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Fotos von einer Bergtour auf die Rax mit öffentlichen Verkehrsmitteln

Simon Welebil

Bergtouren mit Öffis, geht das?

„Berge statt Strand“ wird diesen Sommer das Motto für viele Erholungssuchende. Die allermeisten von ihnen werden dabei mit dem Auto in die Berge anreisen, weil sie es nicht anders kennen. Doch Bergsteigen und Wandern geht auch mit Öffis. Damit eine „Öffi-Tour“ gelingt, gilt es allerdings ein paar Sachen beachten. Ein Ausflug mit Expert*innen in die Wiener Hausberge.

Von Simon Welebil

Es ist kurz nach sieben Uhr morgens am Meidlinger Bahnhof. Meine Bergpartner*innen sind leicht auszumachen. Die Menschen in Wanderoutfit am Bahnsteig sind unter der Woche an einer Hand abzuzählen und Martin Heppner und Veronika Schöll haben es mir extra leicht gemacht und gebrandete T-Shirts angezogen, auf denen groß „Bahn zum Berg“ steht, Martin trägt sogar einen Mundschutz mit Logo.

Gemeinsam geht’s im Zug in Richtung Süden, Ziel ist die Rax, einer der sogenannten Wiener Hausberge, 90 Kilometer von Wien entfernt, an der niederösterreichisch-steirischen Grenze. Im Zug ist Zeit, sich kennenzulernen, und trotz Maskenpflicht kommt man schnell ins Gespräch.

Fotos von einer Bergtour auf die Rax mit öffentlichen Verkehrsmitteln

Simon Welebil

Martin ist in der IT-Abteilung eines großen Konzerns tätig, Veronika betreibt ein kleines Hotel in der Wiener Innenstadt. Beide sind begeisterte Öffi-Bergsteiger*innen, Veronika eigentlich schon ihr ganzes Erwachsenenleben. Sie hat nie ein Auto besessen. Martin hingegen, der in Kärnten aufgewachsen ist und das Bergsteigen dort fast ausschließlich mit dem Auto verbunden hat, hat sich umstellen müssen.

Vor ein paar Jahren hat sich Martin aus finanziellen Überlegungen von seinem Auto verabschiedet. Er hat sich ausgerechnet, dass ihn sein Auto inklusive Wertverlust, Versicherung, Parkplatz etc. pro Monat rund 350 Euro kostet, weit mehr als die Österreichcard der ÖBB für die ganze Familie. Und nach einer kurzen Übergangszeit konnte er auch seine anfangs sehr skeptische Familie davon überzeugen, sich vom Auto zu trennen.

Fotos von einer Bergtour auf die Rax mit öffentlichen Verkehrsmitteln

Simon Welebil

Umsteigen am Bahnhof Payerbach

„Es ist deutlich mehr möglich, als man glaubt“

Vom Bergsteigen wollte sich Martin aber nicht verabschieden, obwohl sich das viele Bergbegeisterte ohne Auto nicht wirklich vorstellen können. „Bei mir war’s eine Herausforderungsgeschichte, zu schauen, was überhaupt möglich ist“, erzählt Martin. Dass einige Berge mit Öffis überhaupt nicht zu erreichen sind, hat er schnell herausfinden müssen, andere nur in der touristischen Hochsaison, mit eigenen Wandertaxis oder Wanderbussen, und trotzdem sagt er insgesamt: „Es ist sehr, sehr viel möglich, deutlich mehr, als man glaubt.“

Und weil er seine Erkenntnisse nicht für sich behalten, sondern andere Menschen dabei unterstützen wollte, auch ohne eigenes Auto in die Berge zu kommen, ist die Idee für die Website Bahn-zum-Berg entstanden.

Seit 2015 stellt er dort Beschreibungen von Bergtouren online, zu denen er von Wien aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist ist. Seither sind etwa mit Veronika oder Peter Backé, der auch einen eigenen Öffi-Wanderführer für die Wiener Hausberge herausgegeben hat, weitere Autor*innen dazugekommen und seit diesem Jahr gibt es auf der Website auch Touren von Graz, Klagenfurt und Innsbruck aus.

Bei den Tourenbeschreibungen nimmt vor allem die Anreise einen großen Teil ein, mit welchen Verkehrsmitteln sie erfolgt, wie lange sie dauert,... Mit dem eingebetteten Routenplaner können alle Besucher*innen der Seite bequem ihre eigene An- und Abreise planen.

Überschreitungen als Pluspunkt

Für heute hat Martin eine Überschreitung der Rax geplant, von Hinternaßwald, zu dem wir von Payerbach noch in einen Bus wechseln müssen, über den höchsten Punkt der Raxalpe, die Heukuppe, bis zum Preiner Gscheid.

Nach knapp über zwei Stunden Anreise steigen wir in Hinternaßwald aus dem Bus. Mit uns sind noch zwei weitere Bergsteiger ausgestiegen. Wie oft sie eigentlich bei ihren Touren andere Öffi-Bergsteiger*innen treffen? „Eigentlich jedes Mal“, sagt Martin. Warum dennoch die Anreise zum Berg noch alles andere als selbstverständlich ist, machen sie vor allem an der Gewohnheit fest, sich ins Auto zu setzen. „Wenn du ein Auto hast, dann fährst du“, sagt Veronika, und damit sich das ändert braucht’s ein größeres Umdenken, beginnend bei der Tourenplanung.

