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FILM

Das Autokino als mythischer Ort der Popkultur

In Corona-Zeiten werden Filme wieder verstärkt in Autokinos geschaut. Der deutsche Medienwissenschaftler Stefan Jung erzählt im FM4-Interview über die Geschichte der Drive-In-Kultur.

Von Christian Fuchs

Autokinos haben in der Corona-Krise eine neue Popularität gewonnen, vor allem im amerikanischen Sprachraum. Dort ist das Drive-In-Cinema aber auch eine nostalgische Institution, die vor allem von Fans schundiger Exploitationfilme verklärt wird. Der deutsche Medien- und Kulturwissenschaftler Stefan Jung ist Genrekino-Fan und Autokino-Liebhaber. Und er weiß einiges über die dazugehörige Geschichte und die Mythen zu erzählen.

CF: Stefan, wie hat denn dieser ganze Kult rund um das Autokino begonnen?

SJ: Das erste Autokino der Welt war in Amerika und wurde im Sommer 1933 in Betrieb genommen. Das war der US-Amerikaner Richard M. Hollingshead Jr., das habe ich bei Recherchen herausgefunden. Und die Idee von ihm war ganz simpel: einfach im Garten zwischen zwei Bäumen eine Leinwand zu spannen und da mit Freunden und Familien Bilder und Familienvideos anzuschauen. Und das sprach sich gut herum in der Nachbarschaft und für die Öffentlichkeit haben sie dann wirklich eine Autokino-Vorstellung am 6. Juni 1933 in der Stadt Riverton, New Jersey, stattfinden lassen. Da ging das los.

CF: Dann war das Drive-In-Cinema aber bald eine Massen-Institution oder?

SJ: Absolut. Man muss bedenken, dass das ursprüngliche Autokino wirklich ein familienfreundliches Kino war – da kommen wir später noch dazu. Zwischen 1947 und 1953 entstanden sage und schreibe 2900 Autokinos in den USA und die „Goldenen 50er“ gelten allgemein als die Hochphase der Autokinos, weil sie auch einen wirklich signifikanten Teil der regulären Kinoauswertung trugen – ungefähr ein Drittel.

Stefan Jung Medien- und Kulturwissenschaftler, freier Autor. Schreibt seit über zehn Jahren über Film und kulturelle Räume. Zu lesen und zu hören in diversen Zeitschriften und Podcasts, u. a. Deadline – Das Filmmagazin, Fluxkompensator und Deep Red Radio. Autor von Bonusmaterialien zu Blu-ray- und DVD-Veröffentlichungen. Co-Herausgeber und Autor von deutsch- und englischsprachigen Buchpublikationen mit filmwissenschaftlichem Hintergrund. Studium in Regensburg, lebt in Dresden.

CF: Die Filme. die damals in den US-Autokinos liefen, waren aber die regulären Kino-Highlights?

SJ: Genau. Also in der Zeit der 50er-Jahre war es noch reguläres Programm. Man hatte gute Chancen, in Amerika zum Beispiel im Jahre 1956, 1957 „The Searchers“, auf Deutsch „Der Schwarze Falke“, mit John Wayne anzuschauen – große Produktionen, die auch in den Lichtspielhäusern liefen. In den 60ern und 70ern führt es aber zu einem Abfall der größeren Autokinoökonomie und dann gab es diese B-Movies, diese Drive-In-Movies, die sich herauskristallisiert haben. Es war diese reizvolle Phase, die heute als Genrespielstätten verehrt wird. Und für diese B-Movie-Kultur gibt es auch Firmen, die speziell für diese Filme produziert haben.

