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Das neue Album von Juse Ju vertont sein „Millennium“

Seit zwanzig Jahren macht Juse Ju autobiografischen Indie-Rap. Sein fünftes Album „Millennium“ ist die Fortsetzung seiner Lebensgeschichte und dreht sich in Anlehnung an den Titel um’s Erwachsenwerden in- und außerhalb der deutschen Hip Hop Szene der 2000er Jahre.

Von Alica Ouschan

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Juse Ju/groove attack

Millennium von Juse Ju ist am 19. Juni bei groove attack erschienen.

Anfang der 2000er macht sich der angehende Journalist und Autor Justus Hütter unter dem Alias Juse Ju einen Namen in der deutschen Battle-Rap Szene. Sein über Jahre hinweg betriebenes, mit großer Leidenschaft verbundenes Hobby machte er dann 2018 schließlich zum Beruf. In diesem Jahr erschien auch sein viertes Album „Shibuya Crossing“, das Vorgänger-Album der aktuellen Platte.

Seine Texte, die konsequent von seinem Standing als Undergroud-Rapper und persönlichen Geschichten aus seinem Leben handeln, werden auf „Shibuya Crossing“ erstmals zu einer stringenten, autobiografischen Erzählung. Anders als viele andere Rapper erschafft sich Juse Ju kein lyrisches Ich, um sich von seinen Texten abzugrenzen, sondern erzählt in seinen Songs ganz bewusst Geschichten aus seinem Leben. Geboren in Deutschland, aufgewachsen in Tokyo, zur Schule gegangen in El Paso, Texas. Aus der Kindheit und Jugend von Juse Ju gab es so Einiges zu erzählen. Mit „Millennium“ bekommt die musikalische Autobiografie nun eine Fortsetzung - diesmal mit Geschichten aus Juse Jus 20ern, die passenderweise in den 2000ern spielen.

„Die 20er sind das Ende der Jugend“

Auch wenn man auf dem Papier mit 18 bereits als „erwachsen“ gilt, geht der Prozess des Erwachsenwerdens weiter: „Ich finde die 20er sind das Ende der Jugend“, sagt Juse Ju im FM4 Interview. "Es ist die Zeit in der man sich selbst findet - was man machen will, beruflich, wer man sein will, welche politische Haltung man entwickelt - und darum geht’s auf „Millennium"“.

Auch aus dieser Zeit hat Juse Ju einige spannende, unterhaltsame, mitreißende und emotionale Geschichten zu erzählen. Denn er unterscheidet sich laut eigener Aussage dadurch von anderen Rappern, dass für ihn die Musik in dieser Zeit nur Hobby und kein Beruf war und er dementsprechend Erlebnisse in seinen 20ern hatte, mit denen man sich identifizieren kann und die sich echt anfühlen, weil sie wahr sind.

So verarbeitet Juse Ju beispielsweise im Song „TNT“ seinen Zivildienst in der Psychatrie: Eine Borderlinerin, die so viele Brandnarben auf dem Arm hat, dass sie aussieht wie ein Leopard. Ein Schizophrener, der glaubt, er sei Jesus. Ein Pfleger, der selbst zum Patienten wird. Die detailreiche, bildhafte Sprache und Juse Jus Stimmgewandheit machen seine Geschichten greifbar und authentisch.

Irgendwo ziwschen Modeljobs in Tokio, Rap-Battles und toxischen Beziehungen

In „Sayonara“ trifft Juse Ju sich mit seinen Jugendfreunden auf ein Bier und merkt, dass sie nun endgültig erwachsen sind und sich von ihrer Jugend verabschieden müssen. „Unter der Sonne“ ist eine emotionale Hommage an seinen Onkel, der für ihn ein wichtiger Anker in dieser Zeit war und an Krebs verstorben ist.

Der Song „Claras Verhältnis“ vertont die Essenz einer toxischen Beziehung - sich gegenseitig so sehr zu brauchen, dass es wehtut, aber gleichzeitig menschlich nicht zusammenzupassen. Juse Ju schreibt keine Liebeslieder. Und wenn, dann sind sie eher traurig-wütende Herzschmerz-Songs, und selbst die bekommt man nur selten von ihm zu hören. Wenn er dann aber mal einen schreibt, geht er unter die Haut und mitten ins Herz.

„Claras Verhältnis“ steht unmittelbar in Zusammenhang mit „Lovesongs“, dem letzten derartigen Song auf dem Vorgänger-Album. Zwar ist „Clara“, die in Wirklichkeit anders heißt, nicht das „narzisstische Mädel mit Drogen- und Psychoproblemen“ aber definitiv ein Faktor, der Juse Ju dazu brachte, „Lovesongs“ zu schreiben. Die Fortsetzung der Anti-Lovestory kann ihrem Vorgänger mit Leichtigkeit das Wasser reichen und ist eines der Highlights des Albums.

Juse Jus Lieblingstrack des Albums heißt „Model in Tokio“ und basiert ebenfalls auf einer wahren Geschichte. Nachdem er in Deutschland seinen Job gekündigt hatte und nach Japan zurückging, an den Ort, an dem er seine Kindheit verbracht hatte, fand er sich plötzlich auf dem Laufsteg der Fashionweek in Tokio wieder. Dieses Erlebnis steht als Sinnbild dafür, dass es im Leben zwar oft anders kommt als gedacht, es aber gleichzeitig dadurch immer wieder ein paar kleine, überraschende Highlights parat hält. Die Hook zum Song wird von Nikita Gorbunov gesungen, der die Zeilen damals über seinen Freund Juse Ju - das Model in Tokio - geschrieben hat.

