FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Plakat mit Intersex-Symbol und der Aufschrift "dritte Option"

APA/dpa-Zentralbild/Jan Woitas

Warum es beim dritten Geschlecht in Dokumenten noch immer hakt

Schon im Jahr 2018 hat der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass in behördlichen Dokumenten neben “männlich” und “weiblich” auch ein dritter Geschlechtseintrag möglich sein muss. In der Praxis ist er aufgrund vieler Hürden trotzdem nicht einfach zu erhalten.

Von Christoph „Burstup“ Weiss

Bei etwa einem von 2.000 Neugeborenen wird gleich nach der Geburt festgestellt, dass die äußeren Genitalien nicht klar dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können. Bei vielen anderen Kindern wird die Intergeschlechlichkeit erst später erkannt, zum Beispiel wenn die Pubertät ausbleibt oder anders verläuft als erwartet. Laut Intersex Society of North America (ISNA) ist eine von 1.000 Personen intergeschlechtlich.

Fensterlparade

Umrahmt von zwei Wochen Vienna Pride hätte Ende dieser Woche auch wieder die Regenbogenparade stattgefunden. Wegen der Coronavirus-Krise wird daraus heuer nichts - weshalb FM4 zur Fensterlparade aufruft. Denn LGBTIQ*-Themen bleiben trotz der abgesagten Veranstaltungen wichtig - auch hinsichtlich des “I” in LGBTIQ*, das die intergeschlechtlichen Menschen repräsentiert.

Dass es intergeschlechtliche Menschen gibt, hat 2018 auch der VfGH anerkannt und entschieden, dass es einen dritten Geschlechtseintrag in behördlichen Dokumenten geben muss. Im Dezember desselben Jahres hat der damalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) einen Erlass dazu ausgegeben, der allerdings sehr restriktiv gestaltet ist. Er mache es unnötig schwer, den dritten Geschlechtseintrag zu erhalten, sagt Leo Söldner vom Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich (VIMÖ). Unter anderem deshalb, weil er laut dem Erlass nur nach „fachmedizinischer Begründung“ durch ein „multi-medizinisches Board“ erfolgen darf. Medizinische Untersuchungen seien aber für viele intergeschlechtliche Leute retraumatisierend, sagt Leo Söldner. „Manche von ihnen haben schlechte Erfahrungen mit der Medizin gemacht“, unter anderem, weil sie in ihrer Kindheit zu geschlechtsanpassenden Operationen gezwungen worden sind.

Zusätzliche Hürden, die den Eintrag des dritten Geschlechts schwierig machen, seien bürokratischer Natur: „Es sind sehr viele Dokumente auszufüllen“, sagt Söldner, „und es ist viel Geld zu bezahlen, um Dokumente ändern zu lassen. Ich habe einmal nur meinen Vornamen geändert, und das war eine ziemlich lange Prozedur mit mehreren Erklärungen, Formularen und hohen Kosten.“

i flag

VIMÖ

Die Intersex-Fahne

Falls es nach medizinischen Untersuchungen und Papierkrieg dann doch möglich ist, anstatt „männlich“ oder „weiblich“ ein drittes Geschlecht eintragen zu lassen, darf dieses derzeit nur „divers“ oder „offen“ lauten. Der Begriff „offen"”, sagt Leo Söldner, eigne sich für Kinder, bei denen die zukünftige geschlechtliche Entwicklung noch unklar ist. "Divers“ werde von vielen intergeschlechtlichen Personen als unpassend empfunden: „Alex Jürgen, der das Recht auf den Eintrag eines dritten Gechlecht beim Verfassungsgerichtshof erkämpft hat, möchte den Eintrag ‚inter‘. Für Menschen, deren Geschlechtsidentität genau das ist, wäre dieser Begriff sehr wichtig.“

In einem offenen Brief an den amtierenden Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) haben vorige Woche 64 verschiedene Organisationen, darunter auch der VIMÖ, einen neuen Erlass gefordert. Dieser ist im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen sogar vorgesehen, aber es gibt ihn eben noch nicht. Den NGOs ist u.a. auch wichtig, dass der dritte Geschlechtseintrag den Menschen unabhängig ihrer äußerlich sichtbaren körperlichen Geschlechtsmerkmale offenstehen soll. „Problematisch ist die Fremdbestimmung - also, dass andere Menschen entscheiden, ob jemand einen dritten Geschlechtseintrag kriegen kann. Uns ist wichtig, dass es selbstbestimmt möglich sein soll. Sprich: Man gibt Auskunft, dass man den dritten Geschlechtseintrag will, geht zum Standesamt und kann den auch bekommen.“

Seitens der ÖVP gibt es noch keine Stellungnahme zum offenen Brief der 64 Organisationen. Die Grünen zeigen Verständnis für die „Ungeduld“. Die Reparatur des Erlasses zur Umsetzung der VfGH-Entscheidung sei mit dem Koalitionspartner verhandelt worden und müsse nun umgesetzt werden, sagt Ewa Ernst-Dziedzic, Vizeklubobfrau und LGBTIQ*-Sprecherin der Grünen: „Höchstgerichtliche Entscheidungen sind einzuhalten. An der Reparatur des Kickl-Erlasses führt kein Weg vorbei.“

Aktuell: