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Second Line Kapellenmarsch durch New Orleans

Darrell Rhodesmiller

Black Music: Wurzeln einer Protestkultur

Systematische Gewalt hat das Schinden von Afrikaner*innen zu Zeiten der Sklaverei gekennzeichnet. Systemische Diskriminierung - und Gewalt - gegen die Black Community stehen aber weiter an der Tagesordnung. Die Geschichte der Unterdrückung ist auch eine Geschichte der Auflehnung, was sich in der afroamerikanischen Musik von der Verschleppung bis heute widerspiegelt.

Von Dalia Ahmed

Die ersten Afrikaner*innen, die verschleppt und in Nordamerika versklavt wurden, erreichten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die damals spanischen Kolonien. Im Zuge des Sklavenhandels wurden etwa 11 Millionen Menschen aus den westlichen, östlichen, zentralen und südlichen Teilen des afrikanischen Kontinents geraubt und nach Amerika gebracht. Schon bei der Abreise wehrten sich die Menschen gegen ihre Versklavung, revoltierten und sprangen über Bord in den Atlantik.

In den spanischen und später englischen Kolonien, die anschließend zu den Vereinigten Staaten wurden, hörte der Protest der versklavten Menschen nicht auf. Auch hier wurde teils revoltiert, geflohen und der Suizid der „Chattel Slavery“ („Eigentumssklaverei“) vorgezogen.

Polyrhythmen als frühe Form des Protests

Obwohl die meisten der verschleppten Afrikaner*innen schon bei der Abreise unter Zwang christlich getauft wurden und ihnen nach der Ankunft europäische Namen oktroyiert sowie ihre diversen Muttersprachen verboten wurden, behielten sie – vor allem im Geheimen – ihre unterschiedlichen afrikanischen Traditionen und Religionen bei. Diese wurden teils für die neue Lebenssituation adaptiert. So wurden afrikanische Polyrhytmen bei der Arbeit am Feld gemeinsam gesungen und geklopft, um sich bei Laune zu halten und ein Gruppengefühl zu etablieren.

Arbeiten wurden im Takt der Rhythmen der alten Heimat verrichtet, um sich anhand der Abfolge der Beats synchronisieren zu können. So wurden auch „Work Songs“ auf den Plantagen entwickelt und durch den Menschenhandel innerhalb der USA verbreitet. Das Festhalten an diesen Traditionen, die in der „neuen Welt“ oft verboten wurden, war eine kraftvolle Form des Protests vor der geistigen Vereinnahmung. Und so nahmen auch Jahrhunderte später afroamerikanische Musiker*innen Work Songs neu auf und interpretierten sie mit Blues- und Jazzeinschlag.

Von den Chants zu Gospels

Nach und nach wurden die Sprachen der Heimat durch das aufgezwungene Englisch ersetzt - „Call and Response Chants“ wurden mit afroamerikanischen Dialekten (auch bekannt als African American Vernacular English) gesungen. Dies wurde später die Basis für den Wechselgesang des Chors in der afroamerikanischen Kirchenmusik, dem Spiritual, aus dem noch später der Gospel entstand.

Viele der Elemente der afrikanischen Musiktheorie und Tradition wurden so von Generation zu Generation weitergegeben und in die Entwicklung vieler heute populärer Genres eingeflochten.

Das Banjo kommt aus Afrika

Der Blues wiederum fußt auf den „Blue Notes“, die ihrerseits auf pentatonischen (fünfteiligen) Tonleitern afrikanischer Herkunft basieren. Entweder acapella oder im Zusammenspiel mit neuen Instrumenten wie dem Banjo, das aus der westafrikanischen (vor allem malisischen) Ngoni-Laute entwickelt wurde, begann man ab dem späten 19. Jahrhundert mit den neuen Instrumenten oder acapella aus Ego-Perspektive zusammengetragene und autobiographische Geschichten zu erzählen - im Gegensatz zu den vorhergegangenen Spirituals, die ein gemeinsames Bewusstsein und die Verbundenheit in der Versklavung vokalisierten.

Der Blues wurde anfangs noch improvisiert und später in Form von durchkomponierten Musiknummern vorgetragen. Den Lebensverhältnissen der versklavten Afrikaner*innen und ihrer diskriminierten Nachkommenschaft entsprechend, waren es meist Lieder, die vom Leid erzählten.

Jazz Musiker*innen bei der Probe

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Die Geburtsstunde des Jazz

Der nächste Schritt in Richtung der Musik der Gegenwart wurde im frühen 20. Jahrhundert gesetzt, als sich der New Orleans Jazz entwickelte. In der ehemaligen spanischen und französischen Kolonie Louisiane, an die heute noch der der US-Bundesstaat Louisiana erinnert – lebte seit dem späten 19. Jahrhundert eine große Anzahl an freien afroamerikanischen Menschen. Die erste afroamerikanische Millionärin Madam CJ Walker wurde etwa 1867 in Louisiana geboren.

New Orleans war nicht nur für den Jazz bekannt, sondern auch für die Second Line, jene Form von Blasmusikkapellenparade, die afrikanische und Native-American-Traditionen Nordamerikas verband - und schließlich für den Faschingsdiensttagsumzug, den Mardi Gras. Der Jazz entwickelte sich entlang des Mississippi und vor allem in New Orleans aus dem Ragtime („Gezerrte Zeit“), der seinerseits auf den synkopen Melodien der Spirituals aufbaute.

Die Mimikry des Rassismus

Der Jazz verbreitete sich auch in weißen Gesellschaftsschichten, vor allem aufgrund der sogenannten Minstrell- und Vaudeville-Shows, die anfangs noch von Afroamerikaner*innen dargeboten wurden. Schon bald jedoch eigneten sich Weiße Amerikaner*innen sowohl Jazz als auch Ragtime an, den sie rassistisch-parodistisch in Form weißer Minstrell-Shows darboten, mit angemalten schwarzen Gesichtern. Diese Shows trugen zu einem entmenschlichten Bild der Black Community bei, eine neue Form der Hetze, lange Zeit nach dem Bürgerkrieg.

Aus dem Nährboden der Spirituals, des Gospels und des säkularen Blues und Jazz entwickelten sich in weiterer Folge der Swing und daraus wiederum der Rock’n’Roll. Eine Pionierin der Rockmusik war die queere Sängerin und Gitarristin Sister Rosetta Tharpe, die ihre Lieder mit einer Energie und einem Drang spielte, der später den Rock’n’Roll ausmachen sollte. Sie würde nicht zuletzt Elvis Presley beeinflussen, der ihre Songs übernahm. Den Gospel lernte er bereits als Jugendlicher in den afroamerikanischen Kirchen Mississippis kennen.

Elvis’ Erfolg - auch aus rassistischen Gründen

Während Rosetta Tharpe und weitere Rockpioniere wie Chuck Berry und Little Richard Probleme mit den Musiklabels hatten, im weißen Radio nicht gespielt wurden und nur eingeschränkt touren konnten, eigneten sich frühe weiße Rock’n’Roll-Fans wie Elvis, Buddy Holly und Jerry Lee Lewis die Musik an und durften diese in den USA verbreiten. Es war in der frühen Rock’n’Roll-Tradition nicht ungewöhnlich, Songs anderer im eigenen Repertoire zu haben. Aber diese neue Form der Aneignung klagten und klagen viele der afroamerikanischen Musiker*innen an. Weiße Artists wurden mit der Musik der Black Community reich, während Afroamerikaner*innen aufgrund einer rassistisch strukturierten Musikindustrie und Medienlandschaft verarmten.