„Man kann nicht so zielorientiert suchen. Man muss einfach schauen, wo fährt was hin und was gibt’s dort.“

Die Tour über die Rax hat Martin einerseits ausgewählt, weil er Werbung für diesen Wanderbus nach Hinternaßwald machen wollte. Der wäre vor Kurzem fast eingestellt worden und nur durch die Mobilisierung der Berg-Community wurde der Plan wieder zurückgenommen. Andererseits aber plant Martin gerne Überschreitungen. „Ich finde es sehr aufregend, wie ein Berg von unterschiedlichen Seiten aussieht“, sagt er. Und bei einer Überschreitung zeigt sich ein Vorteil, wenn man Bergtouren mit öffentlicher Anreise macht: Man muss nicht zum abgestellten Auto zurück.

Sich Zeit nehmen

Drei Stunden brauchen wir bis aufs Gipfelplateau der Rax. Über Waldwege, dann über einen versicherten Steig, wandern wir bis wir zum höchsten Punkt, der Heukuppe. Hier bläst fast immer der Wind, aber die Aussicht auf die Nachbarberge, den Schneeberg und die Schneealpe, Richtung Wechsel und Semmering ist grandios.

Fotos von einer Bergtour auf die Rax mit öffentlichen Verkehrsmitteln

Simon Welebil

Das Bergsteigen an sich unterscheidet sich zwischen Öffi- und Auto-Anreise nicht wirklich. Allerdings muss man die Gehzeiten besonders gut im Blick haben, sagt Veronika, um den Bus zurück nicht zu verpassen. Unter der Woche fährt nur ein einziger Bus von unserem Ziel, der Preiner Gscheid, zum nächsten Bahnhof. Am Wochenende sind es zwei. Dafür kann man dann am Heimweg die Augen schließen und muss nicht mehr selbst fahren.

Für Autotouren stehen den Bergsteiger*innen jede Menge Bergliteratur oder Tourenplaner zur Verfügung, etwa alpenvereinaktiv oder Bergfex. Für Martin sind die für Öffi-Wander*innen aber nur teilweise tauglich, denn der Hinweis bei einer Tour, „dass sie ‚mit Öffis erreichbar‘ sind, sagt nichts darüber aus, wie ich von mir zuhause dort hinkomme – und das macht halt einen Unterschied, ob ich von Graz, Wien oder St. Pölten wegfahre. Die Tour kann dann, muss aber nicht erreichbar sein.“

Die Planung einer Öffi-Tour ist mit Mehraufwand verbunden, den sie mit ihrer Website den Leuten abzunehmen versuchen. „Dann haben sie mit kleinen Abweichungen die gleichen Bedingungen, wie wenn man mit dem Auto eine Tour plant.“

Was Martin bei seinen Tourenplanungen beobachtet hat ist, dass er mit Öffis insgesamt längere Strecken für eine Bergtour in Kauf nimmt, weil das Fahren weit weniger anstrengend ist. Ohne Nachzudenken unternimmt er jetzt etwa auch von Wien aus eine Tagestour in den Zahmen Kaiser und steigt dafür um 5:37 in den Zug nach Kufstein.

Sogar ein 3.000er im Ötztal geht sich von Wien in weniger als 24 Stunden aus, wenngleich Martin das nicht unbedingt zum Nachmachen empfiehlt, denn eigentlich legt er großen Wert auf eine bessere Relation zwischen Geh- und Fahrzeiten. Weit entfernte Touren legt er deshalb auch gerne als Mehrtagestouren an. „Man muss sich Zeit nehmen, aber das ist auch der Grund, warum wir hier raufgehen. Wir wollen entspannen, genießen, was der Berg uns bietet und alles unten lassen, was uns belastet.“

Tipps, damit die Bergtour mit öffentlichen Verkehrsmitteln gelingt

  • Am Anfang am besten eine Tour gehen, die schon jemand gegangen ist, das spart viel Planungszeit, vor allem bei der Koordinierung von Zug- bzw. Busfahrplänen und Wanderzeiten. Auf Bahn-zum-Berg gibt es für den Einstieg davon genügend.
  • Die Gehzeiten möglichst genau abschätzen und auch einen Zeitpuffer zur Abfahrt einplanen, falls man sich vergeht oder länger wo sitzen bleibt.
  • Den Ort, der häufiger von Bus oder Bahn angefahren wird, als Zielort wählen, dann ist man flexibler beim Gehen.
  • Nur das einpacken, was man wirklich braucht, sonst muss man das ganze Zeug tragen.
  • Wer eine Öffi-Tour nicht alleine ausprobieren will, soll sich an die alpinen Vereine, etwa den Alpenverein oder die Naturfreunde wenden. Die bieten mittlerweile viele begleitete Touren mit öffentlichen Verkehrsmitteln an, mit dem Vorteil, dass man sich nicht selbst um die Planung der Tour kümmern muss.