Filmstill "Texas Chainsaw Massacre"

Viennale

Heißer Stoff aus der B-Movie-Fabrik

CF: Ich muss jetzt ein Zitat von Regisseur John Waters über seine Teenagerobsessionen vorlesen: „Ich stieg heimlich auf einen Hügel in der Nähe unseres Hauses, von wo ich in der Ferne die Leinwand des Autokinos sehen und mit dem Fernglas sämtliche blutigen und grausigen Jugendverbotfilme sehen konnte.“

SJ: Zum Beispiel „The Texas Chainsaw Massacre“ von Tobe Hooper, der lief rauf und runter, oder „The Last House on the Left“ Mitte bis Ende der Siebziger, das war heißer Stoff und gerade die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die da vielleicht schon den Führerschein hatten, sind dann in ihre Knutsch-Kinos gefahren und haben sich Horrorfilme oder Komödien angeschaut und haben sich unter Freunden getroffen. Das war dann die Genre-Zeit der Autokinos, genau.

CF: Hat das Fernsehen schließlich dem Autokino massiv geschadet?

SJ: Na, man muss bedenken, das Fernsehen war damals natürlich schon relevant, aber noch nicht so wie dann später in den 80ern und 90ern. Ein Grund war sicherlich 1979 in Toronto das erste Multiplex-Kino, also gemeinhin die 80er-Jahre – Filme wie die späteren „Star Wars“-Teile „Das Imperium schlägt zurück“ oder „Indiana Jones“. Diese George Lucas/Steven Spielberg-Filme waren Großproduktionen mit toller Technik, tollem Ton, die dann in Multiplexen gelaufen sind. Und die Multiplex-Kinos haben eigentlich die Autokinos komplett abgelöst, sodass sie letztlich nur noch Residuen als Spielstätten waren.

CF: Was macht denn nun den unverwechselbaren Reiz von Autokinos aus?

SJ: Die Verbindung von Öffentlichem und Privatem. Du musst sehen, du fährst ja ins Autokino hinein mit deinem Auto und bist erst einmal für dich. Du bist aber auch unter anderen. Man stellt sich das vor, mit anderen Autos teilst du dir als Besuchereinheit – als Single, als Pärchen, als Familie – den öffentlichen Raum. Du stehst am Parkplatz und schaust mit den Leuten ja zusammen diesen Film an. Man sollte auch anmerken: In den 50ern und 60ern, als das noch richtig groß war, waren es teilweise ganze Themenpark-Autokinos. Da gab es zum Beispiel nachmittags Spielmöglichkeiten für Kinder, Karussells, Spielbuden, eigentlich die Miniaturform eines Jahrmarkts. Da gab es dann später auch als Eventlocation Restaurants und diese Motels, also diese Auto-Hotels, wo man quasi auch einen weiteren Besuch rechtfertigen konnte und extra angefahren ist und dann dort übernachtet hat. Das war eine richtige Kulturinstitution.

CF: Aber gleichzeitig bist du ja in deinem Auto, allein für dich?

SJ: Ja, du bist eigentlich auf einem großen Autokinoparkplatz, aber in deinem Auto bist du für dich und sofern keiner die Autotür aufreißt und dich belästigt, hast du da einen sehr intimen Bereich, in dem du auch knutschen kannst und mit deiner Liebsten ungestört den Film anschauen kannst. Dafür gibt es auch einen Fachbegriff, der auf Englisch heißt „passion-pits“.

Buchtipps zum Mythos des Drive In Cinema:

  • Kerry Segrave: „Drive-In Theaters: A History from Their Inception in 1933“
  • Michael Flintrop, Stefan Jung, Heiko Nemitz (Hrsg.) „Joe Dante – Spielplatz der Anarchie“
  • Elizabeth McKeon, Linda Everett: „Cinema Under the Stars: America’s Love Affair With the Drive-In Movie Theater“

CF: Wie sieht es den in Europa mit der Autokino-Geschichte aus?

SJ: In Europa hat sich das nie so ganz durchgesetzt, aber es gab auch Autokinos. Es gibt ja diese Autokino-Ketten, die heute noch bestehen, die paar großen gibt es ja auch schon eine ganze Weile. Man muss aber sagen, es ist schon primär amerikanisch – und vielleicht auch noch Australien, weil es sind Autokultur-geprägte Länder. Denn du hast weite Strecken, weite Flächen und die Leute sind gewohnt, viel im Auto zu sein. Und dadurch haben sich scheinbar ganz natürlich diese Autokinos mitentwickelt – auch in diesen kleineren Städten, diesen Vororten. Die Lichtspielhäuser in den großen Städten gab es ja immer, aber die Leute konnten ja nicht immer nach New York hineinfahren oder nach Chicago, sondern sie wollten in ihrem Umfeld, in ihrer Nachbarschaft auch Filme sehen. Und da haben die Autokinos richtig gut reingepasst.