Techno nach afrikanischen Trommelmustern

Obwohl die Geschichte der afroamerikanischen Musik auch eine Geschichte der von der Mehrheitsgesellschaft angeeigneten und für ihre Bedürfnisse adaptierten Musik ist, wurde die Community nicht leid, immer wieder neue Formen der Musik und somit des soziokulturellen, gesellschaftspolitischen und ganz persönlichen Ausdrucks zu entwickeln. So wurde im Chicago der 80er-Jahre von afroamerikanischen schwulen Männern im Warehouse Club - aus der ebenfalls afroamerikanischen und queeren Disco Music heraus - die elektronische Housemusik entwickelt, von Pionieren wie Frankie Knuckles, Jesse Saunders und Marshall Jefferson; eine Entwicklung, die nach New York exportiert wurde.

Ähnlich beim Techno, den kurz darauf in der Nähe von Detroit erstmals die „Belleville Three“ Juan Atkins, Derrick May und Kevin Saunderson performten. Der von afrikanischen Trommelmustern inspirierte Techno wurde in den 90ern auch von den Musikern James Marcel Stinson und Gerald Donald aufgegriffen, um via ihres Musikprojekts Drexciya eine imaginierte Historie derer zu erzählen, die im Zuge des atlantischen Dreieckshandels (der Kreislauf der Versklavung von dem vor allem europäische Unternehmen und Privatpersonen profitierten) im Ozean ertranken.

Musikalische Fluchtorte

Wie auch beim afrofuturistischen Jazz von beispielsweise Sun Ra nutzten Afroamerikaner*innen die Musik nicht nur, um vom Jetzt und den gesellschaftlichen Umständen zu berichten, sondern auch, um sich durch teils utopische Visionen zu therapieren und beispielsweise einen fremden Planeten oder eine Unterwasserwelt zu imaginieren; Orte an denen sie nicht einer systemischen Unterdrückung ausgesetzt sind.

Im New York der 70er begannen die Kinder Jamaikanischer Migrant*innen gemeinsam mit den afroamerikanischen Kids der Bronx sogenannte „Block Parties" zu feiern, Parties, die mit wenig Geld im öffentlichen Raum stattfinden konnten. Schwarze Jugendlichen konnten so einen Moment lang den Alltag vergessen und ihr Leben zelebrieren. Im Zuge dieser Parties wurde das Jamaikanische „Toasten“, eine Form der Ansprache des Publikums mit den Break-Passagen von Funk, Rhythm & Blues und Soul Songs kombiniert.

Do it yourself am Mischpult

DJs wie Grandmaster Flash hatten realisiert, dass jene Teile der Lieder, in denen beispielsweise nur ein Drumbeat zu hören war, die Menschen am meisten zum Tanzen brachten. Deshalb bauten sie ihre Mischpulte um und adaptierten Plattenspieler, die sie nun auch im Doppelpack einsetzten, um die wenige Sekunden langen Breakdown Passagen eines Lieds mehrere Minuten nahtlos wiederholen zu können.

Dieser Erfindungsreichtum, diese Adaptionsfähigkeit und Do-it-yourself-Attitüde ist das Verbindende und Bezeichnende an der afroamerikanischen Musik, die zu Bildungs-, Widerstands-, Therapie- und Unterhaltungszwecken komponiert wurde und wird und die das gesamte Spektrum der globalen Formen der kontemporären populären Musik hervorgebracht hat und heute weiter vorbringt.

So reagierten afroamerikanische Communities auf die Vereinnahmung ihrer Erfindungen wie Jazz, Rock, Disco oder House, indem sie neue Genres erschufen und diese an die Spitze der Charts und ins Zentrum des Pop-Kulturellen Diskurs‘ – trotz aller Widrigkeiten - hievten. Aktuell hat bereits der Hip Hop den white-washed Rock in Sachen kommerzielle Beliebtheit abgelöst. Idealerweise werden aber in Zukunft afroamerikanische Communities nicht mehr aus ihren Genres verdrängt, sondern werden für ihre Leistungen gewürdigt und das schon zu Lebzeiten.

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