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Tobias Gruben

Mindjazz Pictures

„Die Liebe frisst das Leben“: Ein Film über einen vergessenen deutschen Rockstar

Der deutsche Musiker Tobias Gruben wird gerne von jungen deutschen Indie-Wave-Bands als Einfluss zitiert, einem größeren Publikum ist Gruben aber nahezu unbekannt. Das ändert nun der deutsche Regisseur Oliver Schwabe ein Stück weit mit „Die Liebe frisst das Leben“, seinem filmischen Porträt eines enorm tragischen und zum Teil auch bizarren Künstlerlebens.

Von David Pfister

Das kurze Leben des deutschen Underground-Musikers, Sängers, Dichters und Komponisten Tobias Gruben endet mit einer bitteren, makabren Pointe. Nach einer kreativ wahrhaftigen und integren, aber kommerziell wenig erfolgreichen Karriere und einer scheinbar überwundenen oder zumindest domestizierten Heroinsucht, wird Gruben 1996 endlich ein Plattenvertrag vom Majorlabel-Giganten Universal angeboten. Endlich scheint der kommerzielle Durchbruch und damit das Entkommen aus prekären Lebensverhältnissen zum Greifen nah. Die Platte soll 1997 erscheinen. Zu einem Vertragsabschluss kommt es allerdings nicht mehr. Kurz vor der Unterzeichnung stirbt Gruben an einer Heroinüberdosis. Im nun erschienenen Doku-Film über Tobias Gruben wird gemutmaßt, dass es sich hierbei um ein Versehen und nicht um einen Selbstmord handelte. Als hätte Gruben seinen späten Triumph noch einmal mit seinem Lieblingsrausch, seiner Lieblingsdroge feiern wollen.

Eigentlich hätte „Die Liebe Frisst Das Leben“ im Frühjahr in den Kinos starten sollen, die Corona-Krise hat diesem Plan aber einen Strich durch die Rechnung gemacht und so kam der Film im Vertrieb von Mindjazz Pictures nun direkt in die Streaming- und OnDemand-Plattformen.

Tobias Gruben wird 1963 in Athen geboren. In Athen, weil sein Vater Gottfried Gruben eine berühmte Archäologie-Koryphäe ist und den Lebensunterhalt seiner mehrköpfigen Familie mit Ausgrabungen verdient. Gruben wächst also in einem intellektuellen und gutbürgerlichen Ambiente mit viel Literatur auf. Wenn es um soziale Belange geht, gibt sich der Vater allerdings konservativ und tyrannisch, wie Tobias Grubens Geschwister in der Dokumentation erzählen. Der scheue und introvertierte Sohn flüchtet sich in Bücher und Musik und bemüht sich Zeit seines Lebens um elterliche Akzeptanz seines künstlerischen Strebens. Er erfährt aber nur Ablehnung und vom Vater werden sogar absichtliche Stolpersteine in seinen Lebensweg gelegt.

Trotz schwieriger Umstände und eines offenbar ebenso schwierigen, weil perfektionistischen Charakters feiert Tobias Gruben mit der Wave-Band Cyan Revue Mitte der Achtziger kleine internationale Erfolge. Gruben textet und singt englisch und orientiert sich an Bands wie Bauhaus. Nach drei Alben ist Schluss mit der Goth-Band. Musikalisch aktiv war Gruben ebenso mit der NDW-Gruppe Die vier Kaiserlein gemeinsam mit dem späteren Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief.

Tobias Gruben

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All diese Erfahrungen führen 1987 zur Gründung der Band Die Erde, gemeinsam mit Horst Petersen, bei der auch der inzwischen berühmte Indie-Produzent Tobias Levin mitmachen sollte. Spröder, noisiger New Wave mit Hang zu einer frühen Industrial-Heftigkeit mit zärtlichen Momenten. Vermehrt deutsche Texte, die an die brutale Romantik eines Rio Reisers erinnern. Produziert wird das Album „Kch Kch Kch“ passenderweise von FM Einheit von den Einstürzenden Neubauten. Mit denen gehen sie auch auf Tour.

Eine zweite Platte schaffen Die Erde nicht. Tobias Gruben verliert sich in Heroin und einem selbst torpedierenden Perfektionismus was sein textliches und musikalisches Schaffen betrifft. Bis sich Mitte der Neunziger im Fahrwasser des erfolgreichen deutschen Diskurs-Pop, zwischen Blumfeld und Tocotronic, für Gruben die Majorlabel-Option auftut. Der Künstler war so aufgeräumt, fokussiert und gesammelt wie nie zuvor, war mit Mitte Dreißig noch nicht zu alt für einen alternativen Popstar und bereit endlich über seinen Vater zu triumphieren.

Dem versierten deutschen Kameramann, Drehbuchautor, Fernseh- und Kinoregisseur Oliver Schwabe („Fraktus“, „Tatort“, „Von Der Beraubung Der Zeit“, „Zarte Parasiten“ u.v.m.) ist eine klassische Musikdokumentation mit reichhaltigen Kommentaren von prominenten Wegbegleitern und FreundInnen von Tobias Gruben, wie beispielsweise Rocko Schamoni, Tobias Levin oder FM Einheit, gelungen. Um einen Bogen in die Gegenwart zu schlagen, interpretieren schon vorhin erwähnte Bands wie etwa Isolation Berlin oder Messer Gruben-Lieder. Die Dokumentation folgt traditionellen filmischen Strickmustern eines Künstlerporträts. Da Tobias Gruben aufgrund seiner nahezu völligen Vergessenheit ein gewisser Exotismus anhaftet, ist dies aber die beste Lösung, um dem Publikum eine spannende aber eben wenig bekannte Biografie zu erzählen. Und trotz der inhaltlichen Tragik gelingt dem Film eine sehr liebevolle und heimelige Atmosphäre.

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