch schildert Bregman, wieso er trotz Holocaust und Terrorismus an das Gute im Menschen glaubt und was ein Umdenken für unsere Gesellschaft bedeuten könnte.

Von Lena Raffetseder

Wenn eine Gruppe Buben auf einer einsamen Insel strandet, führt das zwangsläufig zu einer kriegerischen Auseinandersetzung um Macht. So schildert es zumindest William Golding in seinem Roman „Herr der Fliegen“ in den 1950er Jahren. Ein zutiefst pessimistisches Menschenbild, für das der Historiker Rutger Bregman Belege finden wollte. Und tatsächlich: In den 1960ern stranden sechs Buben im Pazifik. Die Realität verlief aber ganz anders als im Roman. 15 Monate lang war das Leben der Buben von Aufgabenteilung, einem strengen Zeitplan und Methoden der Streitschlichtung geprägt.

Für Bregman ist es eine Geschichte „über Freundschaft und Loyalität, eine Geschichte, die zeigt, wie viel wir ertragen können, wenn wir einander vertrauen. Natürlich, es ist nur eine einzige Geschichte. Aber wenn wir Millionen Jugendliche den Herrn der Fliegen lesen lassen, müssen wir ihnen auch davon erzählen, wie Kinder sich verhalten haben, die tatsächlich auf einer Insel angespült wurden.“

Auf welchem Planeten leben wir?

Es ist eine uralte Frage: Sind Menschen gut oder böse? Stimmt die Ansicht des Philosophen Thomas Hobbes und wir befinden uns in einem Krieg aller gegen alle oder schenken wir Jean-Jacques Rousseau Glauben, der meinte, es wäre die Zivilisation, die uns verdorben hätte?

Buchcover:  Planze mit zwei Keimblättern

The Correspondent

„Im Grunde gut“ ist bei Rowohlt erschienen. Aus dem Niederländischen übersetzt haben das Sachbuch Ulrich Faure und Gerd Busse.

Bregman konfrontiert uns Lesende zu Beginn mit einer Frage und zwei Antwortmöglichkeiten. Ein Flugzeug muss notlanden und bricht in drei Teile. Die Kabine füllt sich mit Rauch. Allen Insassen ist klar: Wir müssen hier raus. Was passiert?

Auf Planet A fragen die Insassen einander, ob es ihnen gutgehe. Personen, die Hilfe benötigen, bekommen Vortritt. Die Menschen sind bereit, ihr Leben zu opfern, auch für Fremde.

Auf Planet B kämpft jeder für sich allein. Totale Panik bricht aus. Es wird getreten und geschubst. Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen werden niedergetrampelt.

Die Frage ist: Auf welchem Planeten leben wir? Über 90 Prozent der Befragten glauben, dass wir uns auf Planet B befinden – ein Irrtum? Bregman zählt bekannte Katastrophen auf, die alle auf unserem Planeten, dem Planet A, vorgekommen sind. Der Untergang der Titanic, der Einsturz der Twin Towers, New Orleans nach Hurrikan Katrina. Die Menschen agierten großteils geduldig, hilfsbereit und selbstlos.

Bregman legt sich mit den ganz Großen an

Auf über 400 Seiten schildert Rutger Bregman Beispiele aus Geschichte, Anthropologie, Philosophie, Biologie und Psychologie: Isolierte Inselvölker haben sich wohl doch nicht gegenseitig ausgerottet; Soldaten schossen absichtlich über ihr Ziel. Bregmann stellt wenig bekannte Beispiele menschlicher Kooperation dar und widerlegt Annahmen der letzten Jahrzehnte. Etwa das bekannte Stanford-Prison-Experiment. Dabei wurden 1971 24 Studenten in zwei Gruppen geteilt: Wärter und Gefangene. Nach sechs Tagen musste das Experiment beendet werden, weil die Wärter immer sadistischer handelten. Die Schlussfolgerung: Wir sind alle zu schrecklichen Dingen imstande, wenn wir eine Uniform tragen.

Bregman bezeichnet das Experiment als „inszeniertes Theaterstück“ und verweist darauf, dass das Experiment auch anders ablaufen kann. Forschungsleiter Philip Zimbardo habe zu sehr in das Experiment eingegriffen: Er sah sich als Teil der Wärter und gab ihnen auch Instruktionen.

Das Böse ist nicht an der Oberfläche, es muss mit großer Mühe nach oben gepumpt werden. Und noch wichtiger: Es muss sich immer als das Gute tarnen.

Ein weiterer Klassiker ist das Milgram-Experiment, dessen Ergebnisse immer wieder reproduziert wurden. Eine Person soll das Gedächtnis eines vermeintlichen Schülers (in Wirklichkeit ein Schauspieler) testen, der in einem anderen Raum sitzt. Beantwortet der „Schüler“ die Frage falsch, wird die Testperson von einem Mann in Kittel (ein weiterer Schauspieler) aufgefordert, dem „Schüler“ einen Stromstoß zu versetzen. Die elektrische Spannung wird bei jeder falschen Antwort scheinbar erhöht, woraufhin der „Schüler“ zu schreien und flehen beginnt. Am Ende sind es 450 Volt. Was selbst den Versuchsleiter Stanley Milgram überraschte: 65 Prozent der Teilnehmer gingen bis an das Maximum. Man sah in den 1960ern darin eine Erklärung für den Holocaust; Menschen würden die schrecklichsten Dinge tun, wenn man es ihnen nur aufträgt.

Für Bregman – bekannt durch „Utopien für Realisten“ und seinen Auftritt am Weltwirtschaftsforum in Davos 2019 - ist die Schlussfolgerung weniger eindeutig. Er stellt die These auf, die Menschen hätten geglaubt – ganz im Sinne der Wissenschaft – zu helfen und etwas Positives zu tun: „Wenn man nur hart genug an Menschen herumzerrt, wenn man sie bearbeitet und knetet, verführt und manipuliert, dann sind viele von uns zu Bösem imstande. Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert. Aber das Böse ist nicht an der Oberfläche, es muss mit großer Mühe nach oben gepumpt werden. Und noch wichtiger: Es muss sich immer als das Gute tarnen.“

Visionen eines positiven Menschenbilds

Gewalt und Egoismus lägen laut Bregman also nicht von Natur aus vor, aber unter bestimmten Umständen seien wir dazu fähig. Vor allem Macht spiele dabei eine wichtige Rolle, schreibt Bregman: „Könige und Diktatoren, Gouverneure und Generäle glauben, dass die einfachen Menschen egoistisch sind, weil sie selbst es so oft sind. Sie gebrauchen Gewalt, weil sie etwas verhindern wollen, das sich allein in ihrer Phantasie abspielt.“

Auch wenn Rutger Bregmans Schlüsse teilweise zu simpel, manches fast naiv erscheint, bietet er damit alternative Erklärungen, die lange keine Option waren. Und er regt dazu an, die Menschheit neu zu betrachten. Denn wenn wir vom Schlechten ausgehen, bekommen wir genau das.

„Im Grunde gut“ endet deshalb mit einem Ausblick. Wie könnte unsere Gesellschaft aussehen, wenn wir nicht davon ausgingen, dass andere von Eigennutz getrieben sind? Bregman präsentiert Anekdoten von einem Unternehmen ohne Vorgesetzte, von einer Schule ohne starre Struktur und einem Gefängnis, das als Dorf konzipiert ist. Es sind reale Beispiele, die es gerade auf der Welt gibt. Wenn wir also selbst daran glaubten, dass wir keine schlechten Menschen sind, stünden uns womöglich ganz neue Türen offen.

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