„Das ist Rap!“

Neben den eloquent erzählten, berührenden und tiefgründigen Momentaufnahmen aus dem Leben eines jüngeren Juse Ju befindet sich auf dem Album, das ansonsten einen ausschließlich ernsten Charakter aufweisen würde, auch einer der typischen In-die-Fresse-Banger, für die seine Fans ihn lieben. In „Kranich Kick“ bekämpft Juse Ju den kommerziellen Mainstream Hip Hop, tritt Major-Labels verbal ins Gesicht und macht seinem Ruf als Battle-Rapper alle Ehre.

Ich mach das seit 20 Jahren und es gibt immer noch Leute die meinen, das ist kein Rap. Ich komm aus dem Battle-Rap und ich bleib auch Battle-Rapper - du musst geil flowen, Patterns rausballern, du brauchst Punchlines - ich bin nunmal old school“, sagt Juse Ju. „Ich war vor euch hier, ich bin wahrscheinlich auch nach euch noch hier, ich bin jetzt hier und ich will mit dem Song ein für alle mal klar stellen: Das ist Rap!

Zu der Zeit, als Juse Ju anfing, an Battles teilzunehmen, war der deutsche Hip Hop gerade in Richtung seines Tiefpunktes unterwegs. Darum geht es auch im Titelsong des Albums „Millennium“. Major Labels dmminierten den Markt, Rap-Künstler wurden nicht mehr gesigned, sogar das große Independent-Label Aggro Berlin löste sich 2009 auf.

„Rap ist tot - geil! Ich will Teil davon sein“ (Millennium)

Genau der richtige Zeitpunkt, um im Untergrund durchzustarten - das dachten sich Juse Ju und einige seiner Homies, mit denen er damals schon Musik machte und die man heute allesamt in die Schiene des Indie-Raps einordnet. Rapper wie Fatoni, Maeckes und Plan B von den Orsons oder Mädness bekommen in „Millennium“ Shoutouts. Rap ist für sie eine Leidenschaft und ihre Identität - kein Beruf. Es geht um die Sache und nicht ums Geld. Dass viele von ihnen mittlerweile sogar low-key erfolgreich sind, ist eher eine erfreuliche Nebenwirkung als ein langfristiges Ziel.

Nicht an die Vorgaben eines Labels gebunden zu sein hat immerhin einen schlagenden Vorteil: Man kann quasi machen, was man will. So finden sich auf „Millennium“ auch eine Handvoll Songs, die zwar nicht so richtig ins Gesamtkonzept passen wollen, alleinestehend aber doch ihre Berechtigung haben. Der Song „Ich hasse Autos“ richtet sich, ganz dem Titel entsprechend, gegen das Auto als Statussymbol. Das Feature mit Panik Panzer von der Antilopen Gang kommt in die Kategorie der heftigen Moshpit-Songs und verspricht ein klassischer Hit für Live-Shows zu werden.

Der Boom bap Track „Edgelord“ ist der einzige mit klarer politischer Message - nicht verwunderlich, dass Juse sich als Feature-Gast Milli Dance von Waving the Guns dazugeholt hat und in „MTVs Most Wanted“, einer musikalischen Meta-Analyse der Entwicklung der deutschen Hip Hop Szene kickt Mädness - wenig überraschend - einen ziemlich slicken Part.

„Ich bin Juse Ju - das ist mein Millennium“

„Millennium“ ist die logische und konsequente Fortsetzung von „Shibuya Crossing“ und Teil zwei einer musikalisch erzählten Biografie. Juse Ju schließt damit ein großes Kapitel und will sich in Zukunft wieder neu erfinden und Neuem widmen. Er selbst sieht sich gerade am Höhepunkt seines kommerziellen Erfolges: „Jetzt werden Leute fragen: Was für kommerzieller Erfolg? Exakt. Das mit mir und Rap ist so wie mit einem Fußballer, der immer ganz gut war und dann mit Mitte dreißig noch in die dritte Liga kommt und bisschen Erfolg hat - wenn das vorbei ist spielt er eben in der Alt-Herren-Liga weiter. So werd ich das auch machen.“

Für ihn bedeutet dass aber nicht, dass er sich unwiderruflich auf die Pfade des Grown-Man-Raps begibt: „Es kann auch sein, dass ich noch mit über 40 über meine Jugend rappe. Und wer weiß, vielleicht kommt auch noch ein Kindheits-Album. Ich hab auf jeden Fall noch einige Geschichten auf Lager, die ich noch nicht erzählt hab. Mit 6 Jahren sollte ich zum Beispiel mal in der Wiener Staatsoper spielen... Aber ich will nicht zu viel spoilern, vielleicht wird aus dieser Story irgendwann noch ein Song!“

Juse Ju und seine Musik sind und bleiben eine Bereicherung für all jene, die mehr von Deutsch-Rap wollen als unauthentisches Gerede über teure Autos, sexy Bitches und Drogenkonsum. Die im Hip-Hop so hoch angesehene „Realness“ speist sich bei Juse Ju nicht aus seiner Street Credibility, seinem Image oder kommerziellem Erfolg, sondern aus seinem emotionalen, autobiografischen Storytelling und der Tatsache, dass er sich seit seinen Anfängen als Battle-Rapper bewusst und konsequent vom deutschen Mainstream-Hip Hop abgrenzt.

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