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Desinformation: Strafen für Social Media?

Soziale Netze sollen der EU-Kommission monatlich ihre Maßnahmen gegen Desinformation bekanntgeben und enger mit Faktencheckern und Wissenschaftlern zusammenarbeiten. Journalistenvertreter meinen, diese Maßnahmen allein würden nicht ausreichen - und fordern Strafen für einen zu laxen Umgang mit Fake News.

Von Christoph Weiss

Die seit Monaten auf Social-Media-Plattformen verbreiteten Verschwörungstheorien und Falschnachrichten über die Krankheit COVID-19 und das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 reißen nicht ab. Das Virus, so war in der Vergangenheit zu lesen, wäre eine biologische Waffe aus dem Labor. 5G-Handymasten würden es verbreiten. Bill Gates habe ein “Patent” auf das Virus. COVID-19 sei erfunden worden, um den Menschen Angst zu machen, damit sie sich alle einen Chip einpflanzen lassen. Freiwillige seien an einem neu entwickelten Impfstoff gestorben. Die Regierung würde verpflichtende Desinfektions-Stationen für Haustiere errichten. Und so weiter.

Im Kampf gegen solche Fake News hat die EU-Kommission jetzt neue Leitlinien für die alteingesessenen Onlineplattformen wie Facebook und Twitter, aber auch für neuere z.B. wie TikTok veröffentlicht. Sie sollen monatlich an die EU berichten, wie sie Verschwörungstheorien und Falschnachrichten über die Pandemie bekämpfen, und wie sie zuverlässige Beiträge fördern.

Warnung vor ausländischen Akteuren

Facebook, Twitter und andere Plattformen haben vor zwei Jahren einen freiwilligen Verhaltenskodex unterschrieben. Seitdem berichten sie regelmäßig zum Thema Fake News - an die Europäische Kommission.

In den neuen Leitlinien warnt die Kommission vor ausländischen Akteuren – namentlich China und Russland. Denn diese würden gezielt Desinformation in Europa streuen, um zu polarisieren. Die Plattformen sollen in Zukunft stärker mit Faktencheckern und Wissenschaftlern zusammenarbeiten.

An dem Verhaltenskodex beteiligen sich seit 2018 auch Journalisten und Verlage - im Rahmen eines sogenannten Resonanzboards. Ihm gehören unter anderem auch die Europäische Journalisten-Föderation und der Europäische Verlegerrat an. Dieses Resonanzboard fordert angesichts der neuen Leitlinien sogar ein noch schärferes Vorgehen gegen soziale Netzwerke. Konkret: dass auch Strafen im Rahmen des Verhaltenskodex eingeführt werden sollten.

Wie sich Falschnachrichten in Social Media tatsächlich auf Journalismus auswirken können, hat vor kurzem Jürgen Kuri, stellvertretender Chefredakteur beim Heise-Verlag, in einem Heise-Talk beschrieben. Die oft lawinenartig auftauchenden Desinformationskampagnen würden die Arbeit von Journalisten beeinträchtigen. Denn durch Falschnachrichten und Verschwörungstheorien verunsicherte Menschen würden in den Redaktionen anrufen oder sie per E-Mail kontaktieren: „Sie fragen dich, warum nichts darüber berichtet wird. Du kannst ihnen natürlich persönlich erklären: Wir haben nichts darüber berichtet, weil es Quatsch ist. Aber dann kommt gleich der nächste. Als Journalist beginnst du dann zu überlegen, tatsächlich eine Nicht-Meldung zu machen: ‚Hey Leute! Was da gerade durch die Netzwerke geistert, ist Unsinn. Das ist in Wirklichkeit ganz anders.‘ Aber das ist eine schwierige Geschichte. Du kannst nicht deine Zeitung ständig mit solchen Meldungen füllen.“

Und: In der Echokammer der eigenen Freunde gerate man sogar als Journalist leicht selbst in den Strudel von Verschwörungstheorien.

Krisen gehen immer mit Kontrollverlust einher

Im selben Talk hat der freiberufliche Journalist Fabian Scherschel, früher ebenfalls Redakteur bei Heise, dennoch vor zu voreiligen Gesetzen gewarnt. Eine Krise wie die aktuelle Pandemie gehe mit Kontrollverlust einher - aber dieser dürfe trotzdem nicht zu nachhaltigen Einschränkungen führen: "Ich habe mich in letzter Zeit viel mit meiner Oma unterhalten. Sie ist 98. Sie hat viele Dinge erlebt, bei denen die Gesellschaft richtig krassen Kontrollverlust erlebte. Ein bisschen sind wir jetzt auch in einer solchen Situation.” Auch die Terroranschläge des 11. September 2001 hätten ein solches Ereignis dargestellt.

„Daran kann man gut erkennen, was dann passiert. Da werden bescheuerte Regeln etabliert wie etwa: Du darfst nur 100 ml Wasser an Bord eines Flugzeugs mitnehmen. Jeder Sicherheitsexperte sagt, das sei albern. Dann sagen alle: Das ist in einem Jahr wieder vorbei. Jetzt haben wir 2020. Ist es vorbei? Nein. Jedesmal, wenn wir an Bord eines Flugzeugs gehen, machen wir so ein Voodoo-Ritual. Ich glaube, wir müssen sehr aufpassen, dass uns nicht wieder solche Dinge passieren.“

In manchen Userforen von Artikeln, die über die neuen Leitlinien der EU-Kommissionen berichten, bilden sich teils merkwürdige Allianzen. Milliardenschwere und datenhungrige Social-Media-Konzerne werden verteidigt, Journalisten hingegen grundsätzlich als Kollaborateure mit dem Staat vermutet. Ein Leser schreibt: “Kriegen wir nun also endlich unser Wahrheitsministerium in Form von Faktenprüfern, die uns künftig darüber informieren was zulässiger Fakt (sic) und was strafbewehrte FakeNews ist?”
Ein anderer User: "Man kann so genannten sozialen Medien viel Schlechtes sowohl zuschreiben als auch nachweisen. Aber wenn sich deren Konkurrenten zu deren Richtern erheben, ist Obacht geboten!”

Reicht die (Selbst-)Verpflichtung von Facebook, Twitter & Co, monatlich über Falschnachrichten und Desinformation zu berichten? Oder sollen Social Media für einen zu nachlässigen Umgang mit Fake News bestraft werden, wie es das Resonanzboard fordert? Es ist eine Gratwanderung. Die EU-Kommission will noch in diesem Jahr einen Vorschlag für ein neues Gesetz für digitale Dienste vorlegen.

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