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Bandfoto M185

Martin Stoebich

M185 und ihr Disco-Euphorie-Produkt

Fiepende Synthies, knarzende Sampler, flirrende Soundflächen und ein hypnotisierender Groove. Die Wiener Band M185 verbindet auf ihrem neuen Album „Product“ außerweltliche Musikerfahrung mit realpolitischen Statements und erfindet sich dabei neu.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Als vor acht Jahren die Wiener Band M185 den FM4 Award eingeheimst hat, haben wir ihre psychedelischen Ausflüge in die staubige Rockwüste der Siebzigerjahre genossen. Das Album „Let The Light In“ hat damals schon das Ausfransen von Genres, den Hang zum Experimentieren und die Liebe zur Repetition hörbar gemacht. Dann kam 2014 das Nachfolgewerk „Everything Is Up“, das mit dem Sommerhit „Soon“ durchaus poppige Züge getragen hat. Herzstück war damals das dreiteilige Rockepos „Mt. Plywood“, ein ausuferndes Rockexperiment.

Dann ist es ruhig um das Quintett geworden. Nach sechs Jahren legt die Band M185 nun ihr neues Album vor. Schlicht „Product“ betitelt, ist es alles andere als ein leicht einzuordnendes Musikprodukt. Es ist in seiner Grenzenlosigkeit ein spannendes und zeitloses Dokument einer erneuten Selbstfindung, bei der Discomusik, Gitarrenhass und Aliens eine tragende Rolle gespielt haben.

Entführung ins neue Sounduniversum

Mit dem Eröffnungssong „Slumberless“ wird von den ersten Tönen an klar, dass sich das Sounduniversum verändert hat. Hier flirren die Klangflächen, surren die Synthies und Samples. Der stampfende Schlagzeugbeat treibt die coole Basslinie vor sich her, während Stimmsamples durch den Raum schwirren. Wolframs Erzählstimme wirkt durch die Tonlage wie nicht von dieser Welt. Schließlich sind die fünf Jungs, wenn man dem Pressetext der Platte glauben darf, nach ihrer letzten Tour von Aliens entführt worden. Danach fühlte sich alles ein Stück entrückt an. So, als wäre der vertraute Proberaum plötzlich ein von den Chinesen nachgebauter Fake.

PLattencover "Product" von M185

M185/Speed Of Light Records

Das Album „Product“ von M185 erscheint am Freitag, 20. Juni, auf Speed Of Light Recordings.

„I’m back again - I never went away“, singt Wolfram in dem Stück „Fraction Friction“, und doch ist auch bei diesem krautigen Elektro-Disco-Stück klar, dass sich die Welt von M185 nachhaltig geändert hat. Erinnert es zwar entfernt an Arcade Fires „Reflektor“-Phase, so haben die Wiener jedoch das Popelement diesmal komplett ausgespart. Die Disco, in der sie uns zum Tanzen einladen, klingt reduzierter und experimenteller. So wird bei dem eigenwilligen und auch irgendwie witzigen Stück „Boy (Oh Boy)“ die Gitarre derart verfremdet, dass sie vom Sound her schon einem analogen Synthesizer gleichkommt, der über den steten Groove dahinhüpft. Auch hier sind die Harmonien und Riffs, um die sich M185 drehen, eingedampft und komprimiert. Die Melodien ergeben sich in der Zwiesprache von Gitarre und Synthie, die wie in einem Frage-Antwort-Spiel die Tonfolgen entstehen lässt.

Aber es geht noch reduzierter. Die sphärische und assoziative Liebesballade „When I See It“, bei der wir zwischen Wüstenlandschaften und Meeresweite hin und her wechseln, lebt von sparsamen Gitarrentönen, zitternd-verhalltem Feedback und der ruhigen Stimme von Wolfram, bis das stark verzerrte Schlagzeug und ein schwerer Bass wie ein Klanggewitter über uns hereinbrechen. Aber auch hier wird nichts überfrachtet. Als klassisch aufgenommener Bandsong hat dieses Stück viele Wandlungen durchgemacht, bis nach und nach die Klangschichten wieder entfernt wurden und dieser emotionale Rohdiamant zum Vorschein gebracht wurde.

