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APA/HELMUT FOHRINGER

Sommer 2020 – wie nah, wie weit?

Wird sich die Tourismusbranche nach der Pandemie neu erfinden?

Von Lukas Tagwerker

Alice Wanner hatte geplant, im April 2020 einen großen Urlaub in Nordamerika zu machen. Dann kam der Lockdown und die Anthropologin, die am Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung der Boku zu „nachhaltigem Tourismus und Zertifizierungen“ forscht, war zur Staycation gezwungen.

„Zur Zeit ist nachhaltiger Tourismus wirklich eine Nische.“ sagt Wanner. Die Corona-Krise biete allerdings die Möglichkeit, die Branche insgesamt ökologischer umzugestalten. Die Forscherin verweist auf ein Statement der Welthandelsorganisation: Der Tourismussektor sei sowohl die von den Covid-Maßnahmen am schwersten getroffene Branche als auch eine mögliche Lokomotive für Aufschwung, wirtschaftliches Wachstum, und Nachhaltigkeit.

Dabei ist „Nachhaltigkeit“ heute eine schwammige Wunschvokabel. Der Begriff stammt aus der sächsischen Forstwirtschhaft um 1660, bevor er aus diesem Ursprungs-Kontext gerissen nun alle Arten vermeintlicher und tatsächlicher „Ressourcenschonung“ artikulieren soll.

Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit

Der Österreichische Tourismus im Jahr 2019 war mit seinen neuerlichen Rekorden (158 Millionen Nächtigungen, über 38 Milliarden Euro Umsatz) das Paradebeispiel einer nachhaltigen Nicht-Nachhaltigkeit. Der Tourismusethiker Harald Friedl vergleicht diesen Vor-Corona-Tourismus mit einem „Marathonläufer, der sich die Haut abzieht, damit er schneller ins Ziel kommt“.

Während bei einer Befragung vor Ausbruch der Pandemie für 44% die Klimakrise keinen Einfluss auf die Urlaubsplanung hatte und nur 7% angaben, wegen des Klimas auf Reisen zu verzichten, interessieren sich nach der Pandemie um 18% mehr Menschen für einen Urlaub im Heimatland Österreich. In einer Studie von Ende April stimmen 66% der Befragten der Aussage zu, dass „Urlaub in Österreich einen Aufschwung“ erlebe.

Unsere Erholungsbedürfnisse sind zur Zeit des Corona-Stillstands von Naherholungsgebieten (in Wien: die Bundesgärten) gedeckt worden. Aber führen die Erfahrungen der vergangenen Monate wirklich zu einem Wertewandel, zu neuen Prioritäten?

Wertewandel nach der Pandemie?

Die Ergebnisse der Karmasin-Studie im Auftrag der Landestourismusorganisationen und der Österreich Werbung legen das nahe: „Diese neue Situation wird als Anlass genommen, Lebens- und Werteprinzipien zu überdenken und die neue Situation auch positiv und nicht als Verlust einzuordnen. Ein neuer Lebensstil zeichnet sich ab.“

56% geben an, mehr auf regionale Produkte zu achten und 48% der 16-29-Jährigen behaupten, dass ihnen eine „entschleunigte Lebensweise“ sowie „Klimaschutz und eine nachhaltige Lebensweise“ im Lauf der Corona-Krise wichtiger geworden sind. Zugleich warnt die Studie vor einem Preisdumping in Folge des Markteinbruchs im heimischen Tourismus, denn es gelte „die Chance, neue Gewohnheiten zu etablieren“ für eine „langfristige Stabilität im Tourismus“ zu nutzen.

Während bei den 61%, die einen Sommerurlaub in Österreich planen, der Wert „Nachhaltigkeit“ an fünfter Stelle genannt wird, haben 29%, die Urlaub im Ausland planen und 16%, die es noch nicht wissen, die „Nachhaltigkeit“ erst an zehnter Stelle genannt, hinter „Freiheit“, „Natur“, „Miteinander“ und „Sicherheit“ und jeweils gleichauf mit der tollen Idee „Gelassenheit“.

Situation am österreichisch/Italienischen Grenzübergang am Staller Sattel

APA/EXPA/JOHANN GRODER

Österreichisch/Italienischer Grenzübergang am Staller Sattel

Diese abgefragten Themen und Werte sind Teil des aufwendigen Tourismus-Marketings, das die Reste der Saison retten soll. Urlaub sei ein gelerntes Kulturmuster und Tourismus ein Konstrukt von Illusionen, das auf erlernte Erwartungen und erlernte Träume der Kund*innen zugeschnitten sei, sagt der Tourismusethiker Harald Friedl. Salzburg verkauft sich heuer mit dem Spruch „So geht Urlaub“, Kärnten mit „It’s my life!” und Tirol mit der Weisheit „Es geht Bergauf“. „Wenn man den richtigen Trigger anspricht, dann wird sich für den Kunden die Antwort von selber ergeben“, so Friedl.

Auch wenn ruhige Naturerlebnisse, „Abstand vom Überfluss“ und eine „gestärkte Lebensfreude“ in der Tourismuswerbung heuer zentral sind, das „Nachhaltige“ dabei droht zum reinen Werbegag zu werden. So brauche es darüber hinaus ein radikales Umdenken und politische Maßnahmen wie eine massive Verteuerung fossiler Treibstoffe, um nach einer konjunkturellen Delle nicht in ein Weiter-so-wie-bisher im heimischen Rekord-Tourismus zurück zu fallen. „Wenn die Nachfrage in eine andere Richtung pusht, wird sich die Branche auch umorientieren“, sagt Alice Wanner.

Erfolg im Tourismus neu messen

Wer gar keinen Urlaub plant, (nicht nur) denen bietet der gebürtige Londoner Eugene Quinn ein Tourismus-Abenteuer ohne Wegfahren: unter dem hashtag #tourismforlocals laden Eugene und seine „rebellischen OptimistInnen“ von 22. bis 29.Juli zur ersten Vienna Walking Week. Das Spaziergangs-Festival ermöglicht 14 geführte Touren durch die Bundeshauptstadt, bei denen die Teilnehmenden die vermeintlich bekannte Stadt mit neuen Augen sehen lernen: das italienische Wien , das Menschenrechts-Wien oder eine Wien-Tabu-Tour. „Die Teilnahme wird sich auf dein restliches Leben in Wien auswirken“, sagt Eugene Quinn.

Bisher sind Erfolge in der Tourismusindustrie hauptsächlich an den Zahlen von Nächtigungen und Ankünften gemessen worden. Vergangene Woche hat der österreichische Nationalrat einen Ausschuss-Bericht angenommen, der vorsieht, ein „neues Set an Indikatoren“ zu entwickeln, um erstmals ökonomische, ökologische und soziokulturelle Nachhaltigkeitsaspekte abbilden zu können und die Tourismuspolitik dadurch zielgerichteter zu machen.

Alice Wanner, die solche Kriterien in neun Donau-Regionen untersucht, wartet immer noch auf die Refundierung ihres stornierten Amerika-Urlaubs. Für den Sommer 2020 hat sie eine Woche Wanderurlaub in den heimischen Alpen geplant.

FM4 Auf Laut: Dein Urlaub 2020 – wie weit, wie nah?

Österreich hat alle Grenzen zu den Nachbarländern geöffnet. Reisen ist innerhalb Europas, in die meisten Länder wieder ab sofort möglich, ohne verpflichtende Corona-Tests und ohne allgemeine Rückkehr-Quarantäne. In FM4 Auf Laut spricht Claus Pirschner heute ab 21:00 Uhr mit den Autorinnen Maria Hofer und Jennifer Fasching, mit Jasmin Duregger (Greenpeace) und mit Anrufer*innen über Motive und Möglichkeiten den Sommerurlaub 2020 zu planen.

Wie nah und wie weit geht es weg? Was bedeutet Erholung nach, während und von der Pandemie? Und kann die Erfahrung der vergangenen Monate irgendwas am Tourismus „nachhaltiger“ machen?

FM4 Auf Laut am Dienstag, 23. Juni 2020 um 21 Uhr

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