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Kein Friede unter Saddam: Abbas Khiders „Palast der Miserablen“

Abbas Khiders „Palast der Miserablen“ ist eine Coming of Age-Story in Saddam Husseins Irak, die – keine Überraschung – ohne Happy End bleibt.

Von Simon Welebil

In der ganzen irakischen Geschichte habe es keine zehn Jahre Frieden am Stück gegeben, sagt eine Figur in Abbas Khiders Roman „Palast der Miserablen“, und damit ist recht klar, unter welchen Umstände dessen Bürger*innen aufwachsen müssen. „Palast der Miserablen“ beginnt mitten im Irak-Iran-Krieg, der in den 1980er Jahren acht lange Jahre tobte. Fast alle Männer im kleinen schiitischen Dorf des Protagonisten Shams Hussein, der mit dem irakischen Langzeit-Diktator Saddam Hussein nur den Nachnamen gemein hat, sind Soldaten, die Kinder werden mit dem Schuleintritt militarisiert, lernen den Umgang mit Waffen und marschieren Parolen brüllend durch die Dörfer.

„Wir sind Pioniere. Gott, Heimat und Führer. Wir sind Pioniere. Mit ganzer Seele und unserem Blut opfern wir uns für dich, oh Saddam. Wir sind Pioniere.“

Und dennoch erlebt Shams fast idyllische erste Lebensjahre, umgeben von Ziegen, Schafen und Eseln, eingebettet in die Dorf- und Stammesstruktur. Im Iran-Irak-Krieg der 1980er kommt seine Familie recht glimpflich davon, im Kuwait-Krieg profitieren sie zuerst von den geraubten Reichtümern des kleinen Emirats und bezahlen dann im Zweiten Golfkrieg dafür: Ihr Dorf wird zerbombt, der Vater verwundet, nach dem gescheiterten schiitischen Aufstand fürchten sie die Rache Saddams und flüchten vor ihr nach Bagdad.

Neubeginn am Rande des Bagdader Müllbergs

Dort bleibt ihnen nur ein Platz im „Blechviertel“, einem Slum der schnell wachsenden Hauptstadt, in dem der angrenzende Müllberg das Baumaterial für die Häuser hergibt. Es gibt weder Strom noch Wasser oder Straßen, doch für Shams und seine Familie geht es bergauf. Der aufgeweckte Junge geht aufs Gymnasium, seine Schwester wird Krankenschwester und die Familie kann sich ab und zu Geld zur Seite legen. Doch auf jeden Schritt vorwärts folgt ein Rückschlag. Korrupte Polizisten bedrohen ihre Geschäfte, mafiöse Organisationen ihr Leben und das internationale Wirtschaftsembargo macht schließlich all ihre Anstrengungen wieder zunichte.

„Die Stadt wirkte wie ein Springbrunnen aus Not. Egal, wohin man ging, überall jammerten und klagten die Menschen. Im Bus, auf den Gehsteigen, in der Schule, zu Hause, in Imbissen oder im Café. Es gab kein sauberes Wasser mehr, keine ausreichende Nahrung, kein Geld. Dafür seltsame Krankheiten. Viele Babys starben während oder gleich nach der Geburt oder wurden mit schweren Behinderungen geboren. Man wusste nicht, weshalb das so war. Unsere Regierung warf den Amerikanern vor, im letzten Krieg chemische Waffen eingesetzt zu haben. […] Was Wahrheit oder Lüge war, wusste keiner mehr, aber eines stand fest: Wir hatten keine Zukunftsperspektive mehr. Jeder kämpfte nur noch ums Überleben und suchte verzweifelt nach Nahrung oder Medizin.“

Literatur als Fluchtort

Unter all diesen Missständen wächst Shams heran, muss neben der Schule auch zum Familieneinkommen beitragen, und macht durch, was jedem Jugendlichen blüht, die Emanzipation von den Eltern, Probleme in der Schule, erste Verliebtheiten. Und er schafft es auch, eine Leidenschaft zu entwickeln, in seinem Fall für Bücher. Nach dem ersten Kontakt mit einem Buch, erotische Erzählungen von Alberto Moravia ist er angefixt von Literatur, kauft jedes Buch, das er bekommen kann und kommt über die Literatur auch aus der Blechstadt heraus, in einen Lesezirkel, in dem gegen Saddam opponiert wird und der sich „Palast der Miserablen“ nennt und seine Zuflucht wird. Hier kann er die Welt draußen für ein paar Stunden hinter sich lassen und statt über die Probleme des Alltags wie Hunger, Arbeitssuche oder Krankheit diskutieren sie über „das richtige Versmaß, schräge Metaphern oder gackerten einfach herum.“

Buchcover: "Palast der Miserablen" von Abbas Khider

Hanser Literaturverlag

„Palast der Miserablen“ von Abbas Khider ist im Hanser Verlag erschienen.

Doch dass Shams Coming of Age nicht gut ausgehen wird, weiß man schon früh. In einer Parallelgeschichte befindet sich der erwachsene Erzähler nämlich in der Gefängniszelle eines Militärkrankenhauses, mit einer Analthrombose, einer Analfissur und komplett ausgemergelt. Kurz vor dem Dritten Golfkrieg 2003 hat ihn Saddams Geheimpolizei verhaftet.

Detaillierte Einblicke, fehlende Aktualität

2016 hat Abbas Khider mit „Die Ohrfeige“ ein Buch zur Stunde abgeliefert, in dem er Breitseiten auf das europäische Asylsystem abgefeuert hat. „Palast der Miserablen“ hingegen fehlen nicht nur diese Aktualität und Dringlichkeit. Es weist auch sonst einige Lücken auf. Dem titelgebenden Palast der Miserablen fehlt die zentrale Funktion im Text, Khider verwendet ihn als Katalysator der Handlung, fängt dabei aber zu hudeln an. Dialoge treten zunehmend in den Vordergrund, die viele Zusammenhänge im Irak erklären sollen, aber manchmal einfach nur platt und wenig authentisch wirken. Eine Abkürzung, um die zwei Handlungsstränge und Zeitebenen des Romans zusammenzubringen, wo Khider dann wieder zur Hochform aufläuft.

„Palast der Miserablen“ ist ein Coming of Age-Roman in einer der wohl schwierigsten Gegenden der Welt geworden, mit kurzen Hoffnungsschimmern, die immer wieder zerplatzen. Dass es in diesem Land nicht anders geht, beschreibt der Protagonist wohl am besten: „Das war mein Irak. Hier gab es keine Liebesromane.“ Und daran hat sich seither wohl auch nicht sehr viel geändert.

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