Die Tour über die Rax ist fast schon eine klassische Empfehlung, wie sie vielfach auf der Bahn-zum-Berg-Website zu finden ist (und hier nachzulesen). Nach fast sechs Stunden sitzen wir kurz vor unserem Ziel beim Waxriegelhaus, um uns vor der Heimfahrt noch einmal zu stärken.

Wanderungen im Sommer eignen sich besonders für Öffi-Touren, so Martin. Bei Skitouren sind schon viel weniger Menschen bereit, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen, weil man viel mehr Ausrüstung mit sich hat und nicht jeder mit Skischuhen zum Bahnhof gehen mag. Was Martin in letzter Zeit aber persönlich besonders gut gefällt, sind Bike & Hike-Touren, wo er das Rad mit in den Zug nimmt und die oft langen „Talhatscher“ schneller auf zwei Rädern zurücklegt.

Auch die großen alpinen Vereine setzen Initiativen, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Berge oder zu ihren Hütten zu kommen. Projekte vom Alpenverein zu sanfter Mobilität sind etwa hier angeführt, und auch die Naturfreunde wollen klimaaktiv in die Berge.

In den letzten Jahren habe sich viel verbessert, was das Bergsteigen mit Öffis anbelangt, sagen Martin und Veronika, sowohl was die Verbindungen,als auch was die Einstellung anbelangt. „Es gibt ganz kleine erste Punkte in Österreich, wo man mit dem öffentlichen Verkehrsmittel schneller ist, als mit dem Auto, d.h. es hat sich massiv verbessert“, sagt Martin und nennt die oberösterreichische Voralpen als Beispiel, zu denen man mit über 200km/h auf der Westbahnstrecke fährt.

Veronika betont den Nachhaltigkeitsgedanken, der in letzter Zeit immer stärker in den Vordergrund rückt: „Der Freizeitverkehr macht zwar nur einen kleinen Teil unseres CO2-Fußabdrucks aus, ist aber genauso wichtig.“ Das hätte man auch in den großen alpinen Vereinen gesehen, die ihren Mitgliedern mittlerweile öffentliche Anreisen in die Berge nahelegen.

So holen sich Martin und Veronika Inspiration für neue Öffi-Bergtouren

Veronika: „Ich schaue viel auf andere Tourenportale, lese Blogbeiträge, will immer sehr viel vorher wissen, was mich auf einer Tour erwartet. Begriffe wie ‚Schönste Aussicht‘ oder ‚tollste Tour‘ auf anderen Bergblogs triggern mich. Ich schau, welche Ziele mir gefallen und die Anreise suche ich mir dann selber zusammen.“

Martin: „Wenn ich neue Touren suche, nehme ich in Wahrheit zwei Tools. Eine Übersicht, wo Zuglinien eingezeichnet sind und das zweite Tool ist ein Tourenplanungstool – Alpenvereinaktiv oder Bergfex - wo die Touren eingezeichnet sind. Dann schaue ich, dass ich das matche. In Wahrheit fahre ich als erstes der Bahnlinie entlang, und schaue, welche interessanten Berge daran liegen. Das ist mühsam, bzw. da muss man Freude daran haben, das ist sicher nicht für jeden. Die Abkürzung ist Bahn-zum-Berg.

Was sich ändern muss, damit eine Anfahrt mit Öffis selbstverständlich wird

Damit Bergsteigen mit öffentlichen Verkehrsmitteln seinen Exotenstatus verliert, sind laut Veronika und Martin viele Anstrengungen und vor allem ein politischer Wille dafür notwendig. Die Tourismuswirtschaft müsse dafür sorgen, dass die sogenannte letzte Meile bei der Anreise, in dem Fall bis zum Wanderstart, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden kann. Veronika sieht das auch als große Chance: „Die Täler gehen über vor Autos, es ist immer Stau – da muss sich was ändern.“

Dabei haben die beiden keineswegs vor, das Autofahren an sich zu verurteilen, weil es ja immer noch viele Regionen gibt, wo man ohne Auto nicht auskommt, sei es beruflich oder privat. „Es geht bei uns wirklich darum, zu zeigen, wo es geht – und dort auch dann positiv anzuregen, vorzuleben, einzuladen, dass die Leute das auch ausprobieren – und zeigen, dass die Hürde gar nicht so groß ist und dass es anders ist, manchmal mehr Spaß macht. Und wir freuen uns, wenn wir Leute animieren können“, so Martin.

Ein mittelfristiges Ziel haben die beiden aber natürlich dennoch. „Wenn man 25% der Wanderungen in der Freizeit mit Öffis angehen kann, wäre das großartig,“ und zwar nicht nur aus einem ökologischen Gedanken heraus, sondern auch, weil die Angebote der Öffis dann automatisch wachsen müssten. Beide warten jedenfalls schon mit großer Vorfreude auf das jetzt für 2021 angekündigte 1-2-3 Öffiticket. „Dann feiern wir einen ganzen Tag ab.“

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