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Lisa Krusche liest ihren Text beim Bachmannbewerb

ORF/Johannes Puch

Das Lesen um den Bachmannpreis hat begonnen

14 Autor*innen lesen seit heute ihre bis dato unveröffentlichten Texte im Wettbewerb um den mit 25.000 Euro dotierten Bachmannpreis, den die Stadt Klagenfurt stiftet. Obwohl der Bewerb diesmal ziemlich dezentral und digital ausgetragen wird: Zu geht’s trotzdem schon!

Von Maria Motter

„Verehrtes Publikum: ‚Dürfen Schwarze Blumen Malen?‘ Ja. Je mehr, desto besser." Mit diesen Worten schloss Sharon Dodua Otoo ihre Eröffnungsrede und mit ihrem Plädoyer für das Beachten und Wahrnehmen Schwarzer Autor*innen, für Solidarisierung und gegen Diskriminierung haben die 44. Tage der deutschsprachigen Literatur begonnen. Sharon Dodua Otoo hat den Bachmannpreis schon 2016 gewonnen und was sie gestern zu sagen hatte, soll man unbedingt hören und lesen. Am besten wiederholt man Sharon Dodua Otoos Rede, die mit etlichen Hinweisen auf Schwarze Autor*innen versehen ist, in der nächsten Mittags"pause“. Autorin Julya Rabinowich soll dieses Jahr im Garten mitkommentieren und gleich zu Beginn hat sie das N-Wort angeklagt, indem sie es aber selbst einfach ausgesprochen hat.

Apropos Garten: Was die Blumen betrifft, so hat eine Zuschauerin schon einen eigenen Botanik-Thread gestartet. Sie will die Pflanzen im Hintergrund zählen. Denn der Bachmannbewerb wird diesmal relativ dezentral und digital ausgetragen. In der Zeit der teilweisen Ausgangsbeschränkungen war der Bewerb zuerst abgesagt, aber kurz darauf wieder angesagt! Für dieses Ausnahmejahr sind kurzerhand die Statuten geändert worden. Und das Wettlesen um den Bachmannpreis kann virtuell stattfinden.

Bachmannpreis 2020,
live auf 3Sat und bachmannpreis.orf.at, 17. bis 21. Juni 2020.
Und auch das Publikum kann mitbestimmen, wer ausgezeichnet wird: Das Voting für den Publikumspreis läuft am 20. Juni von 15.00 bis 20.00 Uhr.

Die Lesungen der 14 antretenden Autor*innen sind vorab aufgezeichnet. Da konnten sich die Teilnehmenden diesmal zuhause oder an einem anderen guten Ort ihrer Wahl aufnehmen lassen. Wie entspannt das gelaufen ist und wie viel Schöner Wohnen sich im Hintergrund abspielt, sehen wir seit heute. Los geht’s täglich um 10 Uhr live auf 3Sat und bachmannpreis.orf.at.

Die Jury diskutiert live, wenngleich die Juror*innen auch zu Hause oder in ihren Büros sind.

In Klagenfurt, im ORF Landesstudio Kärnten, ist die Schaltzentrale. Gestern Abend bei der Eröffnung hat das schon gut geklappt. Im Studio hält Moderator Christian Ankowitsch die Stellung.

Bachmannpreis 2020 im Überblick: Es ist ein herausragender Jahrgang, das sind die Autor*innen:

Porträts aller Lesenden beim Bachmannpreis 2020

TddL

Das Publikum macht es sich gemütlich.

Die Jury wünscht guten Morgen, die Videokonferenz kann beginnen, weil: Bei der ersten Auseinandersetzung gibt es kein Delay - Wunderwerk Technik! Ein Text wird teils von einer Maschine geschrieben worden sein: Das sagt der österreichische Autor Jörg Piringer, als die Jury immer wieder den Verdacht äußert.

Als Erste jedoch liest Jasmin Ramadan. Ihr Debütroman „Soul Kitchen“ (Blumenbar, 2009) war die Vorgeschichte zu Fatih Akins, seitdem sind weitere Romane (zuletzt „Hotel Jasmin“, Tropen, 2016) und TAZ-Kolumnen erschienen, zurzeit schreibt Ramadan eine TV-Serie. Was bei ihr beim Schreiben im Kopf und Körper abgeht, illustriert ihr wunderschön animiertes Videoporträt mit Zigarette und Katze.

Nicht so schön läuft es für Ben, Marlene und Linus, die Protagonist*innen in Ramadans Text greifen mit Narzissmus und Panikattacken zu Biowein und der Meditationsliste von Spotify. Nicht mehr ganz so junge, deutsche Menschen, die ihre alltäglichen persönlichen Albträume leben. Dass der Text ein Auszug aus ihrem nächsten Roman „Ü“ ist, will Jasmin Ramadan nach der Jurydiskussion noch anbringen.

Screenshot Videoporträt Jasmin Ramadan: Was sich im Kopf beim Schreiben alles abspielt

Nils Kasiske/Studio Topie

Jasmin Ramadans oh so schönes Videoporträt von Nils Kasiske!!

