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Wie sich der Lock-down auf unser Sex- und Sozialleben ausgewirkt hat

Monogamie und neue Sexpraktiken, soziale Isolation und Verunsicherung, Erleichterung und Kinderwunsch: Eine Studie zeigt, wie sich der Lock-down auf unsere intimen Beziehungen auswirkte.

Von Ambra Schuster

Der Lock-down ist wohl an niemandem spurlos vorbeigegangen. Wie unterschiedlich er dann aber doch erlebt wurde, zeigen jetzt die Ergebnisse der Studie „Liebe, Intimität und Sexualität in der Covid-19-Pandemie“. Rund 4700 Personen über 18 Jahren, davon zwei Drittel aus Österreich, ein Drittel aus Deutschland, haben an der Studie teilgenommen und den Fragebogen zwischen 1. und 30. April vollständig ausgefüllt. Hinter der Studie, über die wir an dieser Stelle schon einmal berichtet haben, steht die Soziologin und Sexualpädagogin Barbara Rothmüller von der Sigmund-Freud-Universität.

Die Studie wurde in Kooperation mit dem Institut für Statistik der Sigmund Freud Universität Wien und dem Kinsey Institute der Indiana University, Bloomington (USA) durchgeführt. Der Altersschnitt der Befragten betrug 35 Jahre. Die Mehrheit der Teilnehmenden waren Frauen (68 Prozent), hatte einen hohen Bildungsabschluss, lebte in einer verbindlichen Beziehung (58 Prozent) bzw. wohnte in einem Mehrpersonenhaushalt (67 Prozent).

Singles & LGBTIQ*s mussten zurückstecken

Wie jemand die Pandemie erlebt hat, war vor allem vom eigenen Beziehungsstatus abhängig. Singles waren wenig überraschend sehr viel einsamer und fühlten sich wesentlich isolierter als Paare. Rund 90 Prozent der Personen ohne Beziehung waren unzufrieden mit dem Ausmaß an körperlichem Kontakt. 70 Prozent waren unglücklich über ihr Sexleben.

Wer vor der Pandemie noch unverbindlich Sex mit einer oder mehreren Personen hatte, hat diese Kontakte stark reduziert. Über ein Drittel lehnte Einladungen zum Sex während der Pandemie ab, um Ansteckungen zu vermeiden. Viele konzentrierten sich, wenn, dann nur auf eine Beziehungsperson. Fast die Hälfte der Personen mit unverbindlichen sexuellen Beziehungen fürchtete deshalb auch, dass ihre intimen Beziehungen den Lock-down nicht überdauern werden.

„Der reduzierte Kontakt ist für sexuelle Minderheiten problematisch“

Betroffen waren hier sowohl Menschen in offenen oder polyarmoren Beziehungen aber auch Personen, die in sexuellen Communities unterwegs sind. „Der reduzierte Kontakt ist natürlich gerade für sexuelle und geschlechtliche Minderheiten problematisch, weil das ganz wichtige Vertrauensnetzwerke sind“, sagt Barbara Rothmüller. Sexualität sei zudem wichtig für das Wohlbefinden und nicht jede*r halte es gleich lange aus, so isoliert zu sein. Die Wissenschaftlerin betont hier den „solidarischer Beitrag zur Krankheitsprävention“ der geleistet wurde. Schließlich schränkte sich dieser Gruppe während des Lock-downs am meisten ein.

Positive Erfahrungen vs. psychische Gewalt

Demgegenüber stehen rund zwei Drittel mit dem Ausmaß an Nähe und Sex sehr zufriedene und vor allem befriedigte Couples. Personen in festen Partnerschaften haben den Lock-down wohl am glimpflichsten überstanden, Fernbeziehungen an dieser Stelle ausgenommen. Für rund drei Viertel der Befragten war ihr Partner, ihre Partnerin die beste Person für eine Isolation. Ebenso viele gaben an, viel Spaß miteinander zu haben und die Zeit zu genießen. Der Grund für die traute Zweisamkeit war hier nicht selten weniger Alltagsstress.

Die Stimmung war aber nicht überall ungetrübt. Neun Prozent der Befragten in verbindlichen Partnerschaften waren in den Wochen vor der Befragung von psychischer Gewalt betroffen. Noch mehr waren es, wenn Kinder im Haushalt wohnen oder es keinen Rückzugsort in der Wohnung gibt.

Lock-down im Schlafzimmer

Apropos Kinder und Wohnung. Auch vor den Schlafzimmern des Landes machte die Pandemie nicht halt. Nur bei der Hälfte der Befragten hat sich nichts an ihrer Libido geändert. Ein Viertel hatte weniger Lust auf Sex mit dem Partner oder der Partnerin als noch vor der Pandemie, bei einem anderen Viertel hingegen stieg das Begehren sogar.

Unter letzteren befinden sich einige sogenannte „Sexual Sensation Seekers“, also Personen, die neugierig, risikobereiter und besonders erfahrungshungrig sind. Immerhin 9 Prozent der Befragten haben diese Zeit genutzt, um etwas Neues auszuprobieren. Die Palette reichte hier von ersten SM-Erfahrungen (7 Prozent) über Nacktfotos zu verschicken (15 Prozent) bis hin zu Sexting (28 Prozent).

Rund ein Drittel hat sich bei den diversen Formen von Cybersex übrigens nicht um digitale Sicherheit gekümmert. „Das finde ich als Sexualpädagogin schon sehr problematisch“, so Rothmüller und verweist auf einen Guide zu savem Internet-Sex. Funfact: LGBTIQ*-Personen wussten deutlich besser über Internetsicherheit Bescheid. Rund ein Drittel der Befragten lenkte sich übrigens häufig oder zumindest manchmal mit Sex von der Krise ab.

Medial viel diskutiert wurde ein potentieller Corona-Babyboom. Ob dieser tatsächlich kommt, bleibt vorerst weiter offen. 80 Prozent der Befragten haben sich von der Pandemie jedenfalls nicht in ihrer Familienplanung und Verhütung beirren lassen. Immerhin rund 5 Prozent der Paare haben während der Pandemie festgestellt, dass sie Kinder möchten. Ebenso viele Personen in Beziehungen haben einen bereits bestehenden Kinderwunsch bewusst aufgeschoben. Der Grund – zu unsichere Zeiten.

Flaute am Dating-Horizont

Tinder&Co behaupteten zwar schon zu Beginn der Pandemie, dass ihre Plattformen boomen, „das kann ich nach meiner Studie aber nicht bestätigen“, sagt Barbara Rothmüller. Viel mehr habe sich gezeigt, dass das Dating und die Partnersuche in allen Bereichen und Beziehungsformen abgenommen hat. Ein Drittel der aktuellen Nutzer*innen von Dating-Apps pausierte in der Zeit des Lock-downs die Suche. Vor allem, weil schnell klar wurde, dass man sich sowieso nicht treffen kann. Und auch, weil es moralisch verurteilt wurde sich mit jemandem zu treffen. Die Mehrheit der Befragten hielt sich streng an die Ausgangsbeschränkungen.

Belastend war das vor allem für Personen, die schon vor der Pandemie einsam waren. Immerhin jede*r vierte Befragte war auch während des Lock-downs auf der Suche nach neuen Partner*innen. Einige haben auch gezielt nach „Corona-G’spusis" gesucht.

Rund ein Drittel der befragten Singles war hingegen sogar erleichtert, dass gerade niemand von ihnen erwartet, ein aktives Sexleben zu führen. „Da sieht man auch ein Stück weit, wie stark die Erwartungshaltung abseits der Pandemie ist, dass man auf Partnersuche und erfolgreich ist“,

Junge Menschen waren deutlich einsamer

Abseits von Liebe und Sexualität hatte der Lock-down auch auf unser aller Sozialleben Auswirkungen. Während sich partnerschaftliche und familiäre Kontakte intensiviert haben, wurden freundschaftliche und berufliche Beziehungen sehr stark heruntergefahren. Die große Mehrheit der Befragten (79 Prozent) hat die physische Distanzierung "stark oder teilweise verinnerlicht“. Wer sich zum Beispiel komisch fühlte, wenn viele Menschen in einer Gruppe beisammen stehen oder sich in einem Film umarmen gehört wohl zu diesen 79 Prozent. Ertappt?

„Die Einsamkeit von jüngeren Menschen sollte nicht bagatellisiert werden“

Besonders auffällig war der Zusammenhang zwischen Alter und Einsamkeit. Während sich gefühlt alle Welt Sorgen um die Risikogruppe der Älteren machte, blieb die Einsamkeit von jungen Menschen nahezu unbeachtet. Sie fühlten sich bei weitem isolierter und litten stärker als ältere. Die Hälfte der 18 bis 20-Jährigen gab an, Angst zu haben, dass ihr Alltag zusammenbricht und bezeichnete ihn auch als trostlos. Barbara Rothmüller bezeichnet das als Altersdiskriminierung und fordert die Einsamkeit jüngerer Menschen nicht zu bagatellisieren: „Es wird total übersehen, zu welchen massiven psychosozialen Belastungen die Einschränkungen der sozialen Kontakte bei jüngeren Personen geführt hat.“

Frauen als „Stoßdämpfer“ der Krise

Abermals deutlich wurde, dass Frauen zu emotionalen “Stoßdämpfern“ der Krise wurden. Sie unterstützten ihr Umfeld häufiger durch psychosoziale Gespräche. Von den neuen Erwartungen hinsichtlich Solidarität und Unterstützung im privaten aber auch beruflichen Umfeld fühlten sie sich dementsprechen häufig ge- und überfordert. Männer sahen sich in Familie, Beruf und Freundeskreis häufiger nicht gefordert.

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