B-Movie Programm Autokino

Bertz+Fischer

Dank Drive-In-Comeback in den Kinocharts

CF: Aber jetzt gibt es wieder einen Boom, auch in deutschsprachigen Ländern?

SJ: Du hast ja bei Corona die Vorgabe, eigentlich keinen Kontakt zu den Leuten zu haben und da spielt das Autokino perfekt rein. Du bist in deinem Auto – ein Haushalt hat man immer gesagt, eine Haushaltsgröße sind zwei, drei Leute, die in derselben Wohnung wohnen, die dürfen im Auto bleiben. Diese Snackbars oder Bedienungen oder dass du draußen spazieren gehst, gibt es aktuell nicht. Du bleibst im Auto und schaust dir den Film an.

CF: Wird das anhalten?

SJ: Ich denke, das ist eine temporäre Hochphase, die jetzt gerade ist. Wenn sich das hoffentlich bald irgendwann wieder zum Normalfall lockert, dass die normalen Kinos geöffnet haben und dass nächstes Jahr Festivals wieder normal stattfinden können, dann werden die Autokinos auch wieder abflauen. Aber aktuell ist ja ein regelrechter Boom. Überall werden in kurzer Zeit Autokinos hochgezogen, und die Technik ist ja simpel: Du brauchst eine Leinwand, du brauchst einen Projektor, du musst nicht ein komplettes neues Haus aufbauen.

CF: Da findet man aber nur das Programm der letzten Monate derzeit und ein paar Klassiker?

SJ: Also ich hab jetzt in Gesprächen mit einigen Kollegen, auch was ich so im Programm lese, festgestellt, dass eigentlich auf Nummer Sicher gegangen wird und Kassenschlager gezeigt werden – also alte Kultfilme. „Blues Brothers“, „Rocky Horror Picture Show“ werden immer wieder gezeigt, oder eben ganz erfolgreiche Filme oder auch deutsche Kultfilme wie „Manta, Manta“ – ja oder eben einfach aktuelle Blockbuster der letzten Jahre. Man geht auf Nummer Sicher, dass die Leute sagen: Wir gehen ins Kino.

Morris Plains Drive-In Theatre

Bertz+Fischer

Morris Plains Drive

CF: Die Zeit der schundigen B-Movies ist endgültig vorbei?

SJ: Es gibt da ein aktuelles Phänomen, das möchte ich noch erwähnen, und zwar der amerikanische Horrorfilm „The Wretched“ von den Pierce Brothers. Dieser Film hat es tatsächlich geschafft, gerade seit einigen Wochen Nummer Eins der US-Kinocharts zu sein. Weil die Filmindustrie steht ja still, es gab ja jetzt monatelang Blockade, keine neuen Kinostarts und er ist als aktueller Film tatsächlich in eine reguläre Autokino-Auswertung reingenommen, und ich glaube, sie sind gerade bei 75 oder 90 Autokinos, die ihn momentan spielen. Und er hat jetzt mit minimalem Budget gerade die Eine-Million-Dollar-Marke geknackt, was für die beiden Regisseure natürlich ein Riesenerfolg ist und was sich tatsächlich auch herumspricht in Amerika. Das ist ein interessantes zeitgemäßes Phänomen.

CF: Also Leute stehen immer noch auf Horrorfilme spätabends im Autokino, das funktioniert immer noch.

SJ: Könnte man sagen. Zum Beispiel hier in Dresden ist auch „Halloween“ von Rob Zombie gelaufen, glaube ich im Spätprogramm, habe ich gesehen.

Joe Dante - Hollywood Boulevard

New World Pictures

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