FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

The Last of Us Part II

Naughty Dog

Das Allerletzte von uns

„The Last of Us Part II“ hat die Ambition, den Gipfelpunkt des interaktiven Erzählens darzustellen. Leider versenkt es in der viel zu langen zweiten Spielhälfte seine Figuren sinnlos in Blut - das hat Ellie nicht verdient.

Von Rainer Sigl

Rache, so sagt man, ist süß. Wer „The Last of Us Part II“ spielt, merkt aber schnell, dass sie eigentlich bitter ist und einen Nachgeschmack von Blut und Tränen hat. Es gibt nichts, aber auch gar nichts zu lachen in dieser Postapokalypse, die man schon aus dem ersten, 2013 erschienen und kultisch verehrten ersten Teil kennt.

Zur Erinnerung: Eine bizarre Pilzsporeninfektion hat den Großteil der Menschen in rasende Monster verwandelt, die Städte sind seit zwei Jahrzehnten überwucherte Ruinen und die allerletzten Überlebenden bekämpfen sich gegenseitig bis aufs Blut. Im ersten Teil waren wir als Schmuggler Joel mit dem Teenagermädchen Ellie in dieser originellen Quasi-Zombie-Postapokalypse unterwegs.

Was „The Last of Us“ mehr als alles andere legendär gemacht hat, war sein schockierendes Ende: Statt Ellies Leben zum Wohl der gesamten Menschheit und der Aussicht auf Heilung zu opfern, entschied sich der raubeinige, immer noch vom Verlust des eigenen Kindes gezeichnete Joel dafür, sie zu retten und die Welt zu verdammen - ein zugleich wuchtiges und berührend intimes Ende eines eindrucksvollen Horrortrips.

Diesmal ist Ellie als junge Erwachsene die Hauptfigur. Und ihr geht es nicht darum, irgendjemandes Leben zu retten, im Gegenteil: Sie ist auf einem blutigen Rachefeldzug.

Das Mädchen mit dem Messer

Das Gameplay ist dabei vertraut: Wie in Teil 1 bewege ich mich diesmal hauptsächlich durch das verwüstete Seattle, kämpfe aus dem Hinterhalt oder in brutalen Gefechten mit Schuss- und Nahkampfwaffen gegen Monster und andere Überlebende und sammle dabei überall Rohmaterial, um mir provisorische Werkzeuge und Waffen zu basteln. Wie in einem Survival-Horrorspiel herrscht dabei stets Mangel und ich habe nie das Gefühl, eine starke Heldin zu sein, sondern maximal immer nur knapp mit dem Leben davonzukommen.

In all dem Horror und Schmerz warten aber auch stille Momente der Schönheit in den beeindruckend dargestellten Ruinen und Wäldern. „The Last of Us Part II“ sieht spektakulär aus, von der Weltgestaltung über die eindrucksvoll ausdrucksstarken Figuren bis hin zu lebensechten Animationen. Gemeinsam mit toller Sprachausgabe, zurückhaltender atmosphärischer Musik und stimmigem Sound ist dieses Spiel auf jeden Fall ein spektakuläres Spätwerk für die vor der Ablösung stehende aktuelle Konsolengeneration.

The Last of Us Part II

Naughty Dog

Ein Film zum Mitspielen

Im Zentrum steht allerdings die Geschichte, und die ist - das Markenzeichen des Entwicklers Naughty Dog - wieder atemberaubend inszeniert. Und sie bietet, das ist der am stärksten ins Auge fallende Unterschied zum Vorgänger, diesmal ein erstaunlich und erfreulich differenziertes diverses Figurenrepertoire: Eine lesbische Hauptfigur, die sich mit ihrer jüdischen Freundin über den Holocaust unterhält, hat man bislang in kaum einem Spiel gesehen. Vor allem zu Beginn wachsen einem die Figuren ans Herz und „The Last of Us Part II“ ist tatsächlich das, was sich viele Spielerinnen und Spieler wünschen: ein Film, in dem ich selbst die Hauptrolle spielen darf.

Warnung: Diese Rezension enthält auch ab hier keine Spoiler, doch die grundlegende Handlung wird thematisch und kritisch analysiert.

Was für knapp zwölf Stunden für Begeisterung sorgt, wandelt sich leider ab einem dramatischen Cliffhanger in der Mitte schrittweise und in viel zu langen weiteren zwölf Stunden zum Ärgernis. Käme „The Last of Us Part II“ irgendwann früher so wie der erste Teil straff erzählt zu Ende, könnte man von einem würdigen Nachfolger sprechen; leider folgen ab der Mitte des Spiels auf einen durchaus gelungenen Perspektivenwechsel jede Menge unlogische Handlungsstränge und zu viele unnötige Rückblenden.

The Last of Us Part II

Naughty Dog

Cutscenes zum Kopfschütteln

Vor allem, und das wiegt in einem interaktiven Medium schwer, handelt meine Spielfigur in den nicht von mir beeinflussbaren Cutscenes zunehmend auf eine Art und Weise, die mich nur den Kopf schütteln lässt. Was als düstere Parabel auf Rachespiralen und Gewalt gemeint ist, verkommt so zunehmend zu sinnlos blutigem Trash. Mit wachsender Fassungslosigkeit muss ich zusehen, wie meine Spielfigur in Videoszenen Entscheidungen trifft, die kaum nachvollziehbar mit der Vorgeschichte und Psychologie der Figur in eins zu bringen sind.

„The Last of Us Part II“ entwickelt von Naughty Dog, exklusiv für PS4 erschienen.

Erwähnenswert: Das Spiel bietet eine Vielzahl spielerfreundlicher Accessibilty-Optionen.

Natürlich steht es jedem Autor, Filme- und auch Spielemacher frei, seine Figuren in beliebige Richtungen zu führen; wenn dabei allerdings Logik, Charakterkonsistenz und Nachvollziehbarkeit dem wiederholt mutwilligen Schlag in die Magengrube weichen, muss man das nicht unbedingt als mutig oder kompromisslos identifizieren, sondern darf ganz einfach von platter Effekthascherei sprechen. Schade drum, denn das hat Ellie, das hat der Nachfolger eines Spiels, das eigentlich berühmt ist für seine emotional differenzierten Figuren, nicht verdient.

Trauma, jo eh

„The Last of Us Part II“ will seinem Publikum das lebenszerstörende Trauma der Gewalt eindrucksvoll vor Augen führen, doch es sabotiert diese letztlich banale Moral nicht nur durch sein Gameplay, in dem es eben abseits dieser Gewalt auch außerhalb der Cutscenes buchstäblich kein Handlungsangebot gibt. Genau dieses Dilemma großer Hochglanzspiele ist mindestens schon seit dem ersten Teil altbekannt.

Was schwerer wiegt, ist, dass in dieser viel zu langen Geschichte die Einzigen, die vor dieser wenig elegant und platt ausgebreiteten Moral die Augen verschließen, die zentralen Figuren selbst sind. Das wäre schon für ein nicht-interaktives Medium problematisch; in Videospielen, die mehr oder weniger die Identifikation mit der gesteuerten Spielfigur voraussetzen, ist es ein immersionszerstörendes Ärgernis.

„The Last of Us Part II“ ist technisch großartig und spielerisch solide. Die Geschichte, die es erzählt, ist diesmal aber leider zum Kopfschütteln.

Chris Stipkovits und Conny Lee widmen sich in der heutigen (Donnerstag, 18. Juni) FM4 Spielekammerl-Show von 17 bis 21 Uhr durchgehend „The Last of Us Part II“.

mehr Rainer Sigl:

Aktuell: