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CC0 von Anne Wagner via Pixabay

Geschrieben wie gemalt: Marina Frenks Debüt „ewig her und gar nicht wahr“

Die Geschichte der Diaspora osteuropäischer Jüdinnen und Juden ist Teil der Familiengeschichte einer jungen Frau in Berlin: Poetisch und doch mit realistischer Präzision erzählt Marina Frenk in ihrem Romandebüt „ewig her und gar nicht wahr“.

Von Maria Motter

Marina Frenk ist Schauspielerin in Berlin, am Maxim Gorki Theater und aufgetreten ist sie auch an der Volksbühne, sie singt und sie hat einen ersten Roman geschrieben. In ihrer Danksagung im Buch sind ihre Literaturagenten an bedeutender Stelle erwähnt. Klischee, oh weh, könnte man jetzt denken. Aber Frenks Debütroman heißt „ewig her und gar nicht wahr“ und ist ein Buch, das aus der Gegenwart in ein Land führt, das nicht mehr existiert. Auch von solchen hat man freilich schon gelesen, autobiografische Bezüge inklusive. Doch „ewig her und gar nicht wahr“ zeichnet sich aus, weil es wie gemalt geschrieben ist.

Buchcover von Marina Frenks "ewig her und gar nicht wahr"

Wagenbach Verlag

„ewig her und gar nicht wahr" von Marina Frenk ist 2020 bei Wagenbach erschienen.“

Kira Libermann ist darin die Hauptfigur und Ich-Erzählerin. Sie ist eine Malerin mit Mann und kleinem Sohn in Berlin und einer Familiengeschichte, die nach Bessarabien reicht und dort 1941 im Dorf Căpreşti beginnt, als eine Familie sich von der Großmutter und ihrem kleinen Hund verabschiedet und vor der Verfolgung durch nationalsozialistische Mordkommandos und auch vor den Rumän*innen flieht. Bessarabien, das muss man heute nachschlagen, war ein Landstrich am Schwarzen Meer zwischen den Flüssen Pruth im Westen und Dnister im Osten. In kurzen Kapiteln vermögen die Fluchtpunkte durch Länder und politische Systeme zu rühren, gerade weil Marina Frenk nicht noch Pathos oder Nostalgie darüberlegt.

Die Geschichte ihrer Familie ist jene der Diaspora osteuropäischer Jüdinnen und Juden. „ewig her und gar nicht wahr“ steht auch im Russischen für Vergangenes. Kira Libermann kam als Kind mit ihrer russischen Mutter und ihrem jüdischen Vater nach Deutschland.

Ein gegenwärtiger, kühner Roman

Hauptsächlich spielt der poetische und doch präzise realistische Roman „ewig her und gar nicht wahr“ in Berlin, für kurze Kapitel auch andernorts, darunter in Haifa, in New York und auf der Ferieninsel Hiddensee. Und Kira Libermann ist eine höchst interessante Persönlichkeit, sie ist eine aufmerksame Beobachterin von Körperlichkeit und ein am Weltengeschehen interessierter Mensch.

Autorin Marina Frenk wurde 1986 in Chisinau in der Republik Moldau geboren. Auch ihre Hauptfigur Kira Libermann ist „im Tschernobyljahr“ geboren. Als erwachsene Frau hat sie neben ihrer Kleinfamilie vor allem die beste Freundin Nele und den Dachboden als Rückzugsort für sich. Dort hat sie ihr Atelier und sie hat sich in ihrem Alltag eingerichtet, wiewohl sie ihrem Mann gegenüber hegt, er betrüge sie doch. Den großen Plänen und Hoffnungen noch vor wenigen Jahren steht die Gegenwart gegenüber und sehr oft steht einfach ihr Sohn Karlchen vor ihr. Doch die Lage wird keineswegs verbittert präsentiert. Hier wird ein junges Frauenleben erzählt, die Verhältnisse beginnen bei junger Verliebtheit („Theodor kommt heute Abend von seiner monatelangen Tibet-Reise zurück. Entweder er meditiert dann, oder wir lieben uns.“) und sind schnell beim Beziehungsnebeneinander mit dem Journalisten und Journalismus-Lehrenden Marc - „Dieses schweigende Loch ist der Mensch, den ich liebe“.

Alle Zeiten auf einmal

Wenn Marina Frenk von einer ungeplanten Partynacht erzählt, tut sie das so annehmbar wie sie davon erzählt, wie Kira Libermann ein Kind verliert und im Schock mit einer sinnlosen, doch so nachvollziehbaren Handlung reagiert. Sie schiebt sich den Embryo wieder in ihre Vagina, dann ruft sie die Rettung. Es ist ein Beispiel für die starken Szenen im Roman, Kira Libermann schildert sehr körperliche Zustände, ohne dass es verrückt wird. Erinnerungskultur und Familiengeschichte, ein politisches Leben führen und doch im privaten Alltag durchzuhängen und mit sich zu kämpfen, davon handelt dieser Roman. Die sprachliche Klarheit, ja für die Leser*innen Leichtigkeit trifft auf eine liebevoll genaue Gestaltung der Charaktere, die es weniger leicht hatten und haben.

„Ich war fünf und hatte ein aufblasbares Krokodil. Ge-ge-raaa… hat Karlchen gesagt, als er zwei war. Mama trug einen Achtziger-Jahre-Badeanzug mit amerikanischer Flagge darauf. Die Sternchen sind aus dem Himmel gefallen, als in Moldawien in den Himmel geschossen wurde, und sind auf ihren Badeanzug geprasselt. Aber der Bürgerkrieg war doch später, das kann alles nicht sein, es ist alles nicht wahr. Chronologie ist erfunden, es gibt keine. Sie ist eine Lüge, wie alle Systeme“.

Das denkt sich Kira Libermann und erzählt so, wie Malerinnen arbeiten können: Vergangenheit und Gegenwart, ja auch Träume und Ängste können da nebeneinander stehen, sich überlagern. Beim Lesen ist man in den meisten Kapiteln ganz im Kopf der Ich-Erzählerin. Bei manchen Übergängen zwischen den erzählten Zeiten fehlt einem kurz die Orientierung. Das ist aber schon das einzige Schwierige an diesem schönen, ganz gegenwärtigen Buch.

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