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Rob Ayers und Brian Main

„Decount“: Dieses Game soll vor Radikalisierung schützen

Das Projekt „Decount“ soll helfen junge Menschen vor Extremismus und radikalen Gruppen zu schützen. Dafür wird die Geschichte von vier Jugendlichen erzählt, die langsam in radikale Kreise eintauchen.

Von David Riegler

Ein von der Europäischen Union gefördertes Pädagogikspiel gegen Extremismus klingt im ersten Moment wie ein Projekt mit Cringe-Potenzial, bei dem zwanghaft versucht wird für junge Menschen cool und nahbar zu wirken. Doch „Decount“ ist viel mehr als das, allein schon wegen der intensiven Recherchearbeit, die das Team geleistet hat, um die Geschichten der vier Jugendlichen zu erzählen.

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Rob Ayers und Brian Main

Vom schüchternen Schüler zum Neonazi

Einer der vier Protagonist*innen ist Jens, der gerade zum ersten Mal seine neue Schule betritt. In einem Minigame müssen wir über Hindernisse hüpfen, um Jens zu seinem Klassenzimmer zu bringen. Dort angekommen, wird man kurz begrüßt und schon bricht eine Diskussion in der 7A aus: Ein Ausflug zur Gedenkstätte des Konzentrationslagers Mauthausen steht kurz bevor und unser Mitschüler Mario findet das unnötig. Er prahlt damit, dass ihm das alles doch egal sein kann.

„Decount“ ist kostenlos und funktioniert über den Browser. Das Game und alles rund um das Projekt findet man unter extremismus.info.

Ab hier müssen wir immer wieder Entscheidungen treffen. Verteidigt man Marios Meinungsfreiheit oder stellt sich auf die Seite der anderen Klassenkolleg*innen? Macht man sich im Gruppenchat über Nazis lustig oder sagt lieber nichts? Wenn man den nicht radikalen Weg einschlägt, endet die Geschichte relativ unspektakulär. Schlägt man sich jedoch auf die Seite von Mario, ist das der erste Schritt in die rechtsextreme Szene.

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Rob Ayers und Brian Main

Nicht böse Menschen, nur schlechte Entscheidungen

Die Möglichkeit, sich für verschiedene Wege zu entscheiden, wurde bewusst eingebaut, erklärt die Radikalisierungsforscherin Daniela Pisoiu, die das Spiel mitgestaltet hat: „Ich glaube, es ist wichtig zu wissen, dass eine Person, die sich radikalisiert, nicht unbedingt eine böse Person ist, aber in gewissen Situationen und mit einer gewissen sozialen Umgebung einfach die falschen Entscheidungen trifft.“

Auch unser Protagonist trifft falsche Entscheidungen, zum Beispiel, wenn wir unseren rechten Mitschüler Mario verteidigen. Zum Dank zeigt uns Mario rechte Musik und unser soziales Medium „Finstergram“ ist plötzlich voll von ausländerfeindlichen Bildern. Laut Daniela Pisoiu ist das oft der Einstieg in den Extremismus: "Ausländerfeindlichkeit oder die Annahme, dass pauschal alle Ausländer kriminell sind – das ist meistens die erste Stufe, das wissen wir aus der Forschung. Wenn man schon an solche Dinge glaubt, ist es einfacher für die Person, später auch radikalere Ideen zu akzeptieren.“

Nach einiger Zeit bringt uns Mario in eine geheime Gruppe, in der rechtsextreme Aktionen geplant werden. Die erste Tat ist das Malen von Hakenkreuzen auf einen Kebap-Stand. Das Spiel zeigt natürlich auch die negativen Konsequenzen dieser Entscheidungen und nachdem unsere Gruppe einen linken Demonstranten halbtot prügelt, steht die Polizei mit einem Haftbefehl vor der Tür. So wurde langsam aus dem schüchternen, neuen Mitschüler ein rechtsextremer Schläger.

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Rob Ayers und Brian Main

Rechtsextremismus und Jihadismus

Nach demselben Prinzip verlaufen auch die anderen Geschichten des Games. Die zweite Protagonistin Jasmin stammt aus einer Familie, deren Mitglieder sich selbst als „moderne Muslime“ bezeichnen, doch zwei enge Schulfreundinnen driften immer mehr in islamistische Ideen ab und machen Jasmin schon bald Vorwürfe, dass sie sich nicht verhülle und nicht Gottes Gesetzen gehorche. Auch hier müssen wir uns entscheiden, ob wir dem Druck nachgeben oder ob wir den extremistischen Ideen Konter bieten.

Behandelt werden Rechtsextremismus und Jihadismus, die als die zwei stärksten Problemfelder analysiert wurden. Hinter den Recherchen und Analysen steckt ein großes Team: Das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS), das Österreichische Institut für Internationale Politik (oiip), die Beratungsstelle Extremismus (bOJA), der Verein Neustart, das Netzwerk Sozialer Zusammenhalt (DERAD), die Videospielfirma Bloodirony und die Game-Kultur-Initiative Subotron. Gefördert wurde das Projekt von der EU.

Das Team hat unter anderem mit ehemaligen Radikalisierten Interviews geführt und die Propaganda und die sozialen Medien von radikalen Organisationen untersucht. Die Genauigkeit, mit der gearbeitet wurde, spürt man auch im Spiel, denn die Botschaften und Propagandabilder sind authentisch. Gezeichnet wurde das Spiel im Comic-Stil von Rob Ayers und Brian Main.

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Rob Ayers und Brian Main

Ob es funktioniert, wird derzeit evaluiert

Das Spiel „Decount“ ist ziemlich schnell durchgespielt und dementsprechend kurzweilig. Das Spielprinzip ist sehr simpel, funktioniert auf jedem Smartphone und ist kostenlos spielbar unter extremismus.info. Entgegen der Befürchtung schafft es das Spiel, authentisch zu wirken, und es kommt ohne zwanghafte Jugendlichkeit oder cringy Jugendsprache aus, sondern erzählt einfach die glaubwürdigen Geschichten von vier jungen Menschen und regt dadurch zum Nachdenken an.

Ob das Spiel jedoch wirklich vor Radikalisierung schützen kann, wird erst in einigen Monaten klar sein, denn derzeit wird die Wirkung des Spiels wissenschaftlich untersucht. Zusätzlich zu dem Spiel gibt es auch noch einen Kurzfilm und Infomaterial, sowohl für Jugendliche als auch für Pädagog*innen und Eltern. Daniela Pisoiu hofft, dass das Spiel es schafft, den radikalen Gruppen entgegenzuwirken: „Wir wissen auch, dass deren Propaganda und Videos für Jugendliche sehr attraktiv gestaltet werden, und unsere Aufgabe, auch in der Gesellschaft, ist es, ein Gegenangebot zu formulieren.“

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