Neu in der Jury: Brigitte Schwens-Harrant – die Feuilletonchefin der Wochenzeitung „Die Furche“ – und Philipp Tingler – der für sein Studium ein Hochbegabten-Stipendium erhalten hatte, 2001 um den Bachmannpreis gelesen hatte und sich anhören musste, dass sein Text nicht zu retten sei, der heute als Autor und Literaturkritiker arbeitet und an seinem ersten Tag als Bachmannpreis-Juror gleich als Klassenvorstand der alten Schule die Kolleg*innen ständig ermahnt.

Deep Space Melancholie

Lisa Krusche war im Vorjahr noch Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses und dieses Jahr liest sie schon um den Bachmannpreis. Sie schreibt, weil sie es nicht anders aushält, sagt sie in ihrem Videoporträt. Danach ähnelt das Video einer Instagram-Werbung, wahlweise für Sackkleider, Funktionsrucksäcke oder grobgliedrige, fette Goldketten. Da hatte schon Autorin Sophie Paßmann eine Wunschliste angelegt.

„Getrimmt auf die Ästhetik des Konsums“, attestiert Philipp Tingler Lisa Krusches Text. Indes lobt Insa Wilke den „Mut zum Politischen und den Mut zum Gefühl“. Michael Wiederstein hält fest, dass Videospiele oft bessere Geschichten bieten als Romane. „Deep Space Traurigkeit“ ist der Glow und Flow in Lisa Krusches Text „Für bestimmte Welten kämpfen und gegen andere“.

Lisa Krusche

ORF

Lisa Krusche

Es könnte die Welt einer Twitch-Streamerin sein, immer wieder tauchen niedliche, tierische Geschöpfe auf, man schwimmt durch diesen Text und könnte sich selbst dabei zuschauen und feststellen, dass man wie ein Goldfisch glubscht. Krümel lösen sich in Schlieren auf, die Protagonistin Judith denkt an Geister in der Tiefe. Sie kauft sich einen Hund und eine Waffe.

Doch es eskaliert nicht im Text, dafür in der Jury: Juror Klaus Kastberger wird sehr laut (euphemistisch für: er schreit) und disst den neuen Kollegen Philipp Tingler mit einer Generalisierung zu dessen gewähltem Zuhause, der Schweiz: „Offensichtlich hat man in der Schweiz keine Vorstellung von einer Zukunft, die dystopisch sein kann.“

Ein Freund von Stunts

„Ein Jahr ohne Sportveranstaltungen ist wie ein leeres Kongresshotel: sehr bizarr“, stellt Leonhard Hieronymi in seinem Videoporträt fest. Er hangle sich an Sport-Events durch das Jahr, sagt er und assoziiert zum Begriff „Stunt“ weitere Einstellungen seiner Person zur Welt. Leonhard Hieronymi ist Teil eines Literaturkollektivs namens Rich Kids of Literature und mit „Ultraromantik“ (Korbinian Verlag, 2017) hat er schon ein Manifest vorgelegt, das man als Poetik verstehen könnte. „Über uns, Luzifer“ heißt der Text: Männer wandeln auf den Spuren von Ovid. „Lies“, steht auf der Kappe des Autors, „pseudo“, wird seinem Text attestiert.

Leonhard Hieronymi

ORF

Leonhard Hieronymi

Die Sprechzeit der Jurymitglieder ist gefühlt längst zu 90 Prozent an Männer und 9,9 Prozent an Insa Wilke verteilt. „Insa, du willst mir nicht sagen, dass Sätze wie ‚Endlich können wir wieder lachen‘ akzeptabel sind für dich“, hakt gleich wieder Tingler nach. Die Jury reflektiert sich dann minutenlang selbst.

Autorin Carolina Schutti spricht nicht in ihrem Videoporträt, aber am Ende schreibt sie auf einen Zettel: „Meinen Sie nicht, dass jetzt genug ist“. Ihr Text ist mit „Nadjeschda“ betitelt. Eine erste Interpretation:

„Ich bin fasziniert von Sprachen, Mehrdeutigkeiten und dem Sprachspiel als Instrument zur Gewinnung von Erkenntnissen“, sagt Jörg Piringer in seinem Videoporträt. Hierzulande muss man ihn in Kunstkreisen nicht mehr vorstellen, er twittert inzwischen bilingual. Sein Text „kuzushi“ erinnert an 9/11 als Zeitmarke, an ein Aufbrechen als junger Mensch, das nicht lange währt. Die Digitalisierung ist Thema, man hat das alles schon x-fach gehört, vielleicht hatte es die Maschine da leichter als ihr Programmierer bei der Textkomposition. Die Jury ist unsicher, es wird kein Störfall des Betriebs.

Jörg Piringer

ORF

Jörg Piringer

Lyrik ist beim Bachmannpreis nicht zugelassen. Clemens Setz tritt sowieso nicht an. Für Twitter hat er die schönsten Tierbilder und ein Gedicht parat:

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