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Die einen wollen Abstand, die anderen Bussi-Bussi

Gefährlich, nicht gefährlich, Meinungen, Abstandsregeln, Lockerungen. Wir haben die Psychologin Elke Prochaska nach Ratschlägen und Verhaltens-Tipps gefragt.

Von Gersin Livia Paya

Junge Menschen sollen reisen, sich verlieben und Spaß haben. Jetzt scheint alles ungewiss und verschoben zu sein. Die Rat Auf Draht Psychologin Elke Prochaska spricht von einer spürbar „großen Traurigkeit“.

Mit den Lockerungen steigt das Bedürfnis danach, wieder über die Stränge zu schlagen und Freunde zu treffen. Allerdings mit neuen Regeln und Verunsicherungen. Abstandsregeln, Ellenbogen-Begrüßung, Subwoofer auf der Wiese, DJ-Pult in der WG, Autodisco und Streaming-Konzerte im Freien. Seine Freunde nicht zu sehen, alles auf Abstand oder gar nicht mehr zu erleben und auf digitale Kontakte beschränkt zu sein, fällt gerade Jugendlichen sehr schwer. Und die Fragen nach einem „neuen Wie“ steigen. Rat auf Draht verzeichnet mehr als ein ein Drittel mehr Anrufe seit der Ausnahmesituation. Ein Telefonat mit Elke Prochaska, Psychologin bei Rat Auf Draht.

Was für Fragen bei den Rat auf Draht - Anrufer*innen sind zur Zeit auffällig? Kommen viele Fragen in Richtung ‚Wie treffe ich meine Freunde‘?

Wir bemerken sehr stark Konflikte in Beziehungen aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse sich zu schützen. „Ich möchte das nicht machen, weil ich meinen Vater/meine Mutter schützen möchte!“, und der andere ist ganz anderer Meinung. Es ist ein ständiges Abwägen. Auch bei Maturafeiern oder bei einem Schulwechsel und den damit verbundenn Abschiedsfeiern. Es ist eine sehr große Traurigkeit zu spüren, dass es nicht so ausgelassen möglich ist, wie sonst. Und es werden andere Möglichkeiten von Abschied erarbeitet. Auch bei den Eltern gibt es Unterschiede: Man will sich mit Freunden treffen und entweder die eigenen Eltern oder die der Freunde erlauben es nicht. Auch das ist ein großes Thema.

Anrufe bei „Rat auf Draht“ sind rund um die Uhr unter 147 möglich. Die Beratungen sind kostenlos und anonym.

Wie kann man denn „andere Möglichkeiten von Abschied“ erarbeiten? Welche Möglichkeiten sind das?

Feierlichkeiten werden nach draußen verlegt, in Parks, in Gärten und an Seen. Also an Orte, an denen man sich länger aufhalten kann, an denen man sich wohlfühlt und Abstand halten kann.

Da muss das Wetter mitspielen. Wenn jetzt Regen eine ganze Geburtstagsparty platzen lassen kann, wie sollen Jugendliche mit solchen Frustrationen umgehen?

Grundsätzlich brauchen junge Menschen eine Perspektive, um sich wieder auf etwas freuen zu können. Viele sagen uns: „Ich habe nichts mehr worauf ich mich freuen kann, alles fällt weg“. Beispielsweise Konzerte, Maturareisen und Festivals. Wir müssen gezielt schauen, was bleibt und was kann man trotzdem machen. Bei Geburtstagen muss man schauen, ob man mit weniger Menschen indoor feiern oder digital mit allen feiern kann. Aber der Wunsch nach dem persönlichen Kontakt ist ein ganz großes Bedürfnis.

Apropos Perspektive. Eine 14-Jährige hat mir erzählt, dass es sie frustriert, keine neuen Menschen kennenzulernen.

Vieles verlegt sich auf Apps, besonders bei der Partnersuche kennen wir das. Das ist nun alles mehr mit einer bewussten Suche verbunden, was sich sonst nebenbei ergibt, zum Beispiel bei Festivals. Gleichzeitig fällt es vielen nun leichter jemanden anzuschreiben. Und viele Jugendzentren bieten gemeinsames Spielen, Kochen und Diskussionsrunden für ganz unterschiedliche Altersgruppen an.

Was können junge Menschen gegen die fehlenden Perspektiven tun? Gegen die große Traurigkeit?

Die Traurigkeit zulassen, Gefühle zulassen. Es gibt ja auch viel Grund dafür traurig zu sein. Gleichzeitig schauen wir dort hin, was möglich ist, zum Beispiel Sport mit jemandem zu machen, der am anderen Ende der Welt ist. Oder gemeinsam Escape Room zu spielen, nur digital. Was fehlt mir? Was ist möglich? Den Blick mehr dorthin richten, was wieder möglich ist.

Wie gehe ich mit jemandem um, der sehr ängstlich und vorsichtig ist?

Verständnis. Es geht nicht darum, jemanden von der eigenen Ansicht zu überzeugen. Es ist ganz wichtig, das ernst zu nehmen und Verständnis zu zeigen.

Bei Einladungen an eine Gruppe: Wie kann man absagen, ohne dass man gleich „die Spaßbremse“ ist?

Wenn bei der Gruppe ein bis drei Personen den Ton vorgeben und man ist nur akzeptiert, wenn man das Gleiche macht, dann kann es sein, dass es nicht funktioniert. Dann ist es auch die Frage, wie sich Freundschaft definiert. Das ist sehr schwierig, wir erleben das immer wieder. Beim Ablehnen von Schischas, Zigaretten oder Alkohol. Da muss man bei sich bleiben und sich das trauen. Da ist es wichtig für sich selbst zu wissen, wenn die Person einen wirklich mag, dann wird die Person das akzeptieren oder sich mit mir auseinandersetzen. Natürlich ist das hart.

Wie bringe ich jemanden nicht in die Verlegenheit abzusagen?

Wenn man selber schon in der Einladung Sicherheit vermitteln möchte, sollte man vermitteln, dass man sich genug Gedanken macht. „Ich möchte, dass sich alle wohlfühlen können, deshalb habe ich einen großen Tisch besorgt. Oder deshalb mache ich die Feier im Freien. Oder deshalb gibt es genug Seife am WC.“ Man sollte von vornherein zeigen, dass man offen dafür ist.

Wie sagen wir es am besten jemandem, der sich verantwortungslos verhält?

Am besten ist, man kommuniziert, was es für einen selbst ist. Man kann einfordern, dass es für einen selber geändert wird. „Ich fühle mich unwohl, bitte können wir uns ein bisschen weiter auseinander setzen“. Je überzeugter und fester man das rüber bringt, desto eher wird es akzeptiert. Das kann man zu Hause auch vorm Spiegel üben. Wie sage ich etwas und wie wirke ich selbstsicher dabei. Je überzeugter man es sagt, desto eher wird es auch in der Praxis akzeptiert.

Warum ist das alles eigentlich so schwierig? Warum fällt es uns schwer, neue Regeln und Formen des Zusammensein zu leben?

Es ist für uns alle eine neue Situation. Situationen die wir nicht kennen, führen zu Irritationen und Ängsten. Wir müssen uns immer wieder mit den neuesten Stand auseinandersetzen. Gefährlich, nicht gefährlich, Meinungen, Abstandsregeln, Lockerungen. Wir können uns beim Kontakt mit anderen schwer nur an die eigenen Regeln halten. Wir sind im einen Zwiespalt zwischen dem, was man sich aus tiefstem Herzen wünscht, und dem, was man weiß, was sinnvoll ist, um sich selbst oder andere Menschen zu schützen. Der Widerspruch in einem ist schwierig, sich zu entscheiden zwischen schützen und nachgeben beim großen Bedürfnis nach Nähe.

Zum Erwachsenwerden gehört auch dazu, Dinge zum ersten Mal zu tun. Sich erstmals abzunabeln als Teenager fällt momentan schwer. Es scheint so, als würde die erste Liebe, der erste Kuss und all das, verschoben sein.

Erste Liebe und der erste Kuss finden weiter statt, aber auf anderen Wegen, zum Beispiel durch Sexting. Verlieben und Anbahnen finden noch mehr im Digitalen statt. Gefühle bahnen sich auch so irgendwie den Weg, auch wenn man nicht direkt zusammen sein kann. Auch bei der Abgrenzung gibt es große Kämpfe zwischen Eltern und Jugendlichen. Sie lernen sich auch da durchzusetzen. Aber es ist schwierig für Jugendliche, denn die Unbeschwertheit ist verloren gegangen. Die Grundsicherheit ist ein Stück weit entzogen, niemand hat damit gerechnet, dass man nicht mehr weggehen kann am Wochenende zum Beispiel. Diese Generation muss das neu für sich verarbeiten und einordnen.

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