Die Single „Not In Love“, die eine Mischung aus Heldenepos und Liebeslied ist, erinnert in ihrer hypnotischen und repetitiven Art an das LCD Soundsystem.

Von Entfremdung und persönlichen Grenzen

Die Alien-Geschichte beim Entstehungsprozess von „Product“ ist von M185 bewusst gewähltes Sinnbild der Entfremdung. Denn mit jeder großen Veränderung geht auch das Verabschieden des Gewohnten und das Loslassen des alten, vertrauten Lebens einher.

Heinz: „Wir haben uns von unserem alten Stil, unseren Ausdrucksmöglichkeiten und dem Bandformat entfernt und entfremdet. Wir haben sehr viele Sachen in Frage gestellt und neu ausprobiert. Vor allem unser Instrumentarium. Wobei ich die Gitarre auch irgendwann ein bisschen hassen gelernt und sie auch ein Stück weit entfremdet habe in der Verwendung. Die Synthies und die Samples, das Herumschrauben an den Sounds, das war mehr im Fokus.“

Tipp:

Albumcover  von M185 mit Grace Jones alter Platte

M185/Speed Of Light Recordings

M185 veröffentlichen ihr Vinyl „Product“ mit Stickern, die sie auf alte Schallplatten aus der Wühlkiste geklebt haben und die man mit dem neuen Album erhält. Von Otto über Grace Jones bis Tom Waits ist da alles dabei. Gefeiert werden diese bunten Platten am kommenden Samstag, 20. Juli, in der Schankwirtschaft im Wiener Augarten.

Gleich geblieben dagegen ist der Spaß am Experimentieren und das repetitive Element, das hypnotische Zirkeln um Riffs, Beats und Harmonien. Auch das Nachdenken und Reflektieren über realpolitische Zustände ist M185 noch immer ein Anliegen. So thematisiert der doch recht rockige Song „You And Or You Or Me“ die Wandlung des öffentlichen und damit auch privaten Diskurses während und nach der großen Flüchtlingsbewegung 2015.

Wolfram: „In dem Song kommt die Zeile ‚borders of your compassion‘ vor, wobei es um die Frage geht, wo denn jeder die eigene Grenze des Mitgefühls hat. Wann hört man auf, mit anderen Menschen Mitgefühl zu haben? Es war während und nach der Flüchtlingsbewegung stark wahrnehmbar, wie sich diese Grenze verschoben hat. Außerdem stellt sich dann hier auch die Frage, wie man leben will. Also eben ‚you and‘ oder ‚you or me‘. Ziehen wir die Grenzen zu anderen Menschen oder versuchen wir, die Probleme gemeinsam zu lösen.“

Auch das schon ältere Stück „Chew“, das sich in seinem tempo-verschobenen Disco-Groove auch auf der neuen Platte befindet, reflektiert das kapitalistische Streben nach immer mehr. Es ist dieser scheinbar unstillbare Hunger, der die ausbeuterischen Entwicklungen der Menschheit wie ein Turbo beschleunigt.

Bei all den Veränderungen und Entfremdungen ist bei M185 der treibende Motor des Musikmachens gleich geblieben: die Euphorie. So wie auch die Referenz der Disco-Musik mit ihrem Versprechen der Ekstase ins Album eingeflossen ist, machen M185 das unbändige Gefühl der Euphorie in dem Schlusssong „Move On“ hörbar. Die Verschränkung von Text und dem ausufernd lärmigen Rockepos machen diese Euphorie fast schon körperlich spürbar und entlassen uns nach einem wilden Ritt durch die neuen, analog-elektronische Klanglandschaften mit dem Bedürfnis, diese spannende musikalische Reise noch einmal anzutreten, um all die liebevollen Details und Sounds zu erforschen, die in diesem „Produkt“ stecken.

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