FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Muzz

Driely S.

Muzz und die verblassenden Mythen Amerikas

Eine FM4 Homebase Spezialstunde mit Paul Banks über seine zahlreichen Musikprojekte abseits von Interpol und das Debütalbum seiner neuen Band Muzz.

Von Christian Lehner

Zuerst klären wir Stilfragen. „Ich mag deinen Sweater“, entfährt es mir spontan, als Paul Banks die Kamerafunktion aktiviert. „Danke, den habe ich aus einem Skate-Shop in Barcelona!“ Später dreht er den Kopf und zeigt mir den „Quarantine Mohawk“, wie Banks seinen dezenten Kurzhaar-Iro nennt. „Was einem nicht alles einfällt, wenn einem fad ist“, sagt er grinsend in die Kamera. Mein Outfit bleibt unkommentiert. Falls es jemanden interessiert: Ich trage die typische Homeoffice-Adjustierung ... Bei dem Oberteil von Paul handelt es sich übrigens um einen Sweater der Edel-Skate-Marke Helas, wie spätere Recherchen ergaben.

Banks ist in einer seltsamen Situation. Da ist einerseits die Freude über das Debütalbum seiner neuen Band Muzz. Jahrelang haben er und seine Musikerfreunde Josh Kaufmann (Bonny Light Horseman) und Matt Barrick (Jonathan Fire*Eater, The Walkmen) auf diesen Release hingearbeitet. Und dann ist da andererseits noch Corona, das die Promotion-Aktivitäten und Tour-Pläne durcheinanderwirbelt. Dazu kommt: Banks ist derzeit einen großen Teich von seinen Mitstreitern entfernt.

Neue Supergroup des Indie-Rock

„Ich saß im Flieger nach Schottland. Vor der Landung teilte uns die Stewardess mit, dass Trump soeben einen travel ban verhängt hatte. Das war Anfang März. Ich bin dann einfach bei Freunden in Edinburgh untergeschlüpft.“

Programmtipp: Eine Stunde FM4 Homebase Spezial mit Paul Banks gibt es am Montagabend, 8. Juni. Hier geht es zum Interview-Podcast mit Paul Banks.

Besonders unglücklich schaut Banks aber nicht in die Kamera: „Meine Familie ist über die ganze Welt verstreut, ich bin also daran gewöhnt, nicht immer alle um mich zu haben. Ursprünglich wollte ich meine Mom in Spanien besuchen, aber das ist derzeit nicht möglich, also bleibe ich hier in Lauerstellung. Ich will mich aber nicht beschweren, es geht mir gut.“

Tatsächlich befindet sich Banks als Musiker in Coronavirus-Zeiten in einer privilegierten Position. Er ist ein gemachter Mann des Rock’n’Roll. Mit The Strokes zählen Interpol zu den wenigen Überlebenden des großen Indie-Rock-Revivals, das Anfang der Nullerjahre von New York aus die Popwelt in den Retromodus schickte. Interpol haben den düsteren Post-Punk britischer Prägung wieder wachgeküsst und mit Alben wie „Turn On The Bright Lights“ (2002) und „Antics“ (2004) einer ganzen Generation blasser Jünglinge in zu engen Anzügen einen analogen Weg ins digitale Pop-Zeitalter geebnet.

Banks unterhielt davor und daneben Solo-Projekte wie Julian Plenti, Banks und – gemeinsam mit dem RZA vom Wu-Tang Clan – das Pop-Schlawiner-Duo Banks & Steelz. Als DJ Fancypants lebt er seine große Hip-Hop-Liebe aus und bekommt dafür, trotz Dödel-Pseudonym, viel Props aus der Szene. Mit Interpol hat Paul Banks bisher sechs Alben veröffentlicht und mit einer Tour zum 15-jährigen Jubiläum von „Turn On The Bright Lights“ die eigene Musealisierung eingeleitet.

So muss Americana 2020

Doch der Schaukelstuhl muss warten. Paul hat gemeinsam mit Highschool-Freund Josh Kaufmann und Szene-Spezi Matt Barrick ein Trio ins Leben gerufen, das zunächst ohne große Vorsätze zu den Gitarren griff. Bald aber stellte sich ein Gefühl ein, dass man eher in Richtung Neil Young und Leonard Cohen unterwegs war, als zum Beispiel progressive Verschränkungen von Trap, Polka und Techno zu versuchen.

Bei Muzz geht es zurück zu den Wurzeln. Das Wort „Americana“ fällt oft während unseres Gesprächs. Der Begriff hat sich als Klammer für das folkloristische Kulturerbe der USA etabliert und umfasst Artefakte wie Coca Cola oder die Blue Jeans ebenso wie die Musikstile Blues, Folk und Country. Passend dazu das Video-Setting zum Song „Red Western Sky“. Es wurde im „American Treasure Tour“-Museum gefilmt. Die Sammlungen zeigen Unterhaltungs- und Gebrauchsgegenstände der amerikanischen Alltagskultur des 20. Jahrhunderts.

Muzz

Matador Records

Auch der Sound von Muzz ist ein Echo aus der Vergangenheit. Der Hall auf dem Mikro erinnert an den Schluckauf-Rockabilly des Sun-Studios. Gitarren-Tremolos und röhrende Vintage-Orgeln durchziehen die Songs. Die Drums klingen, als hätte Barrick sie aus Phil Spectors „Wall Of Sound“ gelöst.

„Der Name der Band stammt von einem Eigenschaftswort ab, das Josh für die Beschreibung unseres Sounds verwendete. ‚Muzzy‘ bedeutet so viel wie ‚benebelt‘. Was er damit meinte, war ein warmer, analoger und samtener Sound – so wie man ihn von alten Vinyl-Platten kennt. Ich war anfangs kein großer Fan des Band-Namens, aber als wir uns nach und nach diese großartigen Sound-Texturen erarbeiteten, hat er mich doch noch rumgekriegt.“

No more Lizzard King

Thematisch versucht sich Paul Banks an den großen US-Mythen Mobilität, Sinnsuche und Freiheitsversprechen. Banks nennt Filme wie „Easy Rider“ oder „Fear And Loathing In Las Vegas” als Inspirationsquellen oder die schamanischen Wüstenritte von Jim Morrison: „Es ist eine Annäherung an ein Klischee, an einen Kulturbegriff zwischen Wahnsinn, Freiheit und Kult.“

Dass diese Mythen in der derzeitigen Verfassung der USA am Verblassen sind und angesichts der gesellschaftspolitischen Verwerfungen zunehmend hohl wirken, zeigt sich in Songs wie „Bad Feeling“, „Knuckleduster“ und „Broken Tambourine“. Der jeweilige Songtitel ist hier als inhaltlicher Wegweiser zu verstehen.

„Der Mythos von Big wheels keep on turning ... ist definitiv vorbei“, meint Paul Banks dazu, „aber ich denke, dass die Kunst neue Mythen schafft und sich auch die Freiheiten nimmt, die dafür nötig sind“.

Beeindruckend ist, wie unaufgeregt Muzz ihre Vision von Americana und Rock in Szene setzen. Selbst in den Up-Tempo-Songs bewegt sich das Trio selten über dem Ruhepuls. Der dezente Einsatz von Elektronik und (analog eingespielten) Drum-Loops macht die Produktion als zeitgenössisch erkennbar. Paul Banks‘ Bariton klingt durchgehend leicht verzweifelt. Trotzdem ist eine Dringlichkeit zu spüren, die das namenlose Debütalbum vor seiner eigenen Nostalgie bewahrt. So muss Americana 2020.

Aktuell: